Die Ruptur des vorderen Kreuzbandes stellt nach wie vor eine gravierende Verletzung
des Kniegelenks dar. Unter biomechanischen Gesichtspunkten führt die Insuffizienz
des vorderen Kreuzbandes zu einer Störung des physiologischen Roll-Gleit-Mechanismus
des Kniegelenkes, der Rotationspunkt wird aus dem medialen Kompartiment weiter nach
lateral verlagert. Die hierdurch auftretenden Scherkräfte sowie eine veränderte Krafteinwirkung
auf die Meniskushinterhörner führen zu einer beschleunigten Degeneration der Kniebinnenstrukturen,
sodass bei aktiven Patienten eine operative Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes
erfolgen sollte. In Deutschland ist jährlich mit ca. 25 000 VKB-Operationen zu rechnen.
D. Albrecht
In Heft 6 der Zeitschrift für Orthopädie und Unfallchirurgie werden besondere Aspekte
der Kreuzbandchirurgie beleuchtet: die geeignete Transplantatwahl im Wachstums- und
Erwachsenenalter sowie die Kreuzbandrevisionschirurgie, insbesondere unter dem Aspekt
des Timings.
Distorsionstraumen des Kniegelenkes führen auch im Kindes- und Jugendalter nicht selten
zur Ruptur des vorderen Kreuzbandes. Bei Kindern wie auch bei Erwachsenen resultiert
nach konservativer Therapie eine chronische Instabilität mit Folgeschäden, sodass
eine operative Rekonstruktion auch bei offenen Wachstumsfugen indiziert ist. Ansatznahe
Rupturen oder Ausrisse sind bei Kindern einer Refixation zugänglich, nach dem 12.
Lebensjahr jedoch sollten eine Augmentation oder eine plastische Versorgung erfolgen,
da Rerupturen nach Nahtversorgung häufig zu beobachten sind. Bei offenen Epiphysenfugen
wird als Transplantat die Semitendinosussehne empfohlen. Nach Studienlage ist auch
bei offenen Wachstumsfugen, trotz transepiphysärer Bohrung, bei Verwendung eines reinen
Sehnentransplantats nicht mit Wachstumsstörungen zu rechnen. Die in diesem Heft vorliegende
Studie zeigt eine mögliche Alternative mit Periost-Patellasehnen-Periost-Transplantat
im Wachstumsalter auf.
Als Transplantat bei der vorderen Kreuzbandersatzplastik im Erwachsenenalter finden
im Wesentlichen das mittlere Drittel der Patellarsehne als Bone-tendon-bone-Transplantat
sowie die Semitendinosussehne (Grazilissehne) Verwendung. Aktuelle vergleichende Studien
können im Outcome bei Verwendung der verschiedenen Transplantate bislang keinen entscheidenden
Unterschied nachweisen. Tendenziell zeigt sich jedoch eine erhöhte Spendermorbidität
bei Verwendung der Patellarsehne. Gegenstand aktueller Untersuchungen und Diskussionen
ist nach wie vor die Positionierung der Bohrkanäle bezüglich der unterschiedlichen
biomechanischen Bedeutung des postero-lateralen und des antero-medialen Bündels. Das
postero-laterale Bündel besitzt seine größte stabilisierende Funktion bei einer Kniegelenksstellung
zwischen 0 und 40 Grad Beugung. Das antero-mediale Bündel hingegen wirkt eher isometrisch.
Diese biomechanischen Grundlagen führten dazu, Techniken zu entwickeln, mit denen
eine separate Rekonstruktion des antero-medialen und postero-lateralen Bündels als
sog. Doppelbündeltechniken möglich sind. Die Frage der Einzelbündel- oder Doppelbündelrekonstruktion
kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantwortet werden. Wesentlich für beide Techniken
ist die korrekte Platzierung der Bohrkanäle.
Mit der Zunahme der VKB-Ersatzoperation steigt auch die Zahl der Revisionsoperationen
bei fehlgeschlagener Kreuzbandrekonstruktion stetig. In Abhängigkeit von Operationsverfahren
und Transplantatwahl werden Werte von 8 - 25 % angegeben. Die häufigsten Gründe für
eine fehlgeschlagene primäre VKB-Rekonstruktion sind operationstechnische Faktoren.
Eine genaue radiologische und klinische präoperative Planung ist notwendig, um ein
optimales postoperatives Ergebnis zu erzielen. Als Transplantat zur Revision stehen
das mittlere Drittel des Ligamentum patellae als Bone-tendon-bone-Transplantat sowie
ein Anteil der Quadrizepssehne zur Verfügung. Ein häufiges Problem stellt die oft
erhebliche Tunnelaufweitung der Bohrkanäle dar. Um in solchen Fällen eine stabile
Fixierung zu erlangen und eine sichere Transplantateinheilung zu gewährleisten wird
die Verwendung eines Transplantats mit großem anhaftenden Knochenblock empfohlen.
Eine zusätzliche Auffüllung des aufgeweiteten Kanals mit Knochenmaterial kann notwendig
sein. Entscheidungkriterien für das ein- oder zweizeitige Vorgehen bei der Revision
werden in dem in diesem Heft publizierten Artikel aufgezeigt.
D. Albrecht, Tübingen