Hartmut Lode, Berlin
Tobias Welte, Hannover
Nicht allein die Zunahme multiresistenter Bakterien ist der Grund, warum immer wieder
der Wunsch nach neuen und effektiven Antibiotika laut wird. In Zukunft werden wir
uns auch immer mehr älteren, multimorbiden Patienten gegenüber sehen, bei denen ein
bakterieller Infekt - gerade mit resistenten Erregern - die Komplikationsrate rasant
ansteigen lässt. Welche Herausforderungen schon heute in der Infektiologie warten
und wie darauf am besten zu reagieren ist, darüber haben uns Prof. Hartmut Lode, Berlin,
und Prof. Tobias Welte, Hannover, kompetent Auskunft gegeben. Besonderer Fokus liegt
dabei auf der ambulant erworbenen und der nosokomialen Pneumonie, die schon jetzt
als häufigste, potenziell tödliche Infektionskrankheiten in der westlichen Welt gelten.
? Wie sehen Sie die Resistenzentwicklung bakterieller Erreger in den USA, in Europa
und in Deutschland?
Prof. Tobias Welte: Sie ist in den einzelnen Ländern verschieden einzuschätzen. In den USA haben wir
eine schon beinahe katastrophale Situation mit mehr als 50 % Resistenzen beispielsweise
bei Staphylococcus aureus, mit einer steigenden Resistenzrate bei klassischen Erregern
wie E. coli und mit beginnenden Resistenzproblemen bei Keimen wie Streptococcus pneumoniae,
die bisher keine Problematik gezeigt haben.
In Europa ist die Lage sehr unterschiedlich. Die nordeuropäischen Länder, Skandinavien,
die Niederlande, die Schweiz und auch Deutschland haben moderate bis überhaupt nicht
nachweisbare Resistenzraten für diese Erreger, während in Südeuropa Resistenzprobleme
anzutreffen sind, die denen der USA gleichen. In Griechenland beispielsweise sind
die Probleme noch schwerwiegender als ich sie bisher geschildert habe.
Prof. Hartmut Lode: Problematisch in der Klinik sind vor allem die immer häufiger auftretenden Infektionen
mit methicillinresistenten Staphylococcus-aureus-Stämmen (MRSA). Auf deutschen Intensivstationen
betragen die MRSA-Raten bis zu 35 %! Andere grampositive Keime, wie zum Beispiel die
Pneumokokken sind dagegen hierzulande - anders als in Südeuropa und den USA - noch
ein geringeres Problem.
Im gramnegativen Spektrum wiederum sind es polyresistente Pseudomonas-, Acinetobacter-
und Stenotrophomonas-Spezies, die uns Sorgen machen, da sie inzwischen auf Intensiv-
und Transplantationsstationen weit verbreitet sind. Immer häufiger finden sich auch
Betalaktamasebildner ("extended spectrum"-Betalaktamasen, also ESBL, und AmpC-Betalaktamasen)
bei den Enterobakterien. ESBL-Gene sind in den Spezies E. coli und E. cloacae, aber
auch bei K. pneumoniae und K. oxytoca nachgewiesen worden.
Internationale Studien deuten zudem auf einen Zusammenhang zwischen dem Verbrauch
an Antibiotika und dem Anstieg der Cephalosporinresistenz hin. In Deutschland sind
zurzeit etwa 5 % der klinischen E.-coli-Isolate betroffen - mit steigender Tendenz.
? Welche Auswirkungen hat dies auf die antibiotische Behandlung?
Lode: Bei anamnestisch zu belegenden Risikofaktoren für resistente Erreger muss bei jedem
Patienten zumindest in der Phase der kalkulierten Behandlung zu Beginn der Therapie
eine wirksame, zumeist kombinierte Antibiotikabehandlung auf der Basis der gegenwärtigen
Leitlinien erfolgen. Dabei ist die lokale Erreger- und Resistenzepidemiologie zu berücksichtigen
und nach Erhalt der mikrobiologischen Ergebnisse eine Deeskalation der Therapie auf
der Basis des klinischen Verlaufs anzustreben. Auch zu berücksichtigen sind die Komorbiditäten
und das Risikoprofil einzelner Patienten.
? Gibt es wichtige Aspekte, die gerade im Fall von Pneumonien neu bedacht werden müssen?
Welte: Ja, durchaus! Beispielsweise hat sich in Deutschland in den letzten Jahren bezogen
auf Streptococcus pneumoniae eine nennenswerte Resistenzsituation gegen sogenannte
Makrolidantibiotika herausgebildet, die in dieser Situation bisher als Standard galten.
Dementsprechend werden Makrolidantibiotika in den 2005 publizierten Leitlinien nicht
mehr zur Erstlinientherapie empfohlen. Erste Probleme mit gängigen Betalaktamantibiotika
gibt es darüber hinaus bei gramnegativen Erregern wie E. coli, da hier immer mehr
ESBL-Bildner zu verzeichnen sind.
Ambulant erworbene, methicillinresistente Staphylokokken (MRSA) sind zwar hierzulande
noch kein nennenswertes Problem. Aber aus Erfahrungen mit anderen resistenten Erregern
kann man erwarten, dass sie innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre auch in Europa,
wie schon jetzt in den USA, schwer behandelbare Pneumonien hervorrufen werden.
? Müssen demnach "alte" antibiotische Therapiestrategien modifiziert werden und wie
wichtig ist die Entwicklung neuer Substanzen?
Lode: Der beträchtliche Bedarf an neuen Antibiotika ergibt sich insbesondere aus den Resistenzproblemen
in der Klinik - wobei vor allem wirksame Substanzen zur Therapie von Infektionen mit
gramnegativen Keimen dringend benötigt werden!
Welte: Momentan können wir in Deutschland bewährte Antibiotika, wie die Penicillinderivate,
Cephalosporine und ähnliche so genannte Betalaktamsubstanzen einsetzen. Vorsicht geboten
ist allerdings bei den Makrolidantibiotika, wobei dies derzeit aber noch mit klassischen
Antibiotika zu kompensieren ist. Spätestens mit der Zunahme der EBSL-bildenden Erreger
und vor allem, wenn die ambulant erworbenen MRSA auf uns zu kommen, sind klassische
Antibiotika jedoch keine Therapieoption mehr. Dazu brauchen wir neu entwickelte Substanzen,
wie zum Beispiel das Tigecyclin.
? Welche Vorschläge würden Sie forschenden Pharmaunternehmen in Hinblick auf die Konzeption
klinischer Studien für neue Antibiotika machen?
Welte: Mit Pneumonien, die sowohl im ambulanten Bereich als auch in der Klinik von großer
Bedeutung sind, und intraabdominellen Infektionen, die vor allem nach chirurgischen
Eingriffen eine wesentliche Rolle spielen, müssen wir uns zwei wichtigen Problemfeldern
stellen. Dazu kommt noch die Sepsis, die mit einer hohen Sterblichkeit einhergeht.
Ein neues Antibiotikum muss meines Erachtens in einer dieser drei Indikationen seine
Effektivität beweisen.
? Publizierte Daten für diese "Problemfälle" gibt es bislang nur für wenige neue Antibiotika.
Welche davon sind ihrer Meinung nach in Bezug auf die Pneumonie relevant?
Lode: Zum einen unterstreichen neue Publikationen, dass zumindest bei einer schwer verlaufenden
Pneumonie die Kombination aus einem Betalaktamantibiotikum mit einem Makrolid sinnvoll
und erfolgreich ist. Bisher nur als Poster stehen jetzt auch erste Ergebnisse mit
Tigecyclin bei der ambulant erworbenen Pneumonie zur Verfügung, die auf eine Gleichwertigkeit
dieses neuen Präparates im Vergleich zu Levofloxacin hindeuten. Dies ist sehr ermutigend,
da in absehbarer Zeit sicherlich auch bei Pneumokokkeninfektionen mit mehr Resistenzproblemen
gegenüber derzeit empfohlener Substanzen zu rechnen ist.
Für einige neue Antibiotika wie Tigecyclin, Ceftobiprol und Telavancin gibt es bereits
erste Ergebnisse zur sogenannten "hospital aquired pneumonia" (HAP) - oder die Daten
werden in Kürze veröffentlich werden. Allerdings ist die Interpretation der Ergebnisse
dieser weltweiten multizentrischen Studien trotz ihres randomisierten doppelblinden
Studiendesigns nicht einfach. Als Beispiel sei auf die ungewöhnlich hohen positiven
Studienergebnisse mit Imipenem in einigen Studienzentren der HAP-Vergleichsstudie
zu Tigecyclin hingewiesen.
Eine neue Identität der Pneumonie, ist zudem die HCAP, die im Pflegeheim erworbene
Pneumonie. Bis zu 60 % der in die Klinik eingewiesenen Patienten mit einer ambulant
erworbenen Pneumonie leiden an einer HCAP. Neueste Studien aus Europa von Carratala
J et al. deuten auch in dieser Situation auf Pneumokokken als unverändert am häufigsten
involvierte Erreger hin, allerdings werden gramnegative Keime und Legionellen häufiger
nachgewiesen als bei Patienten mit ambulant erworbener Pneumonie. Deutlich erhöht
ist zudem die Zahl der Aspirationspneumonien mit dem dort typischen Mischinfektionsbild
aus anaeroben und gramnegativen Keimen. Auch hier können neue Therapieoptionen wie
das Tygacil eine Alternative sein.
? Die Gründung von CAPNETZ, unterstreicht die Bedeutung der ambulant erworbenen Pneumonie.
Welche Ziele setzt sich dieses Kompetenznetz in Deutschland?
Welte: Primäre Aufgabe war es, Versorgungsforschung und Grundlagenforschung sinnvoll zu
vernetzen - also niedergelassene Ärzte, Klinikärzte, aber auch Grundlagenforscher.
Darüber hinaus bildet das Kompetenznetz inzwischen eine Plattform, auf der die mikrobiologische
Entwicklung - Erreger und Resistenzen - studiert werden können. Zudem besteht mit
dem etablierten Netz eine Möglichkeit, neue Substanzen im Hinblick auf ihre Wirksamkeit
bei Pneumonie in neuen Therapiestudien möglichst schnell zu erforschen. Zum Beispiel
hat CAPNETZ viele Patienten in die Zulassungsstudien für einige neue Antiinfektiva
eingeschleust. Jetzt muss man auf die Auswertung warten und kann nur hoffen, dass
sie den Markt auch in kurzer Zeit erreichen werden.
! Herr Professor Lode, Herr Professor Welte, wir danken Ihnen für dieses interessante
Gespräch!