Dtsch Med Wochenschr 2007; 132(44): 2343-2344
DOI: 10.1055/s-2007-991657
Korrespondenz | Correspondence
Leserbrief
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Medizinethische Aspekte im Umgang mit muslimischen Patienten - Erwiderung

I. Ilkilic
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Publication Date:
24 October 2007 (online)

Ich danke Herrn Dr. Röggla, seiner Kollegin und seinem Kollegen für ihren Leserbrief, der eine wichtige medizinethische Frage aufgreift, nämlich die praktischen Implikationen der medizinethischen Prinzipien in einer wertpluralen Gesellschaft.

Mein von Röggla et al. kritisch hinterfragter Satz: „Dem mutmaßlichen Patientenwillen kann in verschiedenen Kulturen ein unterschiedlicher Stellenwert beigemessen werden” [4] ist als eine deskriptive Aussage zu verstehen und möchte somit den „Ist-Zustand” in der medizinischen Praxis mancher europäischen Krankenhäuser zum Ausdruck bringen. Dieser Zustand wurde durch das auf derselben Seite dargestellte reale Fallbeispiel konkretisiert. Der vorige Satz „Es ist unter der muslimischen Bevölkerung oft der Wunsch und Anspruch auf familiäre Mitbestimmung bei solchen Entscheidungen vorzufinden” [4] dürfte diese Feststellung veranschaulichen. Deswegen ist dieser Satz nicht als normative Aussage zu verstehen und folglich plädiert er nicht für einen „Soll-Zustand”. Ich bin für diese Kritik dankbar, weil sie mir die Möglichkeit gegeben hat, meine Position zu präzisieren.

Der Leserbrief von Röggla und seinen Kollegen bietet uns auch die Gelegenheit, den normativen Stellenwert der Prinzipienethik [1] in einer wertpluralen Gesellschaft zu problematisieren. Die philosophisch-ethischen Inkonsistenzen dieses Ansatzes sind in der medizinethischen Literatur ausführlich diskutiert worden, die hier nicht aufgegriffen werden kann [2] [3] [6]. Dieser Ansatz stellt zwar das Prinzip „Respekt vor Patientenautonomie” ins Zentrum, vermittelt aber dabei wenig verbindliche Anknüpfungspunkte und ethisch gerechtfertigte Anwendungsoptionen für ein transkulturelles Arzt-Patienten-Verhältnis [5].

Ich stimme Röggla et al. zu, dass die freiwillige Entscheidung des Patienten, unabhängig seiner kulturellen Herkunft, ein fester Bestandteil der medizinethischen Konfliktlösung in einer wertpluralen Gesellschaft sein soll. Es wäre jedoch ethisch problematisch, wenn man aus dieser Position eine kulturinvariante Umsetzung der medizinethischen Prinzipien ableiten würde. Deswegen sollten die praktischen Implikationen dieser Prinzipien bei der Lösung medizinethischer Fragen im Praxis- und Krankenhausalltag nochmals kultursensibel durchdacht und reflektiert werden. In diesem Reflexionsprozess sollten Stereotypisierung und Pauschalisierung vermieden werden. Eine Routine-Anwendung bestimmter medizinethischer Prinzipien kann zwar als eine „Gleichbehandlung” der Patienten unterschiedlicher kultureller Herkunft betrachtet werden, was aber nicht immer „ethisch gerechtfertigt” sein mag.

Literatur

  • 1 Beauchamp T, Childress J. Principles of Biomedical Ethics, 5th Ed. Oxford University Press 2001
  • 2 Birnbacher D. Welche Ethik ist als Bioethik tauglich? . In: Ach JS, Gaidt A (Hg) Herausforderung der Bioethik. Frommann-Holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt 1993: 45-67
  • 3 Clouser K D, Gert B. A Critique of Principlism.  J Med Philos. 1990;  15 219-236
  • 4 Ilkilic I. Medizinethische Aspekte im Umgang mit muslimischen Patienten.  Dtsch Med Wochenschr. 2007;  132 1587-1590
  • 5 Ilkilic I. Der muslimische Patient. Medizinethische Aspekte des muslimischen Krankheitsverständnisses in einer wertpluralen Gesellschaft. LIT Verlag Münster 2002: 135-180
  • 6 Rauprich O, Steger F. Prinzipienethik in der Biomedizin. Moralphilosophie und medizinische Praxis. 1 Aufl. Campus Frankfurt a. M./New York 2005

Dr. med.(TR), Dr. phil. Ilhan Ilkilic, M.A. 

Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Johannes Gutenberg Universität-Mainz

Am Pulverturm 13

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