Die DCOR[1]-Studie [6] wurde in der jüngsten Ausgabe von Kidney International publiziert. Die Studie untersuchte
erstmals an einer großen Probandengruppe, ob sich eine Therapie mit Sevelamer im Vergleich
zu kalziumhaltigen Phosphatbindern positiv auf Mortalität und Morbidität der Patienten
auswirkt.
Erst Anfang des Jahres wurden die Ergebnisse einer ganz ähnlichen Vergleichsstudie,
der RIND[2]-Studie [2], veröffentlicht. Auch sie untersuchte die Effekte einer Therapie mit Sevelamer und
verglich sie mit denen der herkömmlichen, kalziumhaltigen Phosphatbindertherapie.
Die aus den beiden Studien gewonnen Mortalitätsdaten weichen jedoch deutlich voneinander
ab, weshalb sich ein näheres Hinschauen bezüglich der Unterschiede im Studiendesign
und der Population lohnt - denn dann erkennt man: Trotz markanter Unterschiede sind
die Daten nicht widersprüchlich.
DCOR: Die bisher größte Outcome-Studie bei Hämodialysepatienten
DCOR: Die bisher größte Outcome-Studie bei Hämodialysepatienten
Die DCOR-Studie ist die bisher größte Outcome-Studie mit Hämodialysepatienten. 2 103
Patienten aus 75 Dialyseeinrichtungen in den USA nahmen an der Vergleichsstudie teil
und wurden randomisiert: Die Patientenpopulationen beider Behandlungsgruppen waren
hinsichtlich demografischer Faktoren und grundlegender klinischer Symptomatik identisch.
Die Studienteilnehmer erhielten entweder kalziumhaltige Phosphatbinder (70% erhielten
Kalziumazetat, 30% Kalziumkarbonat), die in Deutschland die Standardtherapie darstellen,
oder den kalzium- und metallfreien Phosphatbinder Sevelamer, den meistverschriebenen
Phosphatbinder in den USA. Wie vorhergehende Studien (z. B. "Treat-to-Goal"-Studie;
4) bereits zeigen konnten, schreitet unter Sevelamer die Gefäßverkalkung der Patienten
signifikant langsamer voran als unter einer Phosphatbindertherapie auf Kalziumbasis.
Ob dies zu einem deutlichen Unterschied im Überleben für alle Dialysepatienten führt,
sollte Gegenstand dieser Untersuchung sein.
Mortalität in DCOR
Mortalität in DCOR
Die DCOR-Studie erreichte ihren primären Endpunkt, die signifikante Verringerung der
Gesamtmortalität, nicht. Einen Grund dafür sehen die Autoren Suki et al. darin, dass
deutlich weniger Mortalitätsfälle als angenommen auftraten oder - so der Umkehrschluss
- die Studie nicht genügend "gepowert" war, um Ergebnisse einer hohen statistischen
Relevanz für das Gesamtkollektiv erzielen zu können. Hier ließ sich ein Trend aufzeigen:
Unter Therapie mit Sevelamer kam es gegenüber der Vergleichsgruppe zu einer 7%igen
Reduktion der Gesamtmortalität (p = 0,4).
Eindeutige Ergebnisse zeigten sich aber in der Analyse der Subgruppen. Eine Subgruppenanalyse
der Patienten über 65 Jahre war bereits zu Studienbeginn geplant und brachte eindrucksvolle
Ergebnisse (Abb. [1]). In dieser Patientengruppe gab es einen deutlichen, statistisch relevanten Unterschied
(p = 0,02): Bei den Patienten, die Sevelamer erhielten, verminderte sich die allgemeine
Mortalität um 23% im Vergleich zum Studienarm, der mit kalziumhaltigen Phosphatbindern
therapiert wurde. Auch hinsichtlich der kardiovaskulären Mortalität gab es in der
älteren Patientenklientel einen positiven Trend zu beobachten. Diese Ergebnisse sind
von besonderer Relevanz für den klinischen Alltag, da ein Großteil der Dialysepatienten
älter als 65 Jahre ist.
Abb. 1 DCOR: Überlebensvorteil bei den über 65-jährigen Patienten
Auch eine zweite Subgruppe fiel auf: Patienten, die länger als zwei Jahre Phosphatbinder
erhielten profitierten ebenfalls von der Therapie mit dem kalzium- und metallfreien
Phosphatbinder Sevelamer. Es gab einen signifikanten Unterschied in der Mortalität
(p = 0,02), der jedoch erst post-hoc berechnet wurde. Offensichtlich spielt es also
auch eine Rolle für das Outcome, über welchen Zeitraum Phosphatbinder verschrieben
werden.
Trend zu geringerer Hospitalisierung
Trend zu geringerer Hospitalisierung
Ebenso profitieren Dialysepatienten hinsichtlich der Morbidität von Sevelamer: Die
durchschnittliche Anzahl der Hospitalisierungen betrug im Sevelamerarm 2,1 pro Patient
pro Jahr, im Kalziumarm 2,3 - ein Unterschied, der sich bei den über 65-Jährigen noch
vergrößert (2,1 zu 2,9). Auch die Dauer des Krankenhausaufenthalts ging zurück. Die
Feinauswertung der DCOR-Morbiditätsdaten von St. Peter et al. [5] dokumentiert den Trend zur Reduktion der allgemeinen Hospitalisierungsrate und schlüsselt
die Daten detailliert nach Ersteinweisung, Mehrfacheinweisung, Krankenhaustagen, Single-
oder Multimorbidität auf.
Eine weitere Vergleichsstudie - "RIND"
Eine weitere Vergleichsstudie - "RIND"
Die RIND-Studie war im grundsätzlichen Studiendesign zwar ähnlich angelegt wie die
DCOR-Studie, unterschied sich aber in einigen wesentlichen Parametern: DCOR schloss
Patienten ein, die bereits über zwei Jahre dialysepflichtig waren. RIND schloss neue
Dialysepatienten ein und kam im Gegensatz zu DCOR zu signifikanten Ergebnissen.
Primärer Endpunkt war der Grad der Kalzifizierungsprogression an den Koronararterien.
Die Mortalität wurde in einer Langzeitbeobachtung analysiert. Die Studie schloss insgesamt
127 Patienten ein, die entweder mit kalziumhaltigen Phosphatbindern oder Sevelamer
behandelt wurden. Die Ergebnisse hinsichtlich der Mortalität waren beeindruckend:
Während der 44-monatigen Nachbeobachtungsphase verstarben insgesamt 34 Patienten,
23 aus dem Studienarm, der mit kalziumhaltigen Phosphatbindern behandelt wurde, aber
nur elf aus dem Sevelamerarm. Die Differenz hinsichtlich der Mortalität zwischen beiden
Therapieregimen war statistisch signifikant (p = 0,05), und sie vergrößerte sich sogar
noch nach Adjustierung verschiedener Einflussgrößen wie Alter, ethnischer Zugehörigkeit
oder Geschlecht (p = 0,016) (Abb. [2]).
Abb. 2 RIND-Langzeitergebnisse: Mortalität in Abhängigkeit von der Phosphatbinder-Wahl
Die Studie brachte hinsichtlich der Sterblichkeit noch einen neuen Aspekt zum Vorschein:
Die Ausgangskalzifizierung schien mit dem Überleben zu korrelieren, denn je höher
der Grad der Verkalkung schon zu Beginn der Behandlung war, desto größer war auch
das Mortalitätsrisiko. Der Risikofaktor "Ausgangskalzifizierung" kam in beiden Studienarmen
zum Tragen, er ist somit offensichtlich ein von der Wahl des Phosphatbinders unabhängiger
Prädiktor für die Überlebenszeit.
Weniger Verkalkung unter Sevelamer
Weniger Verkalkung unter Sevelamer
Auch hinsichtlich des primären Endpunktes lieferte die RIND-Studie signifikante Ergebnisse.
Die Gefäßverkalkung schritt unter der Therapie mit kalziumhaltigen Phosphatbindern
deutlich rasanter fort als unter Sevelamer. Bereits nach 18 Monaten war die absolute
mediane Gefäßverkalkung in der "Kalziumgruppe" um den Faktor elf höher als in der
"Sevelamergruppe" (p = 0,01).
Die Daten untermauern somit die Ergebnisse früherer Studien: Sowohl die "Treat-to-Goal"-Studie
(TTG) (4), in der 200 Hämodialysepatienten randomisiert entweder mit kalziumhaltigen
Phosphatbindern oder mit Sevelamer behandelt wurden, als auch ihre europäische Fortsetzung
von Asmus et al. [1] hatten bereits gezeigt, dass die Therapie mit Sevelamer das Fortschreiten der Gefäßkalzifizierung
deutlich verlangsamt. So stieg beispielsweise in TTG bis zur Woche 104 die Kalzifizierung
der Koronararterien in der mit kalziumhaltigen Phosphatbindern behandelten Patientengruppe
um 83%, in der Sevelamervergleichsgruppe hingegen nur um 20% an.
Trend versus Signifikanz - wie geht man mit unterschiedlichen Ergebnissen um?
Trend versus Signifikanz - wie geht man mit unterschiedlichen Ergebnissen um?
Während die RIND-Studie zu einem eindeutigen Ergebnis für alle Dialysepatienten kam,
konnte die DCOR-Studie nur einen Trend aufzeigen. Eine Erklärung könnten hier die
unterschiedlichen Studienpopulationen liefern: DCOR schloss ausschließlich Hämodialysepatienten
ein, die seit mindestens zwei Jahren dialysiert wurden, während die RIND-Studie ausschließlich
Neudialysepatienten einschloss.
Führt man sich vor Augen, dass der Anfangskalzifikationsscore ein wichtiger und von
der Wahl des Phosphatbinders unabhängiger Prädiktor für die Mortalität ist, wird deutlich,
dass der Benefit von Sevelamer bei Patienten, die bereits schwer verkalkt sind, nicht
mehr so stark zum Tragen kommen kann wie bei Patienten ohne nennenswerte Gefäßverkalkungen.
Zudem weisen Neudialysepatienten in der Regel geringere Verkalkungsscores auf als
Patienten, die bereits über Jahre dialysiert wurden.
Block et al., die Autoren von RIND, schlossen demnach "gesündere" Patienten, sprich
Patienten mit gesünderen Gefäßen ein - und diese Patienten können offensichtlich deutlich
stärker von der kalzium- und metallfreien Phosphatbindertherapie profitieren. Aber
selbst bei den Patienten mit einem höheren Verkalkungsscore war noch ein protektiver
Effekt von Sevelamer zu sehen.
Ein weiterer Grund könnte der unterschiedliche Beobachtungszeitraum sein. Während
in DCOR die Patienten nur 44 Monate, also nur 3,6 Jahre, beobachtet wurden, lief die
RIND-Studie über fünf Jahre. Ein gut eineinhalb Jahre längerer Beobachtungszeitraum
kann hinsichtlich der Signifikanz der Ergebnisse einen großen Unterschied machen.
Hinzu könnte auch kommen, dass DCOR im Vergleich zu RIND eine "real life"-Erhebung
war, die Patienten also nicht unter besonderen Studienbedingen, sondern unter ganz
normalen "Alltagsbedingungen" stellte, weshalb natürlich auch übliche "Alltagsprobleme"
wie eine mangelnde Compliance zum Tragen kommen können. Phosphatbinder, die nicht
eingenommen werden, können auch nicht wirken - und solche Einnahmefehler oder gar
-verweigerungen können das Ergebnis von Studien weniger prägnant ausfallen lassen.
Der Kalzifizierung von Beginn an entgegenwirken
Der Kalzifizierung von Beginn an entgegenwirken
Da Patienten mit hohen Kalzifizierungsscores ein dramatisch schlechteres Outcome haben,
sollte alles daran gesetzt werden, die Gefäßgesundheit von chronisch nierenkranken
Patienten von Anfang an zu schützen und Verkalkungen entgegenzuwirken. Unter Sevelamer
schreitet die Kalzifizierung deutlich langsamer voran als unter Therapie mit kalziumhaltigen
Phosphatbindern, dies konnten verschiedene Studien zeigen. Sevelamer ist somit "gefäßprotektiv"
und wirkt der Gefäßverkalkung entgegen.
Die Kalzifizierung der Gefäße scheint ein multifaktorieller Prozess zu sein, den Sevelamer
an mehreren Wirkorten beeinflusst. So senkt Sevelamer das LDL-Cholesterin sowie den
Entzündungsmarker CRP (C-reaktives Protein) und erhöht den Fetuin-A-Spiegel. Das spricht
für einen frühzeitigen Einsatz der Therapie mit dem kalzium- und metallfreien Phosphatbinder.
Unter den vorliegenden Studiendaten scheint Sevelamer der einzige Phosphatbinder zu
sein, der einen positiven Einfluss auf die Kalzifizierung und das Überleben von Dialysepatienten
hat.
Mit kalziumfreiem Phosphatbinder die Chance auf Überleben erhöhen
Mit kalziumfreiem Phosphatbinder die Chance auf Überleben erhöhen
DCOR und RIND brachten zwar unterschiedliche, aber keineswegs widersprüchliche Ergebnisse.
Der DCOR-Studie zufolge verbessert Sevelamer die Überlebenswahrscheinlichkeit von
über 65-jährigen Dialysepatienten. Laut RIND-Studie profitieren alle neuen Dialysepatienten
durch eine Reduktion der Mortalität. Beide Studien zeigen, dass die Wahl von Sevelamer
als kalziumfreier Phosphatbinder gegenüber anderen Phosphatbindern einen direkten
Einfluss auf das Überleben haben kann.
Dr. Bettina Albers, Weimar
Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Genzyme GmbH, Neu-Isenburg