Einleitung
Einleitung
Das Cornu cutaneum ist ein klinischer Begriff, der einen tierhornartigen Tumor der
Haut oder seltener auch der hautnahen Schleimhäute beschreibt. Besonders größere Exemplare
dieser Hauthörner haben zu allen Zeiten die Phantasie der Menschen angeregt. In der
griechischen und römischen Mythologie wurden Götter oder Naturgeister wie Pan, Satyr
und Faunus mit Ziegenfüßen und Ziegenhörnern dargestellt, Attribute, die in christlicher
Zeit auch das Bild des Teufels geprägt haben. Dass das Cornu cutaneum als Vorbild
für die Darstellung mythologischer Figuren gedient haben könnte, erscheint dabei durchaus
vorstellbar [1]. Aber auch in unserer vermeintlich aufgeklärten Zeit finden sich vereinzelt fast
atavistisch anmutende Berichte, z. B. über Angehörige betroffener Patienten, die deren
Betreuung ablehnten, da unüberwindbare Ängste vor der aufgetretenen „Teufelskralle”
bestanden [2]. Diesen Furcht einflößenden und geheimnisvollen Aspekten des Cornu cutaneum lässt
sich in der medizinischen Praxis die vielschichtige und somit zunächst auch häufig
rätselhafte Histogenese des Hauthorns entgegenstellen. Dabei ist es zweifellos ungewöhnlich,
dass ein klinisch sehr prägnanter und somit leicht einzuordnender Befund zur Diagnose
sehr unterschiedlicher Dermatosen führen kann, die sich darüber hinaus auch durch
ihre jeweilige Dignität voneinander abgrenzen lassen. Zu diesen Erkrankungen zählen
so verschiedenartige Dermatosen wie z. B. die Pomadenkruste, die vulgäre Warze oder
das Plattenepithelkarzinom. Das Cornu cutaneum ist somit keine Diagnose sui generis,
sondern bedarf vielmehr stets einer histologischen Einordnung.
Häufigkeit
Häufigkeit
Angaben zur Inzidenz oder Prävalenz der Cornua cutanea sind in der Literatur nicht
dokumentiert. Nur innerhalb selektionierter Patientengruppen oder bei kutanen Tumorerkrankungen
in umschriebenen anatomischen Arealen finden sich vereinzelt Angaben zur Häufigkeit
der Cornua cutanea. Bei der Auswertung großer histopathologischer Statistiken der
Hautkliniken Liverpool und Louisville wurde das Cornu cutaneum mit einer Häufigkeit
von 0,6 bis 1,3 % beobachtet, bezogen auf alle in den beiden Kliniken jeweils beurteilten
kutanen Biopsien [3]
[4]. Eine retrospektive Analyse von 1200 in der Universitäts-Augenklinik Madrid exzidierten
Lidtumoren ergab eine Häufigkeit der Cornua cutanea von 4 % innerhalb dieser Gruppe
[5]. Diese Häufigkeit ist zweifellos auf die Selektion der Patienten mit Lidtumoren
zurückzuführen, da die Lidchirurgie als eine Domäne der Ophthalmologen angesehen werden
muss. Im eigenen Krankengut der Hautklinik Bremerhaven wurden im Jahr 2006 bei insgesamt
4600 Patienten 12 Cornua cutanea diagnostiziert, was einer Häufigkeit von etwa 0,3
% entspricht.
Altersangaben
Altersangaben
Die Cornua cutanea entwickeln sich typischerweise bei älteren Patienten zwischen dem
6. und 7. Dezennium. Bei Untersuchungen der Arbeitsgruppen von Copcu, Mencia-Gutierrez
und Petzelbauer wurde zum Zeitpunkt der Diagnose ein mittleres Alter von 57, 62 oder
69 Jahren angegeben [5]
[6]
[7]. Auch die von Cramer et al. beobachteten Patienten waren fast ausschließlich älter
als 50 Jahre [8]. Nur in seltenen Ausnahmefällen konnte ein Cornu cutaneum bei Kindern oder Jugendlichen
nachgewiesen werden [5]
[9]. Unabhängig vom höheren Alter der Patienten in den ausgewerteten Gesamtkollektiven
konnte bei einzelnen Studien zusätzlich ein geschlechtsspezifischer Altersunterschied
ermittelt werden, wobei jedoch keine übereinstimmenden Ergebnisse festgestellt werden
konnten. Bei den Untersuchungen von Copcu et al. lag das mittlere Alter der männlichen
Patienten bei 55, das der Frauen hingegen bei 65 Jahren [6]. Eine Umkehr der Verteilung zeigte sich bei der Datenanalyse von Mencia-Gutierrez
et al. Die Autoren berechneten bei Frauen ein mittleres Alter von 55 Jahren, während
bei Männern ein solches von 64 Jahren vorlag [5]. Eine weitere wiederum übereinstimmende Aussage konnte zur Altersverteilung der
Cornua cutanea in Abhängigkeit von der Dignität der jeweils zugrunde liegenden Dermatosen
getroffen werden. Dabei gilt, dass die Häufigkeit einer Präkanzerose oder einer malignen
Neoplasie als Ursache eines Cornu cutaneum mit höherem Alter zunimmt, wobei diese
Beobachtung zweifellos auf die ebenfalls altersabhängig zunehmenden Inzidenzraten
der entsprechenden Dermatosen zurückzuführen ist, z. B. bei den aktinischen Keratosen
oder den Plattenepithelkarzinomen. In zwei Untersuchungen wurde bei benignen Läsionen
ein mittleres Alter von 61 bzw. 62 Jahren angegeben, während bei prämalignen oder
malignen Läsionen mit jeweils 65 Jahren ein im Mittel höheres Alter der Patienten
festgestellt werden konnte [5]
[10]. Die gleiche Altersstruktur konnte auch bei den Untersuchungen von Yu et al. nachgewiesen
werden [3]. Hier betrug das mittlere Alter bei benignen Läsionen 61 Jahre. Bei Präkanzerosen
waren die Patienten im Mittel 6,5 und bei malignen Neoplasien weitere 5,6 Jahre älter.
Geschlechtsverteilung
Geschlechtsverteilung
Die in der Literatur angegebenen Daten zur Geschlechtsverteilung der Cornua cutanea
zeigen in Abhängigkeit von der Anzahl der jeweils erfassten Patienten nur geringfügige
Variationen. Bei den Untersuchungen der Arbeitsgruppen von Bart und Mencia-Gutierrez,
bei denen die Befunde von 35 bzw. 43 Patienten ausgewertet wurden, konnte ein etwas
häufigeres Auftreten der Tumorform bei Männern mit einem Verhältnis männlicher zu
weiblichen Patienten von 2,18 : 1 und von 1,2 : 1 ermittelt werden [5]
[10]. In der Studie von Yu et al., bei der mit 643 Fällen das größte Patientenkollektiv
erfasst werden konnte, und bei einer weiteren Untersuchung histologischer Präparate
von Petzelbauer et al. fanden sich zu gleichen Teilen männliche und weibliche Patienten,
so dass man trotz der nicht sehr zahlreichen Studien von einer gleichmäßigen Geschlechtsverteilung
ausgehen kann [3]
[7].
Lokalisationen
Lokalisationen
Von wenigen Ausnahmen abgesehen sind die sonnenexponierten Hautareale die typischen
Lokalisationen für die Entstehung der Cornua cutanea, wobei der Kopf mit weitem Abstand
am häufigsten betroffen ist, gefolgt von den Handrücken und Unterarmen. Bei den Studien
der Arbeitsgruppen von Bart und Cramer betrug der Anteil der Cornua cutanea im Bereich
des Kopfes 62,1 bzw. 88,9 % [8]
[10]. Petzelbauer et al. konnten 53 von 62 ausgewerteten Fällen lichtexponierten Arealen
zuordnen, gemäß einer Häufigkeit von 84,8 % [7]. Nur wenige Cornua cutanea wurden am Stamm oder an den Extremitäten beobachtet einschließlich
der akralen Lokalisationen, z. B. an den Zehenendgliedern [2]
[8]. Als Rarität ist das Auftreten eines Cornu cutaneum an den Lippen, im Bereich der
bukkalen Mundschleimhaut oder am Penis zu werten [6]
[9]
[11]
[12].
Morphologie
Morphologie
Obwohl die klinische Morphologie des Cornu cutaneum Variationen beinhaltet, ist das
klinische Bild in seiner Gesamtheit doch unverwechselbar ([Abb. 1]
[2]
[3]
[4]
[5]
[6]). In der Mehrzahl der Fälle zeigt sich ein tierhornartig aufgebauter, konisch wachsender,
spießförmiger oder selten gewundener Tumor, der eine glatte oder raue Oberfläche aufweist
und durch eine derbe bis steinharte Konsistenz gekennzeichnet ist [5]
[8]. Als Variationen gelten säulenartige oder zylinderförmige Manifestationen mit plateauartigen
oder halbkugeligen Spitzen, die sich durch Krusten oder Schuppung auszeichnen [6]
[11]. Darüber hinaus werden Hauthörner beobachtet, die sich aus gruppiert stehenden,
filiformen Strängen zusammensetzen, eine Morphologie, die auf vulgäre Warzen hinweisen
kann [7]. Die Größe der Cornua cutanea variiert zwischen wenigen Millimetern und mehreren
Zentimetern. Größere Exemplare, die eine Länge von über 10 cm erreichen können, werden
auch als Cornu cutaneum giganteum bezeichnet [11]
[13]
[14]. Möglicherweise als Folge eines periodenhaften Wachstums können größere Hauthörner
Quer- oder Längsrillen aufweisen [2]
[15]. Während das eigentliche Horn eine gelbe, gelbbraune, graue oder schwarze Färbung
aufweist, ist die häufig wallartige Basis hautfarben oder rötlich tingiert [8]
[16]. Als seltene morphologische Besonderheit gelten an der Basis gestielt aufgebaute
und dann möglicherweise pendulierende oder ulzerierte Cornua cutanea [5].
Abb. 1 Cornu cutaneum linker Handrücken (aktinische Keratose).
Abb. 2 Cornu cutaneum der Unterlippe (Pomadenkruste).
Abb. 3 Cornu cutaneum Nasenspitze (Plattenepithelkarzinom).
Abb. 4 Cornu cutaneum rechts zervikal (Plattenepithelkarzinom).
Abb. 5 Cornu cutaneum rechte Augenbraue (Verruca vulgaris).
Abb. 6 Cornu cutaneum giganteum (Histologie ungeklärt).
Einteilung und Häufigkeiten der Cornua cutanea auf der Grundlage ihrer histopathologischen
Diagnosen
Einteilung und Häufigkeiten der Cornua cutanea auf der Grundlage ihrer histopathologischen
Diagnosen
Die einem Cornu cutaneum zugrunde liegenden Erkrankungen umfassen zahlreiche Dermatosen
unterschiedlicher Dignität, so dass die endgültige diagnostische Einordnung nur durch
histopathologische Untersuchungen erfolgen kann. Grundsätzlich lassen sich Dermatosen,
die als Cornu cutaneum auftreten können, in benigne, prämaligne und maligne Formen
einteilen. Dabei wurden in verschiedenen Studien übereinstimmend benigne Läsionen
am häufigsten beobachtet, gefolgt von prämalignen und malignen Neoplasien ([Tab. 1]). Innerhalb der Gruppe der benignen Dermatosen zeigten sich überwiegend vulgäre
Warzen und seborrhoische Keratosen. Bei den Untersuchungen der Arbeitsgruppen von
Mencia-Gutierrez, Schosser und Yu fand sich mit 15,6, 21,0 und 22,9 % für vulgäre
Warzen und 16,1, 21,0 und 22,9 % für seborrhoische Keratosen eine weitgehend übereinstimmende
Häufigkeitsverteilung [3]
[4]
[5]. Alle übrigen Diagnosen dieser Gruppe müssen als Raritäten angesehen werden und
wurden nur in Einzelfällen publiziert ([Tab. 2]). In der Gruppe der prämalignen Läsionen zeigten sich in den meisten Studien fast
ausschließlich aktinische Keratosen. Nur sehr vereinzelt konnte ein Morbus Bowen nachgewiesen
werden [4]
[5]
[7]
[8]. Eine Ausnahme stellen die Untersuchungsergebnisse von Yu et al. dar. Die Autoren
fanden bei 149 prämalignen Läsionen 123 aktinische Keratosen und 26 Fälle eines Morbus
Bowen, was einem Häufigkeitsverhältnis von etwa 5 : 1 entspricht [3]. Zu den malignen Neoplasien, die klinisch-morphologisch als Cornu cutaneum auftreten
können, zählen die Plattenepithelkarzinome und die Basalzellkarzinome. In den größeren
Statistiken wurden allerdings überwiegend oder sogar ausschließlich Plattenepithelkarzinome
beschrieben. Schosser et al. konnten bei ihren 230 Fällen einschließlich zweier gesondert
aufgeführter Keratoakanthome insgesamt 43 Plattenepithelkarzinome und drei Basalzellkarzinome
nachweisen. Bezogen auf die Gesamtzahl der ausgewerteten Befunde fanden sich somit
in 18,7 % der Fälle Plattenepithelkarzinome und nur in 1,3 % Basalzellkarzinome [4]. Bei den 101 von Yu et al. beschriebenen malignen Tumoren handelte es sich ohne
Ausnahme um Plattenepithelkarzinome [3]. Petzelbauer et al. konnten in der Gruppe der Malignome ebenfalls nur Plattenepithelkarzinome
nachweisen, während Mencia-Gutierrez et al. bei ihren Patienten jeweils zwei Plattenepithel-
und Basalzellkarzinome diagnostizieren konnten [5]
[7]. Darüber hinaus finden sich in der Literatur vereinzelte Kasuistiken, die ein Basalzellkarzinom
als Ursache eines Cornu cutaneum beschreiben [16]
[17]. Als Einzelfall muss die Beobachtung eines Kaposi-Sarkoms angesehen werden, das
sich klinisch-morphologisch als Cornu cutaneum entwickelt hatte [18].
Tab. 1 Cornua cutanea: Prozentuale Verteilung der Dignität der zugrunde liegenden Dermatosen
Autoren |
benigne |
prämaligne |
maligne |
Yu et al. N = 643 |
61,1 |
23,2 |
15,7 |
Schosser et al. N = 230 |
41,7 |
37,3 |
19,5 |
Petzelbauer et al. N = 62 |
64,4 |
27,4 |
8,2 |
Mencia-Gutierrez et al. N = 48 |
77,1 |
14,6 |
8,3 |
Tab. 2 Cornua cutanea: Seltene benigne Tumorformen
Angiokeratom |
(10) |
Benigne lichenoide Keratose |
(4) |
Chalazion |
(5) |
Epidermaler Nävus |
(7) |
Histiozytom |
(8) |
Invertierte follikuläre Keratose |
(15) |
Pomadenkruste |
(19) |
Proliferierender Trichilemmaltumor |
(20) |
Tricholemmale Keratose |
(21) |
Tricholemmale Zyste |
(3) |
Anhand ihrer 643 ausgewerteten Fälle konnten Yu et al. klinische Kriterien definieren,
die als orientierende Hinweise für die Dignität eines Cornu cutaneum herangezogen
werden können [3]. Demzufolge wird man bei höherem Lebensalter der Betroffenen, bei männlichen Patienten
und beim Auftreten der Cornua cutanea am Kopf oder an den Handrücken häufiger prämaligne
und maligne Neoplasien vorfinden als benigne Läsionen. Ein weiterer klinischer Hinweis
für die im Einzelfall vorliegende Dignität kann auch aus der Architektur des Cornu
cutaneum abgeleitet werden. Je kompakter ein Cornu cutaneum aufgebaut ist, d. h. je
kleiner sich das Verhältnis von Basis zur Höhe der Läsion darstellt, desto eher wird
ein prämaligner oder maligner Tumor vorliegen.
Therapieverfahren
Therapieverfahren
Von einzelnen Ausnahmen abgesehen, zu denen z. B. die Pomadenkrusten gezählt werden
können, wird die operative Entfernung eines Cornu cutaneum als die Behandlung der
Wahl angesehen [3]
[4]
[5]
[8]. Neben der üblicherweise durchgeführten Exzision wird von Petzelbauer et al. die
Kürettage mit nachfolgender elektrokaustischer Verschorfung des Wundgrundes favorisiert
[7]. Dieses Behandlungsverfahren wird durch die in der Mehrzahl der Fälle vorliegenden
benignen histopathologischen Befunde begründet. Nur bei nachgewiesenen Plattenepithelkarzinomen
wird von den Autoren eine Nachexzision für erforderlich gehalten. Im Gegensatz zur
Kürettage erlaubt jedoch nur die Exzision eine morphologisch unbeeinflusste histopathologische
Beurteilung der Basis eines Cornu cutaneum, so dass wir in der Regel eine primäre
Exzision durchführen. Nur bei operationstechnisch schwierigen Lokalisationen, z. B.
im Lidbereich, oder im Kindesalter, wenn von vulgären Warzen ausgegangen werden kann,
erscheint uns eine Kürettage sinnvoller als eine primäre Exzision.