Z Sex Forsch 2008; 21(1): 26-55
DOI: 10.1055/s-2008-1004707
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Sexuelle Lebensqualität von Personen mit Intersexualität und 46,XY Karyotyp

Eine Übersicht über die internationale Forschung V. Schönbucher, K. Schweizer, H. Richter-Appelt
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Publication Date:
19 March 2008 (online)

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Übersicht:

Dieser Artikel fasst den Forschungsstand zur sexuellen Lebensqualität von Personen mit Intersexualität und 46,XY Karyotyp zusammen. 21 internationale Studien aus den Jahren 1974 bis 2007 über sexuelles Verhalten und sexuelle Erfahrungen dieser Personengruppe werden ausführlich dargestellt und kritisiert. Die Ergebnisse sind sehr widersprüchlich, deuten aber darauf hin, dass Personen mit Intersexualität tendenziell heterosexuell orientiert sind, ihre ersten sexuellen Erfahrungen etwas später als die Population der Jugendlichen machen, häufiger über sexuelle Probleme klagen und unzufrieden mit ihrem Sexualleben und ihren Geschlechtsorganen sind. Das Ziel der Medizin, mittels geschlechtskorrigierenden Operationen den betroffenen Personen im Erwachsenenalter ein „normales” heterosexuelles Funktionieren zu ermöglichen, ist offensichtlich nicht erreicht worden. Zukünftige Studien sollten medizinische und psychosoziale Risikofaktoren für die sexuelle Lebensqualität untersuchen, den Fokus über den heterosexuellen Geschlechtsverkehr hinaus erweitern und qualitative Aspekte des sexuellen Erlebens wie Beziehungsfähigkeit oder das Erleben von Berührungen verstärkt berücksichtigen.

Literatur

1 PubMed, Medline, PsychINFO, Psyndex, Embase, Cinahl, Cochrane Database of Systematic Reviews, NDLTD, ProQuest Digital Dissertation und Dissonline.de.

2 Hier ist nicht zu klären, ob alle fünf Personen einen XY-Karyotyp aufweisen.

3 Im vorliegenden Artikel wird von Männern und Frauen mit Intersexualität die Rede sein. Gemeint sind Personen mit Intersexualität, die in der männlichen beziehungsweise in der weiblichen Geschlechtsrolle leben. Definiert wird der Begriff der Geschlechtsrolle als die Gesamtheit der kulturell erwarteten, als angemessen betrachteten und zugeschriebenen Fähigkeiten, Interessen, Einstellungen und Verhaltensweisen des jeweiligen Geschlechts (Money 1994).

4 Bei der Interpretation dieser Daten muss der kulturelle Hintergrund der befragten Personen berücksichtigt werden. Es ist durchaus möglich, dass in der Türkei Frauen im Jugendalter kaum sexuelle Erfahrungen aufweisen, da der Islam unter Androhung von Sanktionen Frauen voreheliche sexuelle Erfahrungen verbietet.

Prof. Dr. H. Richter-Appelt

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie

Martinistraße 52

20246 Hamburg

Email: hrichter@uke.uni-hamburg.de