Der Klinikarzt 2008; 37(2): 101
DOI: 10.1055/s-2008-1061740
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Hyperglykämie bei kritisch kranken Patienten - Enge Glukosekontrolle senkt Morbidität und Mortalität auf der Intensivstation

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Publication Date:
29 February 2008 (online)

 
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Die bei kritisch Kranken auf Intensivstationen häufig beobachtete Hyperglykämie gilt heute als wichtiger Risikofaktor für eine erhöhte Morbidität und Mortalität. "Klinische Studien haben gezeigt dass eine strenge Kontrolle des Blutzuckerspiegels und die Einführung eines Insulintherapieprotokolls dazu beitragen, die Sterblichkeit und Morbidität dieser Patienten zu reduzieren und die Verweildauer auf der Intensivstation zu verkürzen", sagte Dr. Martin Ellmerer, Graz (Österreich).

Eindrucksvolle positive Ergebnisse ...

Früher wurden Hyperglykämien bei kritisch kranken Patienten noch als adaptive und harmlose Stressreaktion betrachtet und Blutzuckerspiegel bis zu Werten von 220mg/dl akzeptiert. Spätestens seit den Studien von Van den Berghe et al. hat sich die Situation aber geändert, sagte Prof. Dirk Vlasselaers, Leuven (Belgien).

Denn die Arbeitsgruppe um Van den Berghe konnte sowohl bei chirurgischen [4] als auch bei internistischen [3] Intensivpatienten zeigen, dass eine enge Glukosekontrolle mittels intensivierter Insulintherapie mit einem Zielbereich von 80-110mg/dl die Prognose der intensivmedizinisch betreuten, schwer kranken Patienten verbessert. Die Mortalität sank ebenso (rund 3%ige absolute Risikoreduktion) wie die Rate an infektiösen Komplikationen, Organversagen und Polyneuropathien. Werden etwa 30 Patienten einer intensivierten Insulintherapie zugeführt, lässt sich ein Leben retten.

Zu den Patienten, die besonders von einer intensivierten Insulintherapie profitieren könnten, zählen nach Ansicht von Dr. Titia M. Vriesendrop, Amsterdam (Niederlande), zum Beispiel Herzinfarkt- oder Schlaganfallpatienten bzw. Patienten, die sich einer Herzoperation unterziehen mussten. Zudem sei eine engmaschige Glukosekontrolle mit geringeren Wundkomplikationen assoziiert, berichtete Vriesendorp. In der ersten DIGAMI[1]-Studie wiederum sank die Mortalität im Verlauf eines Jahres um 11%, wenn die Intensivpatienten - in diesem Fall handelte es sich um Diabetiker - im Rahmen der Insulintherapie auf Blutzuckerwerte von 125-180mg/dl (7-10mmol/l) eingestellt worden waren [2]. Hatten die Diabetiker jedoch bereits im Vorfeld Insulin erhalten, war der positive Effekt weniger stark ausgeprägt.

... warten noch auf ihre Bestätigung

Bisher konnten diese positiven Ergebnisse aber in keiner kontrollierten Studie reproduziert werden, erläuterte Prof. Jean-Charles Preiser, Liege (Belgien). So musste beispielsweise die VISEP[2]-Studie mit 488 Sepsispatienten aufgrund einer erhöhten 90-Tages-Mortalität in der Gruppe mit intensivierter Glukosekontrolle abgebrochen werden [1].

Preiser relativierte das Ergebnis dieser viel diskutierten Studie jedoch: Der wahrscheinliche Grund für dieses negative Studienergebnis resultiert seiner Meinung nach aus der mit 12% vergleichsweise hohen Rate an schweren Hypoglykämien, die mit einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert waren. Auch die Variabilität der Blutzuckerwerte war in dieser Studie vergleichsweise hoch, bemerkte Preiser, der Zielbereich wurde seltener erreicht.

Mit Spannung erwarten die Experten daher die Ergebnisse einer großen internationalen Studie mit dem Akronym NICE SUGAR[3], die endgültig den Effekt einer intensivierten Insulintherapie bei Intensivpatienten aufzeigen soll.

Nach aktuellem Wissensstand: enge Glukosekontrolle gefordert

Auch wenn die positiven Leuvener Studienergebnisse noch nicht endgültig bestätigt werden konnten, sind sie die derzeitige Grundlage für das Vorgehen auf der Intensivstation, weshalb eine engmaschige Glukosekontrolle auf der Intensivstation empfohlen ist, meinte Vriesendorp.

Bislang muss die Kontrolle per Hand durchgeführt werden, nicht nur eine sehr zeitaufwendige Methode. Sie verlangt den Pflegenden zudem eine hohe Verantwortung ab, da sie meist intuitiv die Insulindosierung festlegen müssen. Zudem ist eine strikte Blutzuckerkontrolle auch immer mit dem Risiko von Hypoglykämien mit all ihren Folgen (bis zu Koma oder Tod) assoziiert. In den Leuvener Studien waren Hypoglykämien relativ häufig, berichtete Vriesendorp. Immerhin waren 5-25% der Patienten betroffen.

All dies sind gute Gründe, eine Systemlösung zu implementieren, in die ein Kontrollalgorithmus integriert ist - wie es zum Beispiel das CLINICIP[4]-Konzept bietet (s.Kasten). Denn solche Systeme können nicht nur den Arbeitsaufwand verringern, sondern sind gleichzeitig dazu in der Lage, die Sicherheit und die Effizienz bei der Insulintherapie zu erhöhen.

Maria Weiß, Berlin / sts

Quelle: Satellitensymposium "Tight glycaemic control - from concept to clinical practise", im Rahmen des Kongresses der Euorpean Society of Intensive Care Medicine (ESICM), veranstaltet von der B. Braun Melsungen AG, Melsungen

CLINICIP - Optimierte Insulintherapie für Intensivpatienten

Bei dem Konzept CLINICIP handelt es sich um ein sogenanntes "Entscheidungshilfesystem". Nach Eingabe des manuell gemessenen Blutzuckerwertes wird hier in Abstimmung mit Ernährung und Begleitmedikation die notwendige Insulindosis errechnet, und die enteralen oder parenteralen Infusionen werden entsprechend angepasst. Zusätzlich wird über einen Algorithmus der Zeitpunkt der nächsten Blutzuckerkontrolle ermittelt, erklärte Ellmerer, Graz. In drei Zentren ließ sich mit dem Prototyp des Systems eine enge Glukosekontrolle im Zielbereich erreichen, gleichzeitig waren weniger Hypoglykämien zu verzeichnen - und all das bei minimaler zusätzlicher Arbeitsbelastung.

Literatur

  • 01 Brunkhorst RM . et al . Infection 2005; 33, 19 (abstract). 
  • 02 Malmberg K . et al . J Am Coll Cardiol. 1995;  26 (1) 57-65
  • 03 Van den Berghe G . et al . N Engl J Med. 2006;  354 (5) 449-462
  • 04 Van den Berghe G . et al . N Engl J Med. 2001;  345 (19) 1359-1367

01 Diabetes mellitus, Insulin Glucose infusion in Acute Myocardial Infarction

02 Volumen- und Insulintherapie bei schwerer Sepsis und septischem Schock

03 Normoglycaemia in Intensive Care Evaluation and Survival Using Glucose Algorithm Regulation

04 Closed Loop Insulin Infusion for Critically Ill Patients

Literatur

  • 01 Brunkhorst RM . et al . Infection 2005; 33, 19 (abstract). 
  • 02 Malmberg K . et al . J Am Coll Cardiol. 1995;  26 (1) 57-65
  • 03 Van den Berghe G . et al . N Engl J Med. 2006;  354 (5) 449-462
  • 04 Van den Berghe G . et al . N Engl J Med. 2001;  345 (19) 1359-1367

01 Diabetes mellitus, Insulin Glucose infusion in Acute Myocardial Infarction

02 Volumen- und Insulintherapie bei schwerer Sepsis und septischem Schock

03 Normoglycaemia in Intensive Care Evaluation and Survival Using Glucose Algorithm Regulation

04 Closed Loop Insulin Infusion for Critically Ill Patients