Dialyse aktuell 2008; 12(1): 44-45
DOI: 10.1055/s-2008-1064889
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Hämoglobinspiegel - Soll und Ist bei Patienten mit chronischen Nierenerkrankungen

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Publication Date:
11 March 2008 (online)

 
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Die Richtlinien und Empfehlungen für Hämoglobinzielwerte (Hb) bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz pendelten in den vergangenen Jahrzehnten zwischen 10 und maximal 13 g/dl. Heute geht die Tendenz eher zu etwas niedrigeren Werten. Für die Lebensqualität der Patienten erscheinen höhere Hb-Spiegel eher günstiger, für das kardiovaskuläre Risiko gilt eher das Gegenteil.

Neue Stellungnahmen von der "International Kidney Foundation" ziehen die Grenzen, innerhalb derer sich der Hb-Wert bewegen sollte, enger als früher, erläuterte PD Robert Deicher, Wien. Es gibt auch Aussagen von der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA, nach denen der Hb-Wert auf keinen Fall über 12 g/dl angehoben werden sollte. Vielmehr sollten die ESAs ("erythropoiesis stimulating agents") möglichst niedrig dosiert werden, um den Bedarf an Bluttransfusionen zu minimieren.

Zahlreiche Analysen sprechen dafür, dass höhere Hämoglobinwerte mit einer besseren Lebensqualität assoziiert sind. Wie sich herausgestellt hatte, sind damit deutliche Gewinne hinsichtlich körperlicher und psychosozialer Funktionen verbunden, erläuterte Deicher. Allerdings könnte die verbesserte Lebensqualität nach Ansicht des Nephrologen möglicherweise mehr auf dem Anstieg des Hämoglobinspiegels beruhen als auf dessen absoluter Höhe.

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Mehr Lebensqualität oder mehr kardiovaskuläre Ereignisse

Zudem gilt es zu hinterfragen, ob der Zuwachs an Lebensqualität längerfristig Bestand hat. Antworten hierauf kann die CREATE[1]-Studie liefern. Die Patienten wurden in zwei Gruppen randomisiert und entweder auf Hb-Werte zwischen 13 und 15 g/dl oder zwischen 11 und 11,5 g/dl eingestellt.

Diejenigen Patienten mit den höheren Spiegeln fühlten sich nach einem Jahr in allen Kriterien des Qualitätsfragebogens SF 36 deutlich besser. Die Patienten in der niedriger eingestellten Gruppe hingegen berichteten über eine Abnahme ihres körperlichen und geistigen Wohlbefindens. Nach einem weiteren Jahr waren die Hb-Werte stabil geblieben, so Deicher - mit Ausnahme der Kriterien "allgemeiner Gesundheitszustand" und "Vitalität" aber war von den Veränderungen der Lebensqualität nicht mehr viel übrig geblieben.

Lebensqualität ist ein wichtiger Aspekt der Therapie, doch wie steht es um das Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse in Abhängigkeit der Hb-Werte? Den Kaplan-Meier-Kurven in CREATE zufolge scheinen hohe Hb-Werte mit einem erhöhten Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis einherzugehen. Dieser Unterschied zwischen den Gruppen fällt deutlich, aber nicht statistisch signifikant aus. Eine ähnliche Tendenz findet sich in zwei weiteren Studien. Deicher erwähnte auch eine Metaanalyse der KDOQI ("Kidney Disease Outcome Quality Initiative"). Dabei zeichnete sich bei Dialysepatienten ein Trend ab, wonach ein Hb-Wert über 13 g/dl mit einem ungünstigen kardiovaskulären Outcome assoziiert ist.

Aus CREATE lässt sich somit schließen, dass man Hämoglobinwerte über 13 g/dl möglichst vermeiden sollte. Anhand der Studienlage definiert die KDOQI einen schmalen grünen Bereich zwischen 11 und 12 g/dl, den Deicher wegen der hohen Schwankungsbreite der Messungen für nicht praktikabel hält. Die FDA hat kürzlich empfohlen, den Zielbereich für chronisch niereninsuffiziente Patienten realistischerweise auf 10-12 g/dl zu erweitern.

Insgesamt scheinen Patienten was ihre Lebensqualität anbelangt von Werten über 9 g/dl zu profitieren (Abb. [1]). Die Rate an kardiovaskulären Ereignissen ist bei den Patienten hoch und steigt im Bereich über 12 g/dl weiter an. Auf die linksventrikuläre Hypertrophie (LVH) hat der Hb-Wert offenbar kaum einen Einfluss. Der Blutdruck ist generell hoch bei den niereninsuffizienten Patienten und steigt wahrscheinlich mit höherem Hämoglobinwert noch an. "Das Hb-Ziel sollte sich am individuellen Motiv des einzelnen Patienten orientieren, an Lebensqualität, kardiovaskulärem Risiko oder Transfusionsbedarf," meinte Deicher.

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Abb. 1 Einfluss des Hämoglobinwerts

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Epoetin alfa im Praxistest

Wie hoch sind die Hämoglobinwerte aktuell bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz in Deutschland? Mit dieser Frage befasste sich eine Anwendungsbeobachtung mit über 3 700 Hämodialysepatienten. DATE[2] basiert auf monatlich erfassten Daten aus dem Zeitraum April 2004 bis Juli 2006 und wurde von PD Volkmar Lufft, Rendsburg-Eckernförde, vorgestellt. Ziel der Untersuchung war es, klinische Daten zur Wirksamkeit und Verträglichkeit von Epoetin alfa (Erypo®) unter Praxisbedingungen zu erheben und mit den Vorgaben der "European best Practice Guidelines of Anemia Management" (EBPG) aus dem Jahr 2004 abzugleichen.

Die Patienten waren im Mittel 64 Jahre alt, Männer befanden sich leicht in der Überzahl. 95% der Teilnehmer befanden sich an der Hämodialyse. Als Ursache für das chronische Nierenversagen hatte man bei 28% der Patienten eine diabetische Nephropathie, bei 20% eine chronische Glomerulonephritis und bei 21% eine chronische Nephrosklerose ausgemacht. Bei den Begleiterkrankungen rangierte der Bluthochdruck mit 76% an erster Stelle, gefolgt vom Hyperparathyreoidismus mit 51%, der koronaren Herzerkrankung mit 33% und dem Diabetes mellitus mit 29%.

Bei 60% der Patienten waren vom Beginn der Nierenersatztherapie bis zur erstmaligen ESA-Gabe weniger als drei Monate, bei 10% mehr als fünf Jahre vergangen. Die Messung des Hämoglobinwerts zum Zeitpunkt der erstmaligen ESA-Applikation ergab im Mittel 10,25 g/dl. Als bemerkenswert bezeichnete Lufft die Tatsache, dass immerhin 12% der Patienten zu Therapiebeginn einen Hb-Wert von über 12 g/dl aufwiesen, bei 13% aber auch ein Hb-Wert von < 9,0 g/dl festgestellt wurde.

Den Empfehlungen der EBPG für die Ziele der Anämietherapie aus dem Jahr 2004 entsprechend sollte eine Hb-Konzentration > 11 g/dl angestrebt werden. Bei schwerwiegenden kardiovaskulären Erkrankungen sollte jedoch die Grenze von 12 g/dl nicht überschritten werden. Auch bei Diabetikern ist bei Werten darüber Vorsicht geboten, insbesondere bei bestehenden peripheren vaskulären Erkrankungen.

Die Ist-Situation in DATE zeigte im Vergleich zur Vorgabe, dass initial 66% der Patienten oberhalb des Schwellenwerts von 11 g/dl lagen, die anderen 34% entsprechend nicht. Diese Relation verschob sich bis zum Ende der Beobachtungszeit auf 74 und 26%. Innerhalb derselben Zeitspanne veränderte sich der mittlere Hb-Wert von 11,7 auf 11,9 g/dl und stieg damit nur geringfügig an. Patienten mit einer polyzystischen Nierenerkrankung hatten einen etwas höheren Hb-Spiegel, jene mit einem multiplen Myelom hingegen den niedrigsten Spiegel. Auch in dieser Relation hat sich über die Monate nur wenig verändert (Abb. [2]).

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Abb. 2 Nephrologische Grunderkrankung und Hämoglobinwerte im Monat sechs von DATE

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Alle zwei bis drei Monate Eisenstatus überprüfen

Die europäische Leitlinie empfiehlt, i.v. Epoetine während der Korrektur- und Erhaltungsphase Hämodialysepatienten über drei Injektionen pro Woche zu verabreichen. Hb-Spiegel sollten in der Korrekturphase alle zwei bis vier Wochen und in der Erhaltungsphase alle ein bis zwei Monate gemessen werden. Empfohlen wird weiter, die Kontrolle des Eisenstatus generell alle ein bis drei Monate durchzuführen.

Tatsächlich haben in DATE während der Korrekturphase in Monat eins 72% der Patienten drei Injektionen erhalten, bei 18% waren es zwei und bei 10% nur eine. In der nachfolgenden Erhaltungsphase verteilte sich die Zahl der Injektionen auf drei bei 53% der Patienten, zwei bei 28% und eine bei 19%. Die wöchentlichen Epoetin-alfa-Dosen blieben während des Beobachtungszeitraumes im Wesentlichen stabil und bewegten sich zwischen 94 und 97 IE/kg Körpergewicht.

Eisenmangel beeinträchtigt Ansprechen auf ESAs

Laut Leitlinien ist der Eisenmangel die häufigste Ursache bei unzureichendem Ansprechen auf ESAs. Entweder liegt ein absoluter, ein funktioneller Eisenmangel oder eine entzündliche Erkrankung vor. Das Problem des mangelhaften Ansprechens der Therapie bestätigte sich in DATE beim Vergleich von Patienten mit und ohne Eisenmangel. Jene ohne Eisenmangel lagen mit ihrem Hb-Spiegel um 0,1 bis 0,3 g/dl höher und hatten entsprechend einen deutlich geringeren wöchentlichen Bedarf an Epoetin alfa (83 anstatt 110 IE/kg Körpergewicht bei Eisenmangel).

Zu Beginn der Beobachtung bekamen zwei von drei Patienten eine Eisensubstitution. Dieser Anteil reduzierte sich im Verlauf der Anwendungsbeobachtung auf 60%. Der Eisenstatus veränderte sich über die sechs Monate kaum. 70% wiesen keinen Eisenmangel auf, bei etwa 20% bestand ein funktioneller und bei knapp 10% ein absoluter Eisenmangel.

Die Leitlinie von 2004 sieht auch vor, den CRP-Wert als Maß für die chronische Entzündung zu kontrollieren. Wie sich in der Anwendungsbeobachtung DATE zeigte, nimmt mit ansteigenden CRP-Werten die Epoetin-Dosis zu und der Hb-Spiegel fällt ab.

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Kein erhöhter Epo-Bedarf unter ACE-Hemmer und AT1-Blocker

Als weitere mögliche Ursachen für ein unzureichendes Ansprechen auf die Epoetintherapie nennen die Leitlinien unter anderem chronischen Blutverlust, Aluminiumtoxikation, Vitaminmangel, multiples Myelom oder Arzneimittel, insbesondere ACE-Hemmer. In DATE erhielten immerhin knapp 60% der Patienten Vitamin D, rund 25% Vitamin C und ebenso viele Folsäure. Dass Patienten unter ACE-Hemmer oder AT1-Blockern einen höheren EPO-Bedarf haben, hat sich in DATE nicht bestätigt.

Die Ereignisrate in den sechs Monaten lag nach Angaben von Lufft relativ niedrig. Häufigste Nebenwirkung waren Infektionen mit 6,6%, kardiovaskuläre Ereignisse kamen in 3,5% der Fälle vor.

Martin Bischoff, Planegg

Quelle: Symposium "Wie hoch sollte der Zielhämoglobinwert bei Patienten mit chronischen Nierenerkrankungen sein?" im Rahmen des 38. Kongresses der Gesellschaft für Nephrologie (GfN), veranstaltet von Ortho Biotech, Division of Janssen-Cilag GmbH, Neuss

Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung von Ortho-Biotech, Division of Janssen-Cilag GmbH, Neuss.

01 Cardiovascular Risk Reduction by Early Anemia Treatment with Epoetin Beta

02 Deutsche Anämie Therapie Erhebung

01 Cardiovascular Risk Reduction by Early Anemia Treatment with Epoetin Beta

02 Deutsche Anämie Therapie Erhebung

 
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Abb. 1 Einfluss des Hämoglobinwerts

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Abb. 2 Nephrologische Grunderkrankung und Hämoglobinwerte im Monat sechs von DATE