Dtsch Med Wochenschr 2008; 133: S24
DOI: 10.1055/s-2008-1081066
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Opioide und Fahrsicherheit - zwei unvereinbare Gegensätze?

Opioids and driving ability: two incompatible contrasts?R. Sabatowski
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Publication Date:
11 June 2008 (online)

Opioide stellen eine wichtige Option in der Behandlung chronischer Schmerzen dar. Vor allem Opioide mit retardierter Galenik oder andere lang wirkende Opioide haben nicht nur in der Behandlung von Tumorschmerzen eine große Rolle. Sie werden auch zunehmend in der Behandlung chronischer Nicht-Tumorschmerzen akzeptiert und eingesetzt. Doch es besteht gerade bei Opioiden Unsicherheit, inwieweit bei einer Behandlung mit diesen Substanzen Restriktionen hinsichtlich des eigenständigen Führens eines Kraftfahrzeuges in Kauf genommen werden müssen.

Die Gründe dieser Unsicherheit sind vielfältig. So wird oft nicht differenziert welche Applikationsformen (parenteral vs. slow-release oral) bei welchen Patienten oder Probanden in den Studien eingesetzt wurden. Es erscheint unzweifelhaft, dass viele Untersuchungen an gesunden Probanden nach einer Opioid-Bolusapplikation zu Beeinträchtigungen der kognitiven und/oder psychomotorischen Funktion führten. In Abhängigkeit der applizierten Dosis führte die „Therapieform” fast immer zu einer relevanten Einschränkung der Fahrsicherheit [5] [6]. Doch, welche Information können wir aus diesen Studien für den Einsatz von Opioiden bei chronischen Schmerzpatienten ziehen? Nahezu keine! Wir behandeln keine gesunden Probanden, sondern chronische Schmerzpatienten, und die Applikationsart unterscheidet sich von diesen Studien.

Auch der Vergleich mit Patienten, die eine Substitutionstherapie mit Methadon erhalten, ist kaum zulässig. Ein großes Problem dieser Patienten ist deren soziale Unzuverlässigkeit (oft erschienen die Patienten trotz Absprachen nicht zu den Untersuchungen) und der hohe Anteil an Patienten mit Beigebrauch weiterer psychoaktiver Substanzen, womit sie sich in der Regel von den Schmerzpatienten unterscheiden [3] [4]. Doch selbst, wenn man nur Studien zu Grunde legt, die sich mit chronischen Schmerzpatienten und einer den Empfehlungen folgenden Opioidtherapie beschäftigen, können die Unsicherheiten nicht vollständig ausgeräumt werden. So widersprechen sich einige Untersuchungen hinsichtlich der Beurteilung einzelner Medikamente [1] [2], die Ergebnisse sind oft aufgrund unterschiedlicher Testverfahren und fehlender Standards selbst für Experten kaum vergleichbar. Langzeitstudien fehlen nahezu völlig. Hinzu kommt, dass Schmerzpatienten häufig eine Vielzahl von weiteren psychoaktiven Schmerzmedikamenten, aber auch anderen Substanzen einnehmen, die die Fahrsicherheit zusätzlich oder überwiegend beeinflussen können. Der Gesamtkomplex wird noch unüberschaubarer, wenn man berücksichtigt, dass Schmerzen und auch die zugrunde liegende (Begleit-)Erkrankung (z. B. Depression) die kognitive und psychomotorische Funktion beeinflussen. Entsprechend sind die Ängste und Unsicherheiten auf Seiten der Ärzte aber auch auf Seiten der Patienten vor möglichen juristischen Konsequenzen groß.

Ziel dieses Supplementes ist es, den Themenkomplex Fahrsicherheit und Opioide bei Schmerzpatienten aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten, so dass etwas mehr Klarheit erzielt werden kann. So wird nicht nur über den Einfluss von Opioiden auf die Fahrsicherheit berichtet (S.25 und S.36), sondern auch über den Einfluss des Schmerzes (S.32) sowie der Begleitmedikament (S.38). Ein Thema ist auch das wichtige primäre Therapieziel der Lebensqualitätsverbesserung, die auch bezüglich des Erhaltes der Autonomie und der Möglichkeit an den Arbeitsplatz zu gelangen/zurückzukehren gesehen werden muss (S.41). Die derzeitig gültigen juristischen Aspekte werden zusammengefasst (S.45) und es wird über ein Projekt berichtet, welches zur Klärung noch vieler unterschiedlicher Fragen, u. a. der Häufigkeit von Verkehrsauffälligkeiten unter Opioidmedikation, beitragen soll (S.29).

Wenngleich noch Vieles im Unklaren bleibt, so führt dieses Supplement doch die für den behandelnden Arzt relevanten Informationen zusammen. Als Resümee kann gefolgert werden, dass prinzipiell Opioide und Fahrsicherheit keine unvereinbaren Gegensätze sind und dass bei der individuellen Einschätzung große Sorgfalt erforderlich ist.

Literatur

  • 1 Gärtner J, et al. Assessing cognition and psychomotor function under long-term treatment with controlled release oxycodone in non-cancer pain patients.  Acta Anaesthesiol Scand. 2006;  50 664-672
  • 2 Jamison R N, et al. Neuropsychological effects of long-term opioid use in chronic pain patients.  J Pain Symptom Manage. 2003;  26 913-921
  • 3 Rossler H, et al. Methadone-substitution and driving ability.  Forensic Sci Int. 1993;  62 63-66
  • 4 Staak M, Berghaus G, Glazinski R, Hoher K, Joo S, Friedel B. Empirische Untersuchungen zur Fahreignung von Methadon-Substitutionspatienten.  Blutalkohol. 1993;  30 321-333
  • 5 Walker D J, Zacny J P. Subjective, psychomotor, and physiological effects of cumulative doses of opioid µ agonists in healthy volunteers.  J Pharm Exp Therap. 1999;  289 1454-1464
  • 6 Zacny J P. et al . Subjective and behavioral responses to intravenous fentanyl in healthy volunteers.  Psychopharm. 1992;  107 319-326

PD Dr. Rainer Sabatowski

Universitäts Schmerz Centrum, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus

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Email: rainer.sabatowski@uniklinikum-dresden.de

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