Diabetes aktuell 2008; 6(3): 136
DOI: 10.1055/s-2008-1082347
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Typ-2-Diabetes - Kaum Hypoglykämien unter "Inkretin-Schutz"

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07 July 2008 (online)

 
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Die Inkretinhormone GLP-1 (Glucagon-like Peptide-1) und GIP (Gastric Inhibitory Peptide) sind bei stoffwechselgesunden Menschen für bis zu 70 % der postprandialen Insulinantwort verantwortlich. Bei Typ-2-Diabetikern sei dieser "Inkretin-Effekt" reduziert [1], erklärte Prof. Michael Albrecht Nauck, Bad Lauterbach [2]. Vor dem Abbau geschützt werden körpereigene Inkretine durch den einmal täglich oral einzunehmenden Dipeptidyl-Peptidase-4 (DPP-4)-Hemmer Sitagliptin [3], der seit April dieses Jahres auch von der Firma Berlin-Chemie vertrieben wird.

Inkretin wird im Intestinum gebildet und stimuliert die Insulinfreisetzung im Pankreas. Die Wirkung des GLP-1 gehe jedoch weit darüber hinaus. Laut Nauck hemmt es die Glukagonsynthese und damit die hepatische Glukoseproduktion. Im Tierexperiment sowie in Zellkulturen fördert GPL-1 das Wachstum von Beta-Zellen und verhindert ihr Absterben unter ungünstigen Bedingungen. Beim Menschen ist ein solcher Effekt schwer nachweisbar. Dennoch verbessert GLP-1 laut Nauck eindeutig die "Beta-Zell-Gesundheit". Durch einen appetithemmenden Effekt wirkt es dem Übergewicht entgegen [4]. Darüber hinaus zeichnen sich positive kardiale Wirkungen ab [5]. Von anderen insulinotropen Substanzen grenzt sich GLP-1 auch dadurch ab, dass es die Insulinsekretion nur bei erhöhten Blutzuckerspiegeln stimuliert [6]. Medikamente, die über die GLP-1-Stimulation wirken, können demnach praktisch keine Unterzuckerung auslösen.

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Initiale Kombination mit Metformin?

Ebenso wie Metformin verursacht Sitagliptin keine Hypoglykämien und verhält sich gewichtsneutral. Beide Effekte bleiben bei einer Kombinationstherapie erhalten. Derzeit ist Sitagliptin in Europa noch nicht zur Erstlinientherapie zugelassen. Nach Meinung von Nauck können Typ-2-Diabetiker mit hohen HbA1c-Werten zum Zeitpunkt der Diagnosestellung jedoch von der initialen Kombination mit Metformin und Sitagliptin profitieren.

In einer 24-wöchigen plazebokontrollierten Doppelblindstudie mit 1 091 Patienten führte die initiale Kombination zu deutlichen Verbesserungen der Blutglukose-Spiegel [7]. Wie Prof. Andreas Pfeiffer, Berlin, berichtete, sank das HbA1c unter Metformin allein plazebobereinigt um 0,99 % (2 x 500 mg/d) bzw. 1,3 % (2 x 1000 mg). Die Kombination bewirkte einen Rückgang um 1,57 % (2 x 50 mg Sitagliptin/2 x 500 mg Metformin) bzw. 2,07 % (2 x 50 mg Sitagliptin/ 2 x 1000 mg Metformin).

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Günstiger Einfluss auf Körpergewicht

Die Wirksamkeit der Add-on-Therapie mit Sitagliptin bei mäßiger bis schwerer Hyperglykämie belegt eine Doppelblindstudie mit 190 Patienten, die nach sechswöchiger Metformin-Therapie HbA1c-Werte zwischen 8 % und 11 % aufwiesen [8]. Gegenüber Plazebo bewirkte die zusätzliche Gabe des DPP-4-Hemmers eine Senkung des HbA1c um 1 % nach 18 und 30 Wochen. Die Hinzugabe von Sitagliptin zu einer laufenden Pioglitazon-Therapie führte in einer Studie mit 353 Typ-2-Diabetikern zu einer Senkung des HbA1c um durchschnittlich 0,7 % nach 24 Wochen [9]. Unter Sitagliptin erreichten Patienten mit 45,4 % signifikant häufiger den HbA1c-Zielwert < 7 % als unter Plazebo mit 23 % (p < 0,001). Auch in dieser Studie war die Siptagliptin-Therapie mit keinem erhöhten Auftreten von Hypoglykämien assoziiert.

In einer 52-wöchigen Studie hatte die Kombination von Metformin plus Glipizid eine Gewichtszunahme um durchschnittlich 1,1 kg zur Folge [10]. Demgegenüber nahmen Patienten unter Metformin plus Sitagliptin 1,5 kg ab (p < 0,001). Während unter Glipizid bei 32 % der Patienten Hypoglykämien auftraten, waren es unter Sitagliptin nur 5 %.

Dr. Matthias Herrmann, Berlin

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Ein Fall aus der Praxis

Was die Therapie mit dem DPP-4-Hemmer im Einzelfall bewirken kann, verdeutlichte Dr. Ralph A. Bierwirth, Essen, am Beispiel eines Typ-2-Diabetikers, dessen Hausarzt im Juni 2006 Metformin (2 x 1000 mg) und Pioglitazon (45 mg) verordnete. Bis November 2006 nahm der Patient hierunter 11 kg zu. Der Body-Mass-Index (BMI) lag bei 35, das HbA1c bei 7,5 %. Nach erfolglosen Versuchen, durch Schulung eine Gewichtsreduktion herbeizuführen, setzte Dr. Bierwirth Pioglitazon im April 2007 ab. Stattdessen kombinierte er Metformin mit Sitagliptin, worunter der Patient innerhalb von sechs Monaten wieder sein Ausgangsgewicht erreichte. Das HbA1c lag im September 2007 bei 5,8 %.

Laut Bierwirth ergebe sich durch den positiven Einfluss von Sitagliptin auf die Beta-Zell-Funktion "die große Hoffnung, dass man die Stoffwechsellage über viele Jahre stabilisieren und eine eventuell notwendige Insulintherapie um Jahre hinauszögern kann". Studien mit "harten" Endpunkten und Langzeiterfahrungen mit der Substanz stehen allerdings noch aus.

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Referenzen

  • 01 Nauck MA . et al . Diabetologica. 1986;  29 46-52
  • 02 Pressekonferenz "Xelevia® - Innovation in der oralen Diabetes-Therapie: Verbesserte Blutzucker-Balance durch Inkretin-Schutz" Berlin, April 2008, Veranstalter: BERLIN-CHEMIE AG. 
  • 03 u. a. Xelevia®, BERLIN-CHEMIE AG. 
  • 04 Flint A . et al . J Clin Invest. 1998;  101 515-520
  • 05 Bose AK . et al . Diabetes. 2005;  54 146-151
  • 06 Nauck MA . et al . J Clin Endocrinol Metab. 2002;  87 1239-1246
  • 07 Goldstein BJ . et al . Diabetes Care. 2007;  30 1979-1987
  • 08 Raz T . et al . Curr Med Res Opin. 2008;  24 537-550
  • 09 Rosenstock J . et al . Clin Ther. 2006;  28 1556-1568
  • 10 Nauck MA . et al . Diabetes Obes Metab. 2007;  9 194-205
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Referenzen

  • 01 Nauck MA . et al . Diabetologica. 1986;  29 46-52
  • 02 Pressekonferenz "Xelevia® - Innovation in der oralen Diabetes-Therapie: Verbesserte Blutzucker-Balance durch Inkretin-Schutz" Berlin, April 2008, Veranstalter: BERLIN-CHEMIE AG. 
  • 03 u. a. Xelevia®, BERLIN-CHEMIE AG. 
  • 04 Flint A . et al . J Clin Invest. 1998;  101 515-520
  • 05 Bose AK . et al . Diabetes. 2005;  54 146-151
  • 06 Nauck MA . et al . J Clin Endocrinol Metab. 2002;  87 1239-1246
  • 07 Goldstein BJ . et al . Diabetes Care. 2007;  30 1979-1987
  • 08 Raz T . et al . Curr Med Res Opin. 2008;  24 537-550
  • 09 Rosenstock J . et al . Clin Ther. 2006;  28 1556-1568
  • 10 Nauck MA . et al . Diabetes Obes Metab. 2007;  9 194-205
 
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