Rofo 2008; 180(11): 1015-1017
DOI: 10.1055/s-2008-1101417
DRG-Mitteilungen
Radiologie und Recht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Auslagerung eines Fachgebietes an den Ort einer Zweigpraxis - Genehmigungsanforderungen an die Zweigpraxis eines Medizinischen Versorgungszentrums

Further Information
#

Rechtsanwälte Wigge

Anke Harney

Rechtsanwältin

Scharnhorststr. 40

48151 Münster

Phone: (0251) 53595-0

Fax: (0251) 53595-99

URL: http://www.ra-wigge.de

Email: kanzlei@ra-wigge.de

Publication History

Publication Date:
23 October 2008 (online)

 
Table of Contents #

Einleitung

Mit dem Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG), welches Anfang nächsten Jahres bereits zwei Jahre in Kraft sein wird, ist den Radiologen die Möglichkeit gegeben worden, unter "vereinfachten Bedingungen" neben ihrem Hauptsitz eine Zweigpraxis zu eröffnen, um (auch) dort abrechnungsfähige radiologische Leistungen erbringen zu können. Wie schon in der Dezemberausgabe 2007 [1] sowie in der Aprilausgabe 2008 [2] berichtet, beschäftigte sich das Sozialgericht Marburg [3] sowie das Landessozialgericht Hessen [4] als nächst höhere Instanz in der Vergangenheit bereits mehrfach mit den Genehmigungsanforderungen für eine Zweigpraxis. Im Folgenden sollen zwei bisher noch nicht behandelte Entscheidungen des Sozialgerichts Marburgs [5] näher erörtert werden, die jeweils in derselben Sache ergangen sind und die sich speziell mit den Anforderungen einer Zweigpraxis eines MVZ beschäftigt haben. Zentrale Frage war dabei die rechtliche Zulässigkeit der Auslagerung eines gesamten Fachgebietes an den Ort der Zweigpraxis. Des weiteren wird zum Zwecke eines Gesamtüberblicks auf die übrigen Genehmigungsanforderungen einer Zweigpraxis eingegangen, zu denen sich das Sozialgericht Marburg in den genannten Entscheidungen erneut geäußert hat.

In den Entscheidungen des Sozialgerichts Marburg [5] war die Genehmigung einer Zweigpraxis eines MVZ streitig. Das MVZ war mit Praxissitz in A-Stadt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und beschäftigte dort als angestellte Ärzte einen Facharzt für Radiologie sowie einen Facharzt für Nuklearmedizin. Das MVZ übernahm im Wege der Praxisnachfolge einen ausgeschriebenen weiteren Praxissitz aus dem Gebiet der Gynäkologie in der C-Stadt, wobei die vertragsärztliche Tätigkeit am dortigen Praxissitz durch eine vollzeitig beim MVZ angestellte Frauenärztin fortgeführt werden sollte. Am Sitz der übernommenen gynäkologischen Praxis begehrte das MVZ die Genehmigung einer Zweigpraxis, wobei allein dort gynäkologische Leistungen erbracht werden sollten, während sich das Leistungsspektrum am Hauptsitz des MVZ in A-Stadt ausschließlich auf radiologische und nuklearmedizinische Leistungen beziehen sollte [6].

#

Auslagerung eines gesamten Fachgebietes an den Ort der Zweigpraxis

Dies sah das Sozialgericht Marburg als Genehmigungshindernis an, weil ein MVZ als fachübergreifende Einrichtung alle vertragsärztlichen Leistungen am Ort des Hauptsitzes erbringen müsse. Begrifflich liegt eine genehmigungspflichtige Zweigpraxis dann vor, wenn vollständig oder zumindest teilweise die Leistungen in der Zweigpraxis mit denjenigen am Hauptsitz übereinstimmen und in der Zweigpraxis Sprechstunden angeboten werden. Hingegen ist eine nur anzeigepflichtige und nicht genehmigungspflichtige ausgelagerte Praxisstätte gegeben, wenn dort nur spezielle Untersuchungs- und Behandlungsleistungen angeboten werden, was im vorliegenden Fall aber nicht der Fall war. Nach der Auffassung des Gerichts hätte es sich nur dann um eine genehmigungsfähige Zweigpraxis gehandelt, wenn die gynäkologische Tätigkeit auch für den Hauptsitz des MVZ vorgesehen wäre. Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass am Hauptsitz eines MVZ alle vorgehaltenen Fachgebietsleistungen angeboten werden müssen. Für den Ort der Zweigpraxis hingegen reicht es aus, dass dort das Angebot auf bestimmte Leistungsbereiche beschränkt wird. Dieser Auffassung des Sozialgerichts Marburg haben sich bereits einige Kassenärztliche Vereinigungen angeschlossen mit der Konsequenz, dass bei vollständiger Auslagerung von Fachgebieten unter Hinweis auf diese Entscheidungen Genehmigungen nicht erteilt werden.

#

Zwei selbstständige Praxen unter dem Dach eines MVZ sind unzulässig

Werden hingegen Fachgebietsleistungen in der Zweigpraxis erbracht, die an dem Hauptsitz des MVZ nicht angeboten werden, so handelt es sich nach der Auffassung des Sozialgerichts Marburg – sofern es sich nicht nur um ausgelagerte Praxisräume handelt - um eine weitere Praxis, so dass unter dem Dach des MVZ zwei selbstständige Praxen betrieben würden. Dies sei nach geltender Rechtslage jedoch unzulässig. Nach der Auffassung des Gerichts könne auch nicht der Hinweis auf § 103 Abs. 4a Satz 2 SGB V überzeugen, da dieser nicht vorschreibe, dass bei einer Praxisnachfolge durch ein MVZ die Praxis am Ort des abgebenden Arztes zwingend dort weitergeführt werden müsse.

#

Verlegung des Praxissitzes

Sofern ein MVZ einen Praxissitz im Wege der Praxisnachfolge übernimmt, der sich nicht am Ort des MVZ befindet, so muss die Praxis vielmehr an den Sitz des MVZ verlegt werden. Unter Beachtung der hier erörterten Voraussetzungen ist es dann möglich, erfolgsversprechend einen Antrag auf Genehmigung der Zweigpraxis zu stellen.

#

Verbesserung der Versorgung am Ort der radiologischen Zweigpraxis

Als Genehmigungsvoraussetzung für eine Zweigpraxis fordert § 24 Abs. 3 Nr. 1 Ärzte-ZV, dass die Zweigpraxis die Versorgung an diesem Ort verbessert. Der vom Gesetzgeber kreierte Begriff der "Verbesserung der Versorgung" ist wegen seiner Unbestimmtheit schwierig juristisch fassbar, bietet gerade deswegen erhebliches Streitpotential und unterliegt letztlich der Auslegung durch die Rechtsprechung. Eine Versorgungsverbesserung muss von dem Radiologen bei seinem Antrag auf Genehmigung der Zweigpraxis gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung [7] oder dem Zulassungsausschuss [8] genau begründet werden, wobei eine Verbesserung in quantitativer Hinsicht (Anzahl), aber auch in qualitativer Hinsicht geltend gemacht werden kann. [1], [2]

Das Sozialgericht Marburg weist in seinen Entscheidungen darauf hin, dass das Vorliegen einer Versorgungsverbesserung von verschiedenen Faktoren abhängt, insbesondere der Anzahl der Ärzte, dem Stand der Krankenhausversorgung, der Bevölkerungsdichte, von Art und Umfang der Nachfrage und von der räumlichen Zuordnung aufgrund der vorhandenen Verkehrsverbindungen. Da die einzelnen Faktoren und ihre Abhängigkeit voneinander allerdings ebenfalls recht unbestimmt sind, gesteht das Bundessozialgericht den Kassenärztlichen Vereinigungen bei ihrer Gewichtung einen Beurteilungsspielraum zu, der gerichtlich nur eingeschränkt überprüft werden kann. Dies kann die gerichtliche Durchsetzbarkeit von Genehmigungsanträgen erschweren.

Rechtlich angreifbar ist es jedoch, wenn Kassenärztliche Vereinigungen z.B. pauschal darauf verweisen, dass das Planungsgebiet für das betroffene Fachgebiet gesperrt sei und die Befragung anderer niedergelassener Kollegen des Fachgebietes ergeben habe, dass die Versorgung der Versicherten nicht verbessert werde. Sicherlich kann im Bereich der quantitativen Versorgungsverbesserung die Bedarfsplanung nicht außer Acht gelassen werden. Sie ist jedoch keinesfalls ein abschließendes Kriterium, sondern kann nur indizielle Wirkung haben. Denn nach wie vor ist denkbar, dass in bestimmten lokalen Bereichen des Planungsgebietes, insbesondere in großflächigen Planungsbereichen, Leistungen der betreffenden Arztgruppe nicht in erforderlichem Umfang erbracht werden, obwohl rein rechnerisch das Planungsgebiet gesperrt ist. Eine Verbesserung der Versorgung in qualitativer Hinsicht ist gänzlich unabhängig von der Bedarfsplanung und kann begründet werden mit einem auf speziellen Kenntnissen beruhenden besonderen Behandlungsangebot oder mit besonderen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in Form z.B. von spezieller apparativer Ausstattung.

Das Sozialgericht Marburg vertritt ferner die Rechtsauffassung, dass eine Verbesserung der Versorgung bei Übernahme eines Praxissitzes im Wege der Praxisnachfolge stets gegeben sei, weil bereits von Gesetzes wegen ein Versorgungsbedarf im Umfang der bestehenden Praxis besteht [9]. Es komme daher nicht darauf an, ob das Leistungsangebot im Einzelnen verbessert oder erweitert wird. Unter Heranziehung dieser Rechtsprechung kann zukünftig in den Fällen, in denen ein Praxissitz übernommen wird und an diesem Ort die Genehmigung einer Zweigpraxis angestrebt wird, die Versorgungsverbesserung einfach begründet werden, weil auf den Bestand der bisherigen Praxis verwiesen werden kann.

#

Keine Beeinträchtigung der Versorgung am Vertragsarztsitz des Radiologen

Nach § 24 Abs. 3 Nr. 2 Ärzte-ZV darf die Versorgung am Hauptsitz nicht beeinträchtigt wurden. In den vertragsärztlichen Bestimmungen findet sich keine Festlegung hinsichtlich der Anzahl der möglichen Zweigpraxen. Durch die zeitlichen Vorgaben in den Bundesmantelverträgen für die Tätigkeit am Hauptsitz und in der Zweigpraxis ergibt sich jedoch zwangsläufig eine entsprechende Reduzierung. Der Radiologe muss 20 Stunden am Hauptsitz in Form von Sprechstundenzeiten präsent sein. Bei einem Teilversorgungsauftrag reduziert sich die Präsenzpflicht entsprechend auf 10 Stunden. Für die Zweigpraxis selbst besteht keine konkrete Zeitvorgabe. Der Bundesmantelvertrag gibt lediglich vor, dass die Zeit am Ort der Zweigpraxis die Zeit am Hauptsitz nicht überschreiten darf. Der Vertragsarzt muss dabei die Präsenzzeiten nicht zwingend in eigener Person erfüllen, sondern kann sich hierbei auch angestellter Ärzte bedienen. Die Anforderungen an den Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung sind durch die Neuregelung der Bundesmantelverträge im Hinblick auf angestellte Ärzte deutlich gelockert worden. Dies gilt allerdings nicht für Weiterbildungsassistenten, da diese auf Grund ihres Ausbildungsstatus der unmittelbaren Aufsicht und Weisung des zur Weiterbildung ermächtigten Arztes unterliegen. Die Anforderungen an den Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung sind daher strenger als bei angestellten Ärzten, die bereits über ihren Facharzt verfügen.

#

Erfüllung der Präsenzpflicht bei Medizinischen Versorgungszentren

Das Sozialgericht Marburg verwies ferner in seinen Beschlüssen darauf, dass die Präsenzpflicht am Hauptsitz eines MVZ als Mindestzeiten für den Versorgungsauftrag des MVZ insgesamt unabhängig von der Zahl der beschäftigten Ärzte anzuwenden sind, es also ausreicht, wenn ein Arzt des MVZ mindestens 20 Sprechstunden anwesend ist. Ferner muss die Summe der Tätigkeitszeiten aller am MVZ tätiger Ärzte alle Tätigkeiten außerhalb des Vertragsarztsitzes zeitlich insgesamt überwiegen.

#

Zusammenfassung

Erwirbt ein MVZ im Wege der Praxisnachfolge einen weiteren Vertragsarztsitz an einem anderen Ort, so ist es möglich, auf diesen Sitz einen Arzt des entsprechenden Fachgebietes anzustellen. Allerdings ist zu bedenken, dass es sich nur dann um eine genehmigungsfähige Zweigpraxis handelt, wenn das entsprechende Fachgebiet auch am Ort des Hauptsitzes des MVZŽs abgedeckt wird. Andernfalls handelt es sich nicht um eine Zweigpraxis, sondern um eine nicht genehmigungsfähige eigene Praxis. Wird die Praxis verlegt und das Fachgebiet am Hauptsitz des MVZŽs angeboten, so kann am Ort des früheren Praxissitzes eine Zweigpraxis genehmigt werden. Die "Verbesserung der Versorgung" kann mit Verweis auf den Praxisumfang des bisherigen Vertragsarztes begründet werden.

#

Literatur

  • 01 Müller SC SC . Harney A . Fortschr Röntgenstr. 2007;  179 1289-1292
  • 02 Harney A . Fortschr Röntgenstr. 2008;  180 361-363
  • 03 SG Marburg, Urteil vom 07.03.2007, Az.: S 12 KA 701/06; SG Marburg, Beschluss vom 27.08.2007, Az.: S 12 KA 374/07 ER. 
  • 04 LSG Hessen, Beschluss vom 29.11.2007, Az.: L 4 KA 56/07 ER. Mit dem Beschluss des LSG Hessen wurde der Beschwerde gegen den Beschluss des SG Marburg vom 27.08.2007, Az.: S 12 KA 374/07 ER, stattgegeben. 
  • 05 SG Marburg, Beschluss vom 22.02.2008, Az.: S 12 KA 47/08 ER; SG Marburg, Beschluss vom 23.11.2007, Az.: S 12 KA 465/07. 
  • 06 In dem Beschluss des SG Marburg vom 23.11.2007, Az.: S 12 KA 465/07, ging das Gericht noch davon aus, dass gynäkologische Leistungen auch am Hauptsitz erbracht werden würden, so dass in diesem Verfahren die einstweilige Anordnung (teilweise) erfolgreich war. In dem Beschluss des SG Marburg vom 22.02.2008, Az.: S 12 KA 47/08 ER, wurde seitens des MVZ klar gestellt, dass die gynäkologischen Leistungen nur in der Zweigpraxis erbracht werden würden, was zur Abweisung des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung führte. 
  • 07 Zuständig, wenn die Zweigpraxis in demselben KV-Bezirk liegt wie der Vertragsarztsitz. 
  • 08 Zuständig, wenn die Zweigpraxis in anderen KV-Bezirk als der Vertragsarztsitz liegt. 
  • 09 SG Marburg, Beschluss vom 23.11.2007, Az.: S 12 KA 465/07 ER. 
#

Rechtsanwälte Wigge

Anke Harney

Rechtsanwältin

Scharnhorststr. 40

48151 Münster

Phone: (0251) 53595-0

Fax: (0251) 53595-99

URL: http://www.ra-wigge.de

Email: kanzlei@ra-wigge.de

#

Literatur

  • 01 Müller SC SC . Harney A . Fortschr Röntgenstr. 2007;  179 1289-1292
  • 02 Harney A . Fortschr Röntgenstr. 2008;  180 361-363
  • 03 SG Marburg, Urteil vom 07.03.2007, Az.: S 12 KA 701/06; SG Marburg, Beschluss vom 27.08.2007, Az.: S 12 KA 374/07 ER. 
  • 04 LSG Hessen, Beschluss vom 29.11.2007, Az.: L 4 KA 56/07 ER. Mit dem Beschluss des LSG Hessen wurde der Beschwerde gegen den Beschluss des SG Marburg vom 27.08.2007, Az.: S 12 KA 374/07 ER, stattgegeben. 
  • 05 SG Marburg, Beschluss vom 22.02.2008, Az.: S 12 KA 47/08 ER; SG Marburg, Beschluss vom 23.11.2007, Az.: S 12 KA 465/07. 
  • 06 In dem Beschluss des SG Marburg vom 23.11.2007, Az.: S 12 KA 465/07, ging das Gericht noch davon aus, dass gynäkologische Leistungen auch am Hauptsitz erbracht werden würden, so dass in diesem Verfahren die einstweilige Anordnung (teilweise) erfolgreich war. In dem Beschluss des SG Marburg vom 22.02.2008, Az.: S 12 KA 47/08 ER, wurde seitens des MVZ klar gestellt, dass die gynäkologischen Leistungen nur in der Zweigpraxis erbracht werden würden, was zur Abweisung des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung führte. 
  • 07 Zuständig, wenn die Zweigpraxis in demselben KV-Bezirk liegt wie der Vertragsarztsitz. 
  • 08 Zuständig, wenn die Zweigpraxis in anderen KV-Bezirk als der Vertragsarztsitz liegt. 
  • 09 SG Marburg, Beschluss vom 23.11.2007, Az.: S 12 KA 465/07 ER. 
#

Rechtsanwälte Wigge

Anke Harney

Rechtsanwältin

Scharnhorststr. 40

48151 Münster

Phone: (0251) 53595-0

Fax: (0251) 53595-99

URL: http://www.ra-wigge.de

Email: kanzlei@ra-wigge.de