Geburtshilfe Frauenheilkd 2023; 83(12): 1417-1422
DOI: 10.1055/a-1924-8686
GebFra Magazin
Geschichte der Gynäkologie

Carl Kaufmann und der Nationalsozialismus

Anmerkungen zum Namensgeber der höchsten Auszeichnung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe
Wolfgang Frobenius

Einleitung

„Kaufmann, Carl, Gynäkologe. * 21.8.1900 Malmédy/Rheinprovinz. 1933 SA, NS-Kraftfahrkorps (Aumüller). 1936 ao. Professor, Frauenklinik der Charité […] 1946 Ordinarius in Marburg, 1954 in Köln. † 18.8.1980 Köln.“

Dieser Eintrag im „Personenlexikon zum Dritten Reich“ von Ernst Klee [1] kann irritierend wirken: Carl Kaufmann, unbestritten einer der besonders bedeutenden Wissenschaftler unter den Frauenärzten des 20. Jahrhunderts und Namensgeber der höchsten Auszeichnung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. (DGGG), der „Carl-Kaufmann-Medaille“, ein Mitglied der nationalsozialistischen Sturmabteilung (SA) und des Kraftfahrkorps (NSKK)? Tatsächlich finden sich entsprechende Hinweise auch in anderen Kurzbiografien, die sich jedoch alle auf Aumüller et al. beziehen, die offenbar zuerst darauf hingewiesen haben [2] [3] [4] [5].

Nachrufe und Würdigungen der Persönlichkeit Kaufmanns ([Abb. 1]) im gynäkologischen Schrifttum schweigen sich dazu aus. Dort wird im Zusammenhang mit seinem Wirken im Nationalsozialismus und in der unmittelbaren Nachkriegszeit – wenn überhaupt – von einem „distanzierten Verhältnis“ (Ludwig) zu den Machthabern und ihrer Ideologie gesprochen, Kaufmann als Hochschullehrer „außerordentliche Zivilcourage“ (Zander) bescheinigt sowie seine auch nach 1933 aufrechterhaltene enge Beziehung zu dem 1939 in die Emigration gezwungenen, weltberühmten jüdischen Gynäkopathologen Robert Meyer (1864–1947) hervorgehoben (Rohde/Hinz) [6] [7] [8]. Meyer war neben Kaufmanns langjährigem Chef, dem Berliner Ordinarius Georg August Wagner (1873–1947), der akademische Lehrer, der ihn wesentlich geprägt hat [9].

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Abb. 1 Porträt von Carl Kaufmann [6].

In Anbetracht der Bedeutung Kaufmanns für die Frauenheilkunde, des hohen Ansehens der seit 1986 im Zwei-Jahres-Rhythmus verliehenen, nach ihm benannten Medaille ([Abb. 2]) sowie seiner Ehrenmitgliedschaft in der DGGG soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, seine Rolle in der NS-Zeit und in den ersten Nachkriegsjahren genauer zu untersuchen. Dies erscheint auch deshalb dringlich, weil mit Blick auf die erwähnten kurzbiografischen Hinweise immer wieder Fragen gestellt werden, beispielsweise an Mitglieder der Historischen Kommission der DGGG. Die großen Verdienste Kaufmanns als Wissenschaftler, Gründer einer ärztlichen „Schule“ sowie Mitbegründer und jahrzehntelanger Herausgeber von Fachzeitschriften sind an anderer Stelle gewürdigt worden [6] [7] [8].

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Abb. 2 Kaufmann-Medaille. Quelle: DGGG


Publication History

Article published online:
30 November 2023

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  • Literatur

  • 1 Klee E. Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. 3. Frankfurt a. Main: Fischer Taschenbuch; 2011
  • 2 Kaufmann, Carl, in: Hessische Biografie. Accessed June 17, 2023 at: https://www.lagis-hessen.de/pnd/138968748
  • 3 Die Marburger Medizinische Fakultät im „Dritten Reich“. Aumüller G, Grundmann K, Krähwinkel E, Lauer HH, Reimschmidt H. München: Saur; 2001. [Kaufmann, Carl im biografischen Anhang]
  • 4 Dross F, Frobenius W, Thum A. „Ausführer und Vollstrecker des Gesetzeswillens“ – die deutsche Gesellschaft für Gynäkologie im Nationalsozialismus. Geburtshilfe Frauenheilkd 2016; 76: S123-S124
  • 5 [Anonym]. Carl Kaufmann. Accessed November 15, 2023 at: https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Kaufmann_(Mediziner)
  • 6 Zander J. Carl Kaufmann. 21. August 1900–18. August 1980. Geburtshilfe Frauenheilkd 1981; 41: 81-86 hier S. 83 DOI: 10.1055/s-2008-1036967. (PMID: 7014354)
  • 7 Ludwig H. Das „Kaufmann-Schema“ zur Behandlung dysfunktioneller Blutungen. Erinnerungen an Carl Kaufmann (1900–1980). Gynäkologe 2008; 41: 313-317 hier S. 314
  • 8 Rohde W, Hinz G. Endokrinologische Forschung an der Charité-Frauenklinik (II. Universitäts-Frauenklinik) 1908–1951, zugleich Keimzelle des 1951 gegründeten Instituts für Experimentelle Endokrinologie der Charité. In: David M, Ebert AD. Geschichte der Berliner Universitätsfrauenkliniken. Berlin/New York: De Gruyter; 2010: 131-162 hier S. 145
  • 9 Dallenbach-Hellweg G, Schmidt D. History of Gynecological Pathology, X: Dr. Robert Meyer. Int J Gynec Pathol 2001; 20: 289-308 (zu Meyer und seiner wissenschaftlichen Bedeutung)
  • 10 Hochstetter D. Institut für Zeitgeschichte. II. Das NSKK: Organisation und Aufbau 1933–1945. In: Motorisierung und Volksgemeinschaft. Studien zur Zeitgeschichte. Bd. 68. Oldenburg: Wissenschaftsverlag; 2005: 67-150 hier S. 70
  • 11 BArch R 9361-III/568030
  • 12 BArch R4901/13267
  • 13 Archiv HU, UK, Pers K 052, Bd. II, Bl. 17
  • 14 BArch R 9361-II/499980
  • 15 Archiv HU, UK Personalia K 052; Band IV u. V, Bl 1–2. NSV: Nationalsozialistische Volkswohlfahrt
  • 16 UAM, Akt Prof. Kaufmann, 310, Nr. 6249 (Spruchkammer Marburg/Lahn Nr. 6438/7)
  • 17 Dross F, Frobenius W, Thum A. „Ausführer und Vollstrecker des Gesetzeswillens“ – die deutsche Gesellschaft für Gynäkologie im Nationalsozialismus. Geburtshilfe Frauenheilkd 2016; 76: S16 (auch zu den im Folgenden geschilderten Auseinandersetzungen zwischen Wagner, Conti, Kaufmann und Baatz)
  • 18 Dross F, Frobenius W, Thum A. „Wir können ihre Geschick nicht wenden“. Die jüdischen Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie im Nationalsozialismus. Ein Gedenkbuch. Berlin/Leipzig: Hentrich & Hentrich; 2020. Richard Freund war ein Sohn des berühmten Gynäkologen Wilhelm Alexander Freund.
  • 19 BArch R 73/12057: Für „Untersuchungen über die Zusammenhänge zwischen Keimdrüsenhormon und Geschwulstbildung“ erhielt Kaufmann zwischen 1935 und 1942 Sachbeihilfen der DFG von mindestens 20000 Reichsmark.
  • 20 BArch, R 4901/1347 Acta betr. Die Frauenklinik der Charité, Bd. V: Januar 1930 bis Dezember 1936
  • 21 BArch, R 4901/1347 Acta betr. Die Frauenklinik der Charité, Bd. VI: Januar 1937 bis November 1942
  • 22 Baatz H. Deutsche Bücherei Leipzig. Beziehungen zwischen Krebswachstum und dem inkretorischen Milieu. Biologische Untersuchungen am Spontan- und Impftumor der Maus. Bonn 1938. In: Jahresverzeichnis der an den deutschen Universitäten und Hochschulen erschienenen Schriften. Leipzig: Börsenverein d. Deutschen Buchhändler; 1938: 93
  • 23 Grüttner M. Biographisches Lexikon zur Nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik. Heidelberg: Synchron Publishers; 2004
  • 24 Dietrich J. Nachruf für einen Freund. Frauenarzt 1996; 37: 1332-1334
  • 25 Archiv HU, UK Personalia K 052; Band IV, Bl. 29
  • 26 UAM 307 c, Nr. 5124, PA Kaufmann. Der NS-„Blutordensträger“ Ernst Bach, Ordinarius von 1940–1944, war überraschend verstorben. Die am 31.01.1945 in der Fakultätssitzung einstimmig beschlossene Liste sah wie folgt aus: 1. Hans Naujoks, Köln; 2. Karl (sic) Kaufmann, Berlin; 3. Paul Caffier, Berlin.
  • 27 BArch Berlin R 9361-II/499980
  • 28 BArch Berlin, BDC, DS A 0072, Bl. 1476
  • 29 Archiv HU, UK Personalia K 052, Bd. IV, Bl. 65. Wagner in einer Stellungnahme für Charité-Direktion und Wissenschaftsministerium zur Verlängerung Kaufmanns vom 17.01.1939.
  • 30 Archiv HU, UK Personalia K 052, Bd. V, n. p.
  • 31 Rüther M. Ärzte im Nationalsozialismus. Neue Forschungen und Erkenntnisse zur Mitgliedschaft in der NSDAP. Dtsch Arztebl Ausg A 2001; 98: A3264-3265
  • 32 Methfessel B, Scholz A. Ärzte in der NSDAP. Regionale Unterschiede. Dtsch Arztebl Ausg A 2006; 103 (16) A1064-1065
  • 33 Eberle A. Die Ärzteschaft in Bayern und die Praxis der Medizin im Nationalsozialismus. Berlin: Metropol; 2017. (Persönliche und sachliche Differenzen mit NS-Funktionsträgern wurden nach dem Krieg vor allem in Spruchkammerverfahren zu widerständischem Verhalten gegenüber dem Regime umgedeutet und als entlastend angeführt. Vgl. z. B. das Verfahren gegen den Münchener Ordinarius Heinrich Eymer.)