Geburtshilfe Frauenheilkd 2025; 85(10): 1013-1015
DOI: 10.1055/a-2700-9198
GebFra Magazin
Geschichte der Gynäkologie

Die Sichtbarmachung des Ungeborenen – eine Reminiszenz an Lennart Nilssons Fotoessay „Drama of live before birth“ 60 Jahre nach dessen Veröffentlichung

Authors

  • Matthias David

  • Andreas D. Ebert

  • Nils Hansson

Preview

Das Coverbild

„Bilder des Embryo oder dessen, was dafür gehalten wird, sind ein lehrreiches Beispiel dafür, dass Bilder nicht wertfrei betrachtet werden können, besonders dann nicht, wenn sie einen so sensiblen Bereich wie die eigene Menschwerdung betreffen. Bilder von Embryonen oder Foeten liefern daher durch die Jahrhunderte hindurch eine willkommene Projektionsfläche für die unterschiedlichsten Hoffnungen, Sehnsüchte und Wünsche …“ [1]

Einige medizinhistorische Aspekte zu diesem facettenreichen Thema sollen nachfolgend am Beispiel des berühmten Covers der Life-Magazin-Ausgabe vom 30. April 1965, das einen scheinbar schwebenden Fetus in seiner Fruchtblase mit einer „als Rucksack“ anhängenden Plazenta vor einem nachthimmelartigen Hintergrund zeigt, diskutiert werden.

Dass dieses Foto international so viel Furore machte und zur fotografischen Ikone avancierte, lässt sich nur dadurch erklären, dass Motiv, (ästhetischer) Zeitgeist und technische Möglichkeiten im richtigen historischen Moment eines Jahrzehnts aufeinandertrafen, welches sich gesellschaftlich u. a. mit den (ungeordneten) Stichworten Antibabypille, Studentenrevolten, Frauenbewegung, Kampf um die Reformierung des Schwangerschaftsabbruchs, Fortschritte in der Reproduktionsmedizin charakterisieren lässt.

Die Fotografien Lennart Nilssons, von denen zunächst 16 im April 1965 als Fotoessay erschienen waren, wurden – um zahlreiche weitere Farb- und s/w-Fotos ergänzt – schon Ende des gleichen Jahres unter dem Titel „Ett barn blir till“ (deutsch: „Ein Kind entsteht“) als Buch, das sich an Laien richtete, zunächst nur in Schweden veröffentlicht [2]. Das Neue war, dass diese Fotos werdender Menschen damit einer breiten Öffentlichkeit zugemutet und zugänglich gemacht wurden. Scharf et al. stufen diese Aufnahmen des schwedischen Fotografen und dessen Bildband „Ein Kind entsteht“ als eines der bedeutendsten illustrierten Werke über die menschliche Fortpflanzung seit Erfindung der Fotografie ein [3]. „Die acht Mio. Exemplare des Heftes waren in kurzer Zeit ausverkauft, andere Blätter, wie in Deutschland der „stern“, „Paris Match“ oder die „Sunday Times“, druckten die Bilder ebenfalls …“ [4] und das als aufklärende Bilddokumentation gedachte Buch [5] wurde, in 20 Sprachen übersetzt, in den nächsten Jahren zum weltweiten Bestseller und erlebte seit den 1960er Jahren zahlreiche, z. B. durch Ultraschallbilder (1965 gab es nur erste Prototypen von Ultraschallgeräten) erweiterte, dem aktuellen medizinischen Wissensstand angepasste Neuauflagen. Insgesamt wurden über 50 Millionen Exemplare verkauft, sodass Nilssons Buch angeblich zu den meistverkauften Bildbänden aller Zeiten zählt [3]. Das Buch ist eine Mischung aus „Reportage, medizinischem Sachbericht und Schwangerschaftsratgeber“ und umfasst „die Zeitspanne von der Zeugung bis zur Geburt …“ mit sehr ästhetischen Aufnahmen der verschiedenen fetalen Entwicklungsstadien [5].

Im Editorial der Life-Ausgabe von 1965 wurde behauptet, Nilsson hätte eine bis dahin unbekannte Welt entdeckt [6], was nicht stimmte, denn solche Fotos waren selbst in Life nicht die ersten publizierten Darstellungen, die die Entwicklung des ungeborenen Menschen fotografisch festhielten. Bereits 15 Jahre zuvor, in der Life-Ausgabe vom 3. Juli 1950, war unter der Überschrift „The human embryo“ erstmals ein dreiseitiger Beitrag mit 14 bemerkenswerten s/w-Fotos erschienen, die die Entwicklung von einer einzelnen befruchteten Zelle bis zum voll ausgebildeten Embryo zeigten. Drei Jahre später wurde wiederum in Life das Gesicht eines Embryos in der sechsten Schwangerschaftswoche gezeigt – verbunden mit der Anmerkung, dass dieses besondere s/w-Foto von einem schwedischen Fotografen namens Lennart Nilsson aufgenommen worden sei.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
13. Oktober 2025

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