Balint Journal 2017; 18(01): 29
DOI: 10.1055/s-0043-103656
Leserbrief
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Leserbrief zum Artikel: Medizinische Anthropologie und Theologie – ein persönlicher Rückblick von Prof. Dr. Ernst Petzold aus Balint 2016;17:75–81

Otto Hofer-Moser
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Publication Date:
19 May 2017 (online)

Wie Kollege Petzold treffend bemerkt „sind Glaubens- und Gotteserfahrungen in der Regel kein Gegenstand medizinischer Vorlesung“. Sie sind in der Regel auch kein Gegenstand der postuniversitären medizinischen Weiterbildung oder der Balintgruppenarbeit und auch nicht Gegenstand psychotherapeutischer Aus- und Weiterbildung. Eine Richtlinie des österreichischen Bundesministeriums für Gesundheit vom 17.06.14 fordert sogar eine strikte Abgrenzung einer wissenschaftsbasierten Psychotherapie von Esoterik, Spiritualität und Religion, ohne dabei diese drei Bereiche weiter zu differenzieren.

Gerade wenn es sich um die existentiellen Themen von schwerer Krankheit, Sterblichkeit und Lebenssinn geht – und das ist in Medizin und Psychotherapie sehr häufig der Fall -, dann stehen diese Grundüberzeugungen zum Leben und über die (Natur-)Wissenschaftlichkeit hinausgehende Wirklichkeitsdeutungen oft drängend im Raum. Ob und wie nun ein Arzt, eine Ärztin, ein Therapeut, eine Therapeutin solch „Glaubenshaltungen“ hilfreich aufgreifen kann, hängt sehr damit zusammen, wie intensiv sich dieser/diese mit diesen Themen sowohl auf professioneller religions- und sozialwissenschaftstheoretischer als auch auf einer persönlichen Ebene damit auseinandergesetzt hat. Herr Petzold gibt hier mit seinen persönlichen Reflexionen wichtige Anregungen für diese Auseinandersetzung und hilft dadurch, ein vornehmlich von der Naturwissenschaft errichtetes „Tabu“ zu durchbrechen und den so wichtigen ergänzenden, komplementären Charakter von Glauben und Wissenschaft herauszustreichen. Natürlich geht es dabei um eine „saubere“ Trennung beider Bereiche, die jedoch nur möglich ist, wenn der jeweilige Geltungsbereich klar genug herausgearbeitet wurde. Und nur wer sich dieser Auseinandersetzung auf beiden Ebenen mit „Glaubensfragen im weiteren Sinn“ ausreichend gestellt hat und darüber sich seiner eigenen Einstellung zu Religion, Religiosität, Spiritualität und Esoterik ausreichend sicher ist, wird diese Themen in einer offen akzeptierenden Haltung im therapeutischen Dialog aufgreifen können, ohne mehr oder weniger unbewusst missionieren oder abwehren zu müssen. Diese Themen sollten daher m. E. verpflichtender Bestandteil der wissenschaftstheoretischen wie der auf Selbsterfahrung ausgerichteten Aus- und Weiterbildung von ÄrztInnen und PsychotherapeutInnen sein. Kollege Petzold hat da mit seinem Beitrag bereits die notwendige Diskussion darüber eröffnet.

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