PiD - Psychotherapie im Dialog 2002; 3(4): 410
DOI: 10.1055/s-2002-36090
Nachruf
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Unser Lehrer ist tot

Ende Oktober verstarb völlig unerwartet unser Lehrer und Freund Frederick H. Kanfer. Er wurde 77 Jahre alt
Further Information

Publication History

Publication Date:
11 December 2002 (online)

Fred Kanfers Bedeutung für die Entwicklung der modernen Verhaltenstherapie in der Bundesrepublik ist nicht hoch genug einzuschätzen. Erst für den psychologischen Dienst der Arbeitsämter als Berater tätig, konzentrierte er sich seit Ende der 60er-Jahre auf die Verhaltenstherapie-Ausbildung. In unzähligen Workshops, Vorträgen und Seminaren hat er sein profundes theoretisches und praktisches Wissen weitergegeben, und er beeinflusste hierdurch entscheidend Inhalt und Status der Verhaltenstherapie in Deutschland und trug zu ihrer Etablierung als anerkannte Therapiemethode bei.

Wohl alle deutschen Verhaltenstherapeutinnen und Verhaltenstherapeuten kennen die „Kanfer-Gleichung” und haben auf ihr aufbauende Schemata als Grundlage der Verhaltensanalyse gelernt. Doch niemand war weiter als Fred Kanfer davon entfernt, Verhaltenstherapie als starren Methodenkanon zu verstehen, und er lachte sein verschmitztes Lächeln über die, die das Schema perfektionierten, als er selbst schon längst über die Bedeutung von Kognitionen, Emotionen und Motivation bei der Änderung von Verhalten nachdachte. Er entwarf die Konzeptionen der ersten verhaltenstherapeutischen Fachkliniken, machte die Therapieform transparent und demonstrierte, dass Stringenz und Empathie sich therapeutisch nicht widersprechen, sondern gleichzeitig realisiert werden können. Seine bedeutsamen Publikationen beeinflussten mehrere Generationen von Therapeutinnen und Therapeuten, und sein mit Reinecker und Schmelzer zusammen verfasstes Buch „Selbstmanagement-Therapie” ist die umfassendste und differenzierteste Darstellung der modernen Verhaltenstherapie.

Als Lehrer hatte Fred Kanfer ein unglaubliches Talent, schwierige Sachverhalte zu strukturieren und zu erklären. Das Selbstkontrollmodell, das Sieben-Phasen-Modell, dass Verhaltenstherapie ein systemischer Prozess mit Feed-back-Schleifen und Feed-forward-Loops ist oder die scheinbar so einfachen Leitsätze wie „Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg”, „Think positive” oder „Think solutions” haben wir wie selbstverständlich in unser therapeutisches Repertoire übernommen. Ausbildung basierte bei ihm nicht auf theoretischem Dozieren, sondern auf seinem enormen Erfahrungswissen als Therapeut. Die Rollenspiele mit ihm sind heute noch präsent, seine Art zu explorieren, seine „Colombo-Technik”, sein tiefes Interesse an Menschen und sein Respekt und die Wertschätzung, die er ausstrahlte, wirken fort. Er entwarf integrative und hochkomplexe Systemmodelle und war dabei immer ein Praktiker, der die einfachen Fragen stellen konnte, ohne dabei auch nur im Entferntesten in die Gefahr zu geraten, banal oder unwissenschaftlich zu werden. Als wir ihn später selbst als Lehrende zu Workshops einluden und ihn erneut erlebten, stellten wir manches Mal erstaunt fest, dass wir das, was wir als selbstverständlich zu unserem therapeutischen Stil gehörend ansahen, von ihm gelernt hatten.

„Kanfer’s Eleven Laws of Psychotherapy” sind ein Kanon therapeutischen Wissens, den „Weisheit” zu nennen wir uns nicht schämen. Sie sind ein Zeugnis seiner Professionalität - wie Gesetz Nr 3: „You are only a well-trained professional, don’t play God in assuming responsibility for the patient’s life” oder Nr. 10: „If you have worked harder during a session than the patient, you are doing something wrong.” Aber sie sind auch ein Zeugnis seiner Menschlichkeit, seiner Toleranz und seines Respekts - wie Gesetz Nr. 1: „Do not ask a patient to act against his/her own self-interest.”

Fred Kanfer als Person? Kein Mensch, auf den der Begriff eines Gurus zuträfe. Meine (MB) erste Begegnung mit ihm Mitte der 70er-Jahre: Ich sollte ihn zum Workshop am Bahnhof abholen und erwartete einen großen, grau- und langhaarigen, mit Cowboyhut und Halskette versehenen Amerikaner. Der Bahnsteig leerte sich nach Zugankunft und übrig blieb nur ein kleiner, im Stile eines Versicherungsvertreters gekleideter, freundlicher Mann mit wenig Haaren und leuchtenden Augen. Diese anfängliche Irritation wich der Faszination, die er ausstrahlte. Er, der immer auf der Suche nach neuen Erkenntnissen war, der sich als forschend und verstehen wollend empfand, hat um seine Person kein Aufheben gemacht. Er hätte sich nie in der Rolle eines einflussreichen Initiators gesehen und hätte eher kommentiert: „Eh - that’s my job!”

Abends, wenn der Job gemacht war, ging er gern essen. Gut musste es sein, da hatte er schon seine Ansprüche. Und dann erzählte er von Ruby, seiner Frau, von seiner Tochter Ruth, einer ebenso renommierten Psychologin, und zeigte stolz Postkarten mit Bildern seines Sohnes Larry, der Fotograf geworden ist.

Wir sind sehr traurig und können es noch nicht recht fassen, dass Fred Kanfer nicht mehr lebt. Wir sind sehr dankbar, dass wir ihn kennen und von ihm lernen durften. Wir wissen, dass die Lücke, die er hinterlässt, nicht zu schließen ist. Prof. Dr. Alexa Franke, Dortmund und Dr. Michael Broda, Dahn

    >