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DOI: 10.1055/s-2005-865122
Umgang mit Schmerz in der Hebammenarbeit
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
10. März 2005 (online)
Die vielfältigen Beiträge zum Schwerpunktthema dieses Heftes habe ich mit großem Interesse gelesen, denn sie stellen eine gute Arbeitshilfe für uns Hebammen dar. Wir erleben täglich Frauen mit Geburtsschmerzen und es ist unsere Aufgabe ihnen dabei zu helfen, adäquat mit dem Schmerz umzugehen.
Zur Sinnhaftigkeit des Geburtsschmerzes finden Sie ein aufschlussreiches Interview mit der italienischen Hebamme Verena Schmid und interessante evolutionsbiologische Überlegungen von Professor Schiefenhövel. Leider ist die Bedeutung des »natürlichen« Geburtsschmerzes heute schwerer denn je vermittelbar, denn in unserer Gesellschaft besteht die Tendenz, Alltagsmühsal und schwierige Aufgaben stetig zu verringern. Welche Nachteile der aus Rolltreppen, Fahrstühlen und unzähligen anderen Alltagshilfen resultierende Bewegungsmangel mit sich bringt, ist hinreichend bekannt. Zum Ausgleich wird darum von vielen Menschen ein teures Fitness-Studio besucht, und manch eine(r) freut sich am nächsten Tag über den Muskelkater-Schmerz, der sie (ihn) mit Stolz erfüllt über die vollbrachte Leistung. Auch kennen wir alle Sportler und Marathonläufer, die täglich eine körperliche Herausforderung suchen, um sich selbst zu bestätigen und wohl zu fühlen.
Weil Frauen nach einer schmerzhaften und erfolgreich gemeisterten Geburtsarbeit oft ähnliche Gefühle von Glück und Stolz erleben, sollte unser erklärtes Ziel nicht einzig die »bequeme, schmerzfreie Entbindung« sein. Denn damit würden wir alle Frauen in eine passive Rolle des »Entbundenwerdens« drängen und sie und ihr Neugeborenes um eine wichtige Lebenserfahrung bringen, siehe dazu auch den Beitrag von Cornelia Enning.
Ich finde es sehr wichtig, dass wir Hebammen in der Schwangerenvorsorge und in Geburtsvorbereitungskursen immer wieder den Sinn von Geburtsarbeit und -schmerzen erklären und Wege aufzeigen, adäquat mit den Schmerzen umzugehen. Gute Anregungen finden Sie hierzu in einem Beitrag von Elisabeth Benikos zur Geburtsvorbereitung und in dem Artikel von Marion Stüwe, die mehrere Körperübungen, welche vor und während der Geburt hilfreich sind, vorstellt.
Dass Bewegung Wehenschmerzen erträglicher macht, ist hinreichend erwiesen. Schon 1975 wurden in einer Studie Wehenhäufigkeit, Wehenschmerz und das Wohlbefinden von Frauen in horizontaler Rückenlage mit vertikalem Stehen verglichen. Das Ergebnis zeigte, dass im Stehen die Stärke der Wehen kräftiger wurde, dafür aber ihre Frequenz und der empfundene Schmerz absank, außerdem erlebten die meisten Frauen die aufrechte Position als wesentlich angenehmer (1).
Unlängst wurde der schmerzlindernde Effekt körperlicher Bewegung erneut nachgewiesen: Für eine gemeinsame Studie der Sporthochschule Köln und einer Frauenklinik in Bonn und Tübingen belasteten sich Schwangere mit regelmäßigen Eröffnungswehen 20 Minuten lang auf einem Fahrradergometer; alle Frauen gaben sowohl während als auch nach dem Fahrradfahren eine geringere Schmerzintensität während der Wehen an (2).
Auch Suggestion und Selbsthypnose stellen gute Möglichkeiten zur nichtmedikamentösen Beeinflussung der Schmerzwahrnehmung während der Geburt dar, und es wäre gut, wenn sie von uns Hebammen mehr genutzt würden. Von der positiven Wirkung der Selbsthypnose konnte ich mich kürzlich bei einem Zahnarztbesuch eindrucksvoll selbst überzeugen!
Ihre Ulrike Harder
