Erfahrungsheilkunde 2020; 69(01): 3
DOI: 10.1055/a-0966-1781
Editorial

„Das arme Herz, von manchem Sturm bewegt, erlangt den wahren Frieden nur, wo es nicht mehr schlägt.“

J. G. v. Salis-Seewis, Das Grab
Peter W. Gündling

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Leserinnen, liebe Leser,

trotz vielerlei Aufklärungskampagnen und Präventionsmaßnahmen/-programmen führen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und mit ihnen verbunden die Koronare Herzkrankheit (KHK) noch immer die Todesursachenstatistik an. Gleichzeitig ist durch eine Vielzahl von internationalen Studien belegt, dass bereits relativ kleine Änderungen des Lebensstils eine dramatische Verbesserung dieser Situation herbeiführen können.

So konnte die EPIC-Studie (European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition – Potsdam Study) bereits vor über 10 Jahren zeigen, dass eine über 80 %ige Reduktion der Herzinfarktrate mit relativ einfachen Maßnahmen möglich wäre: Verzicht aufs Rauchen, Vermeidung von Adipositas (BMI < 30 kg/m2), 3,5 Std. Bewegung pro Woche und etwas mehr Gemüse, Obst und Vollkornprodukte und dafür wenig(er) Fleisch [1]. D. h. selbst Übergewicht ist akzeptabel und bei der Bewegung genügen im Durchschnitt bereits 30 Minuten pro Tag. Und dennoch scheint es unmöglich zu sein, diese Ziele umzusetzen – oder anders ausgedrückt: Diese spektakulären Ergebnisse dieser riesigen internationalen Studie, bei der allein in Deutschland über 23 000 Bundesbürger eingeschlossen sind, scheinen niemanden zu interessieren. Und das, obwohl die von den scheinbar so evidenzorientierten Medizinern präferierten Medikamente und Interventionen (Stent & Co.) im Vergleich dazu eine verschwindend kleine Rolle spielen. Dabei wurde das Thema Stress und dessen Bekämpfung, das zusätzlich einen hohen Stellenwert besitzt, noch nicht einmal berücksichtigt.

Schaut man sich die Behandlungsempfehlungen der Kardiologen in den Befundberichten an, die uns nahezu täglich erreichen, gehören Maßnahmen, die die Schulmedizin unter „Allgemeinmaßnahmen“ führt (wie Ernährung, Bewegung und Entspannungsmaßnahmen), zu den Ausnahmen. Vielleicht kommt mal eine Erwähnung wie „der Patient sollte sein Gewicht reduzieren“ oder „striktes Rauchverbot ist einzuhalten“. Was der Patient oder die Patientin jedoch dazu genau tun soll, wohin er oder sie sich wenden soll, wird dabei nicht erwähnt. In über 30 Jahren in eigener Praxis habe ich es nicht einmal erlebt, dass ein Kardiologe einen Patienten zur Ernährungsberatung geschickt hat. Somit bleiben selbst gut gemeinte Empfehlungen oberflächliche Aussagen, die wenig hilfreich sind. „Dass ich zu dick bin, muss der mir nicht sagen“, beschwerte sich unlängst eine Patientin über die Aussage ihres Kardiologen. „Einen Spiegel habe ich auch“. Was gebraucht wird, sind praktisch umsetzbare Konzepte und Hilfestellungen anstatt kluger Sprüche. Das scheint die Aufgabe der Hausärzte zu sein, die – infolge der vernachlässigten Ausbildung in klassischen Naturheilverfahren – leider auch in den wenigsten Fällen die Kompetenz und das Interesse dafür haben.

Unser heutiges Heft ist gefüllt mit aktuellen Informationen zum Thema Prophylaxe und Therapie der KHK wie Risikostratifizierung, Bewegungs- und Ordnungstherapie, Autologe und Orthomolekulare Therapie sowie drei Beiträgen zum aktuellen Stand der Phytotherapie bei KHK.

Möge Ihnen die Lektüre helfen, ihre Patienten wieder ein wenig besser zu beraten und zu behandeln.

Herzlichst Ihr
Peter W. Gündling



Publication History

Article published online:
19 February 2020

© MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG
Stuttgart · New York

 
  • Literatur

  • 1 Ford ES, Bergmann MM, Kröger J. et al. Healthy living is the best revenge: Findings from the European Prospective Investigation Into Cancer and Nutrition-Potsdam study. Arch Intern Med 2009; 169 (15) 1355-1362