retten! 2020; 9(04): 272-281
DOI: 10.1055/a-1008-0889
Fachwissen

Hygienemaßnahmen beim Patiententransport

Jürgen Mohrbacher
,
Wolfgang Kramer

Im täglichen Einsatz im Rettungsdienst ist es notwendig, den Begriff „infektiöser Patient“ kritisch zu hinterfragen. Welche Hygienemaßnahmen zur Vermeidung von nosokomialen Infektionen beim Rettungsdienstpersonal und den Patienten sind sinnvoll? In diesem Artikel wird differenziert auf die hygienischen Anforderungen bei verschiedenen Infektionserkrankungen und Notfallsituationen eingegangen.

Kommentar

von Karlheinz Pfaff, Schulleiter der Franz Anton Mai-Schule in Mannheim und Mitherausgeber von retten!

Hygiene im Zeichen der Corona-Pandemie

Was haben wir eigentlich seit Semmelweis gelernt?

Der Umgang medizinischen Fachpersonals mit Hygiene ist häufig durch zwei Extrempositionen gekennzeichnet. Einerseits durch den naiven Glauben, dass ein Paar Nitril-Untersuchungshandschuhe vor Infektionsübertragung schützt und andererseits durch die Ignoranz, die schlimme Konsequenzen aus potenziell erregerübertragenden Praktiken ausblendet.

Selbstverständlich ist die Etablierung hygienisch sicherer Praktiken überfällig. Leider stößt der Autor unseres Hygieneartikels auf wenig Gegenliebe, wenn er das Offensichtliche schlussfolgert und die Anwendung von Einmal-Schutzkitteln fordert.

Die Autoren legen (natürlich symbolisch) den Finger in eine chronische Wunde des Rettungsdienstes, deren Sanierung längst überfällig ist und geben wichtige Hinweise für ein hygienisch einwandfreies Arbeiten, auch unter den schwierigen Bedingungen der Notfallrettung.

Die 5 Momente der Händehygiene zu ignorieren ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein vorsätzlicher Kunstfehler! Die Desinfektion der behandschuhten Hände ist in der Notfallversorgung zwingend erforderlich, da der Handschuhwechsel ebenso eine Händedesinfektion und die vollständige Abtrocknung der Hände bedarf und somit mit den Erfordernissen eines kritischen Patienten nicht in Einklang zu bringen ist.

Lange haben Epidemiologen vor der nächsten Pandemie und ihren verheerenden Konsequenzen gewarnt. 2005 veröffentlichte Michael T. Osterhold, damaliger Direktor des Center for Desease Control in den USA, einen Aufsatz (Preparing fort the next Pandemic [15]), der all dies, was wir gerade erleben bestens vorhersagt. Auch wenn wir in Deutschland gerade glauben, mit einem blauen Auge davon gekommen zu sein, bleibt festzuhalten, dass wir einerseits noch längst nicht durch sind und die globale Entwicklung der Krise gerade erst richtig Fahrt aufnimmt.

Corona war und ist keine Überraschung. Tatsächlich hatten wir nur sehr viel Glück, dass seit der letzten Grippe-Pandemie Ende der 60er Jahre, eine trügerisch „ruhige“ Zeit herrschte. Es war immer klar, dass es passieren würde und dass Überbevölkerung, Globalisierung und weltweite, grenzenlose Mobilität sich wie Brandbeschleuniger auswirken würden.

Trotzdem waren wir unvorbereitet und reagieren hygienisch inkompetent. Hygieneartikel und Lieferketten kollabierten, erforderliche Hygienemaßnahmen wurden komplett unterlassen oder weit oberhalb der Erfordernisse angewendet.

Wenn Hygiene bereits in der alltäglichen Anwendung versagt, wie soll sie dann in Anwesenheit eines hochkontagiösen Krankheitserregers Wirkung entfalten?

Corona ist keine Überraschung und wird auch kein Einzelfall bleiben. Pandemien gehören zu unserer Geschichte und unsere Lebensweise begünstigt ihre Entstehung und Auswirkungen. Das Gesundheitswesen muss seinen Standpunkt zur Hygiene neu definieren. Impfstoffe und Medikamente (Antibiotika und Virustatika) dürfen Hygiene nicht länger ersetzen, denn den Wettlauf mit Mutationen und Resistenzentwicklungen verlieren wir mit hoher Wahrscheinlichkeit. Andererseits sollte Katastrophenvorsorge künftig auch aus epidemiologischer Sicht wahrgenommen werden. Bereits 2012 legte die Drucksache 17/12051 (Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz [16]) der Bundesregierung die Konsequenzen und Auswirkungen einer pandemischen Ausbreitung nahe. Knapp 8 Jahre später folgt die aktuelle Krise den Annahmen dieser Drucksache fast wie einem Drehbuch und trifft uns trotzdem völlig unvorbereitet.

Angewandte Hygiene benötigt den gleichen Stellenwert in der Patientenversorgung, wie evidenzbasierte Medizin und ihre Leitlinien. Einen Einmal-Schutzkittel anzulegen, wenn es notwendig ist, ist ein Zeichen von Intelligenz. Prophylaktisch den Dienst im Vollschutz zu versehen, während diese Artikel dringend auf der nächsten Intensivstation gebraucht würden, ist ein Offenbarungseid. Hygienemaßnahmen unterliegen nicht dem persönlichen Ermessen, sondern folgen Standards, die z.B. vom Robert-Koch-Institut bereitgestellt werden. Würden wir nun einfach diesen Standards ähnlich treu folgen, wie z. B. den ERC-Guidelines oder der Polytrauma-Leitlinie, hätte dies einen deutlich positiven Einfluss auf das Auftreten nosokomialer Infektionen, sowie einen sicheren und konsequenten Umgang mit hochkontagiösen Erregern wie CoViD19.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
21. September 2020

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