Nervenheilkunde 2021; 40(01/02): 70-74
DOI: 10.1055/a-1246-0309
Gesellschaftsnachrichten

Kopfschmerz News der DMKG

Atogepant in der Prophylaxe der episodischen Migräne

***** Goadsby PJ, Dodick DW, Ailani J et al. Safety, tolerability, and efficacy of orally administered atogepant for the prevention of episodic migraine in adults: a double-blind, randomised phase 2b/3 trial. Lancet Neurol 2020; 19(9): 727–737

Atogepant ist in allen untersuchten Dosierungen in der Prophylaxe der episodischen Migräne sowohl wirksam als auch sicher und gut verträglich.

Hintergrund

Pharmakologische Interventionen im Signalweg des Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) sind sowohl pathophysiologisch begründet als auch in der Akut- (z. B. Triptane/Ditane) und prophylaktischen Therapie (z. B. CGRP Rezeptor-/Ligandenantikörper) der Migräne wirksam. Die Gruppe der Gepante umfasst small molecules, welche als direkte CGRP-Rezeptorantagonisten in eben diesem Signalweg wirksam sind. Sie können sowohl in der Akuttherapie (intermittierende Einnahme) als auch zur Prophylaxe (regelmäßige Einnahme) der Migräne eingesetzt werden [1]. Der ersten Generation der Gepante standen dieser möglichen Wirksamkeit jedoch bedenkliche hepatotoxische Nebenwirkungen oder eine unzureichende Bioverfügbarkeit gegenüber. Atogepant ist ein Vertreter der zweiten Generation, welcher in der vorliegenden Studie auf seine Sicherheit und Verträglichkeit in der Prophylaxe der episodischen Migräne getestet wird. Als Phase-IIb/III-Studie werden zudem Dosisfindung und Wirksamkeit kombiniert geprüft.


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Zusammenfassung

Das Design entspricht einer multizentrischen, randomisierten, placebokontrollierten und doppelblinden Studie. Es konnten Patienten im Alter von 18–75 Jahren mit durchschnittlich 4–14 Migränetagen/Monat mit oder ohne Aura über 3 Monate eingeschlossen werden. Patienten mit einem Übergebrauch von Akutmedikation und unzureichendem Ansprechen auf 3 vorherige Prophylaxen von mindestens 2 Klassen wurden ausgeschlossen. Eine schwere Niereninsuffizienz sowie mäßige bis schwere Leberfunktionsstörung waren weitere Ausschlussgründe.

Es wurden 1772 Patienten in eine 4-wöchige Baseline-/Screening-Phase eingeschlossen. Von diesen wurden 834 Patienten randomisiert und in die 12-wöchige Behandlungsphase überführt. Die Randomisierung erfolgte 2:1:2:1:2:1 in Placebo sowie Atogepant 10 mg 1x tgl., 30 mg 1x tgl., 30 mg 2x tgl., 60 mg 1x tgl. und 60 mg 2x tgl.. Als primärer Wirksamkeitsendpunkt wurde die mittlere Änderung der monatlichen Migränetage in der 12-wöchigen Behandlungsphase gegenüber der 4-wöchigen Baselinephase definiert. Sicherheit und Verträglichkeit wurden anhand von behandlungsassoziierten unerwünschten Ereignissen (TEAE; entsprechend AEs, die mit Beginn der Behandlungsphase begannen oder sich verschlechterten) und behandlungsbedingten TEAEs beurteilt. Patienten der Behandlungsphase waren durchschnittlich 40,1 ± 12,2 Jahre alt, 87 % weiblich, hatten die Diagnose einer Migräne seit ca. 19 Jahren und 28 % hatten zuvor mindestens eine prophylaktische Pharmakotherapie erhalten. Die durchschnittlichen monatlichen Migränetage lagen bei 7,7 ± 2,5 in der Baselinephase und unterschieden sich nicht zwischen den Interventionen.

Alle Dosierungen von Atogepant erreichten den primären Wirksamkeitsendpunkt. Atogepant reduzierte die Migränetage pro Monat signifikant gegenüber Placebo (–2,9 ± 0,2 Tage) um weitere –0,7 Tage [95 % CI: –1,4 bis –0,1; 60 mg 1x tgl.] bis –1,4 Tage [95 % CI: –2,2 bis –0,6; 30 mg 2x tgl.]. Eine signifikante Überlegenheit von Atogepant in der Reduktion der Migränetage konnte bereits nach 4 Wochen nachgewiesen werden. Der sekundäre Endpunkt einer 50 %igen Reduktion der Migränetage wurde in der 30 mg 2x tgl. Gruppe (58 %, Odds Ratio vs. Placebo: 1,8 [95 % CI: 1,2 bis 2,9]) und 60 mg 2x tgl. Gruppe (62 %, Odds Ratio vs. Placebo: 2,0 [95 % CI: 1,3 bis 3,2]) signifikant häufiger als unter Placebo (40 %) erreicht. TEAEs waren unter Atogepant signifikant häufiger (von 58 % in der 60 mg 1x tgl. bis 66 % in der 10 mg 1x tgl. Gruppe) als unter Placebo (49 %). Häufigste behandlungsbedingte TEAEs mit positiver Dosis-Wirkungs-Beziehung waren Übelkeit (Placebo: 3 %, 10 mg 1x tgl.: 3 %, 60 mg 2x tgl.: 9 %), Obstipation (Placebo: 1 %, 10 mg 1x tgl.: 1 %, 60 mg 2x tgl.: 4 %) und Fatigue (Placebo: 2 %, 10 mg 1x tgl.: 1 %, 60 mg 2x tgl.: 7 %). Schwere behandlungsbedingte TEAEs traten in keiner der Gruppen auf. Die Leberverträglichkeit war für alle Dosierungen auf Placeboniveau.


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Kommentar

Die vorliegende Studie zeigt eine Wirksamkeit bei gleichzeitig guter Verträglichkeit und Sicherheit von Atogepant in der Prophylaxe der episodischen Migräne. Insbesondere ist erfreulich, dass sich keine Hinweise auf eine Hepatoxizität ergaben. Behandlungsbedingte unerwünschte Wirkungen entsprechen teilweise denen, die auch aus der Therapie mit CGRP Rezeptor-/Ligandenantikörpern bekannt sind. Langzeiteffekte können auf Grundlage der Daten noch nicht abgeschätzt werden und die Bestätigung der Wirksamkeit aus laufenden Phase-III- Studien steht noch aus (NCT03700320, NCT03777059).

Trotz Begeisterung für diese positiven Ergebnisse stellt sich die Frage nach dem Zusatznutzen gegenüber existierenden Prophylaxen. Die Wirksamkeit liegt, auch wenn hier das Fehlen von Head-to-head-Studien und der Phase-III-Studien betont werden muss, in etwa auf dem Niveau bekannter Prophylaktika einschließlich der CGRP Rezeptor-/Ligandenantikörper. Die Autoren selbst sehen einen möglichen Vorteil in der kürzeren Halbwertzeit der small molecules gegenüber Antikörpern, was ein schnelleres Auswaschen in dringlichen Situationen ermöglicht. Darüber hinaus könnten Patienten eine orale Medikation gegenüber Injektionen bevorzugen. Aus pathophysiologischer Sicht ist interessant, dass Gepante im Gegensatz zu Zolmitriptan im Tiermodell die Kontraktilität von Koronararterien nicht beeinflussen [2]. Darüber hinaus führten Ditane (5-HT-1F-Rezeptoragonisten), aber nicht Gepante zu typischen Veränderungen im Tiermodell, die als Surrogat eines Kopfschmerzes bei Medikamentenübergebrauchs angesehen werden [3]. Hinsichtlich Interessenkonflikten ist zu erwähnen, dass 4 von 7 Autoren Mitarbeiter von AbbVie sind.

Robert Fleischmann, Greifswald


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Publication History

Article published online:
04 February 2021

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