Zusammenfassung
Einleitung Rehabilitationsleistungen werden von Personen mit Migrationshintergrund im erwerbstätigen
Alter in Deutschland weniger in Anspruch genommen als von Personen ohne Migrationshintergrund.
Ein Grund könnten Zugangsbarrieren sein. Sie können sowohl durch die Strukturen des
Gesundheits-/Rehabilitationssystems als auch durch Einflüsse aus dem persönlichen
Umfeld entstehen, z. B. finanzielle Belastungen durch Inanspruchnahme der Rehabilitation,
oder kulturell bedingte Bedürfnisse. Neben dem Migrationshintergrund könnten weitere
Faktoren wie Herkunftsland, Zuwanderungsgrund, Aufenthaltsdauer sowie Sozialstatus
und religiöse Zugehörigkeit die Inanspruchnahme beeinflussen. Es wurde untersucht,
inwieweit Unterschiede im Inanspruchnahmeverhalten auf den Migrationshintergrund und
auf migrationsunabhängige Zugangsbarrieren zurückzuführen sind.
Methoden Die lidA-Studie ist eine deutschlandweite, repräsentative prospektive Kohortenstudie
unter sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten der Geburtsjahrgänge 1959 und 1965
mit Fokus auf Arbeit, Alter, Gesundheit und Erwerbsteilhabe. Für die Analysen wurden
Daten der ersten (2011) und zweiten Welle (2014) kombiniert. Neben bivariaten Auswertungen
zur Beschreibung der Stichprobe nach dem Migrationsstatus wurden logistische Regressionsanalysen
durchgeführt, um die Odds Ratios für den Einfluss des Migrationshintergrundes bzw.
der Staatsangehörigkeit und weiterer Faktoren auf die Inanspruchnahme einer medizinischen
Rehabilitationsmaßnahme zu schätzen.
Ergebnisse Die Chance der Inanspruchnahme einer medizinischen Rehabilitation ist für Migranten
der 1. Generation erhöht (OR: 1,56; 95%-KI: 1,09–2,25). Wird zuhause überwiegend oder
ausschließlich nicht Deutsch gesprochen, könnte dies mit einer vergleichsweise deutlich
geringeren Chance einer Inanspruchnahme assoziiert sein (OR: 0,56; 95%-KI: 0,28–1,15).
Da in Routinedaten zur Bestimmung des Migrationsstatus häufig nur die Staatsangehörigkeit
verfügbar ist, wurden in einem weiteren Modell nur Migranten sowie Personen aus der
2. Generation berücksichtigt und der Einfluss der Staatsangehörigkeit auf die Inanspruchnahme
untersucht. Eine ausländische Staatsangehörigkeit war nicht mit einer höheren Inanspruchnahme
assoziiert (OR: 1,07; 95% KI: 0,55–2,08).
Diskussion Ergebnisse bisheriger Studien zur Inanspruchnahme einer medizinischen Rehabilitation
von Personen mit Migrationshintergrund sind inkonsistent. Ursachen können unterschiedliche
untersuchte Bevölkerungsgruppen, verschiedene Indikationen für eine Rehabilitation,
eine zeitliche Veränderung im Inanspruchnahmeverhalten und auch die diversen Datenquellen
sein. Wir fanden eine höhere Inanspruchnahme der medizinischen Rehabilitation durch
selbst migrierte Personen im Vergleich zu Personen ohne Migrationshintergrund. Eine
Ursache könnte unsere im Vergleich zu Auswertungen von Routinedaten präzisere Definition
des Migrationshintergrundes sein. Personen mit Migrationshintergrund der 2. Generation
unterscheiden sich in ihrem Inanspruchnahmeverhalten dagegen nicht signifikant von
Personen ohne Migrationshintergrund. Wird zuhause überwiegend oder ausschließlich
eine andere als die deutsche Sprache gesprochen, ist die Inanspruchnahme tendenziell
geringer. Dieser Befund deckt sich mit den in der Literatur als Zugangsbarriere beschriebenen
fehlenden Deutschkenntnissen.
Abstract
Introduction Rehabilitation services are considerably less used by persons with a migration background
of working age in Germany than by persons without migration background. One reason
could be access barriers. They can arise both from the structures of the health/rehabilitation
system as well as from influences of the personal environment, e. g. financial burdens
incurred through the use of rehabilitation or cultural expectations. In addition to
the migration status, other factors such as country of origin, reasons for immigration,
length of stay as well as the religious affiliation and social status could influence
the utilization of medical rehabilitation. It was examined to what extent differences
in utilisation are due to the migration background and to migration-independent personal
barriers to access.
Methods The lidA-study is a nationwide, representative prospective cohort study among employees
with insurable employment born in 1959 and 1965 with a focus on work, age, health
and employment. Data from the first (2011) and the second wave (2014) were combined
for the analyses. In addition to bivariate analyses to describe the sample according
to migration status, logistic regression analyses were carried out to estimate the
odds ratios for the influence of migration background or nationality and other factors
on the use of a medical rehabilitation measure.
Results The chance of receiving medical rehabilitation is increased for migrants of the 1st generation (odds ratio (OR) 1.56, 95% confidence interval (CI): 1.09–2.25). If predominantly
or exclusively no German is spoken at home, this could be associated with a comparatively
much lower chance of utilisation (OR: 0.56, 95% CI: 0.28–1.15). Because only nationality
is often available in routine data to determine the status of migration, another model
only considers migrants and 2nd generation nationals and examines the influence of nationality on utilisation. A
foreign nationality was not associated with a higher utilisation (OR: 1.07, 95% CI:
0.55–2.08).
Discussion Results of previous studies on the use of medical rehabilitation for people with
a migration background are inconsistent. This could be due to different examined population
groups, different indications for rehabilitation, a temporal change in utilisation
and the various study designs as well as data sources. We found a higher use of medical
rehabilitation services by persons with a migrant background (1st generation) compared to non-migrant persons. One reason could be our more precise
definition of the migration background compared to analyses of routine data. If predominantly
or exclusively another language than German is spoken at home, the utilisation tends
to be lower. The finding coincides with a lack of German language skills described
as an access barrier in the literature.
Schlüsselwörter
Inanspruchnahme - Rehabilitation - Zugangsbarrieren - Migration
Key words
Utilisation - rehabilitation - access barriers - migration