CC BY-NC-ND 4.0 · Geburtshilfe Frauenheilkd 2022; 82(04): 420-426
DOI: 10.1055/a-1769-6613
GebFra Science
Original Article/Originalarbeit

Häufigkeit von Verletzungen bei Frauen nach Sexualdelikten – Relevanz der gynäkologischen Untersuchung

Article in several languages: English | deutsch
Caroline M. Klasen
1   Klinik und Poliklinik für Gynäkologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg
,
Luise Meyer
2   Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Klinikum Kassel, Kassel
,
Sven Anders
3   Institut für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg
,
Larissa Lohner
3   Institut für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg
,
Benjamin Ondruschka
3   Institut für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg
,
Hans Pinnschmidt
4   Institut für Medizinische Biometrie & Epidemiologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg
,
Klaus Püschel
3   Institut für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg
,
Barbara Schmalfeldt
1   Klinik und Poliklinik für Gynäkologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg
,
Dragana Seifert
3   Institut für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg
,
Sandra Wilmes
3   Institut für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg
,
Isabell Witzel
1   Klinik und Poliklinik für Gynäkologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg
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Zusammenfassung

Einleitung Bis zu einem Drittel der Frauen weltweit geben an, in ihrem Leben sexuelle Gewalt erfahren zu haben. Häufig ist die gynäkologische Notaufnahme die erste Anlaufstelle dieser Betroffenen. Ziel der vorliegenden Untersuchung war die Evaluation des Stellenwerts der gynäkologischen Untersuchung von Frauen nach Sexualdelikten sowie die Evaluation des Verletzungsmusters.

Methode Retrospektive unizentrische Analyse der gynäkologischen und rechtsmedizinischen Untersuchungsbefunde aller Frauen, die in den Jahren 2013 – 2017 wegen eines mutmaßlichen Sexualdelikts in der zentralen Notaufnahme eines Universitätsklinikums untersucht wurden (n = 692). Genitale und extragenitale Verletzungsmuster, Alter, Täterprofil, Tatzeitpunkt, Substanzkonsum sowie die Durchführung einer postkoitalen Kontrazeption und HIV-Postexpositionsprophylaxe wurden ausgewertet.

Ergebnisse Die Betroffenen waren im Mittel 26 Jahre alt (12 – 91 Jahre). Fast 75% der Betroffenen stellten sich innerhalb von 24 Stunden nach dem angegebenen Sexualdelikt vor. Bei 78,6% der Patientinnen konnten extragenitale und bei 28,5% genitale Verletzungen festgestellt werden. Insgesamt gaben 20,1% der Frauen einen vollständigen und 18,7% einen teilweisen Erinnerungsverlust an die konkrete Tathandlung an. Risikofaktoren für eine Erinnerungslücke waren der Konsum von Alkohol und/oder die (ggf. unfreiwillige) Verabreichung anderer, auf das Zentralnervensystem wirkender Substanzen. Ein stattgehabter Alkoholkonsum des Opfers (Hazard Ratio [HR] 1,95; 95%-Konfidenzintervall [KI] 1,21 – 3,12, p = 0,006) und ein jüngeres Alter des Opfers zwischen 25 – 49 Jahren (HR 1,75; 95%-KI 1,07 – 2,85, p = 0,025) waren mit der Entstehung extragenitaler Verletzungen assoziiert, wohingegen ein dem Opfer bekannter Täter mit weniger extragenitalen Verletzungen vergesellschaftet war (HR 0,60; 95%-KI 0,36 – 0,99, p = 0,046). Das Auftreten genitaler Verletzungen, welches mit höherem Alter der Betroffenen und Angaben einer analen Penetration verbunden war, führte zu einer häufigeren Durchführung der Postexpositionsprophylaxe (29,1% vs. 19,5%, p < 0,012) und einer (aktiven) Hepatitis-B-Impfung (40% vs. 28,5%, p < 0,028).

Schlussfolgerung Die gynäkologische (Notfall-)Untersuchung stellt einen elementaren Bestandteil in der medizinischen Versorgung und Begutachtung von betroffenen Frauen nach Sexualdelikten dar, da fast ein Drittel der Opfer Verletzungen im Genitalbereich aufwiesen. Neben einer ausführlichen Ganzkörperuntersuchung und fachgerechten gerichtsverwertbaren Dokumentation von Verletzungen am Körper und im Genitalbereich, sollte auch eine psychologische Betreuung der Opfer angeboten und niedrigschwellig ermöglicht werden.



Publication History

Received: 13 October 2021
Received: 09 February 2022

Accepted: 10 February 2022

Article published online:
05 April 2022

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