Zentralbl Chir 2022; 147(05): 430-431
DOI: 10.1055/a-1916-0700
Editorial

Editorial

Ralph Ingo Rückert

Sehr geehrte Leserinnen und Leser, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Einer Tradition folgend, stellt im Heft 5 des Zentralblattes für Chirurgie die Gefäßmedizin und insbesondere die Gefäßchirurgie einen Schwerpunkt dar. Mit der Oktober-Ausgabe möchten wir Ihnen ein Themenheft zur Gefäßchirurgie ans Herz legen, das diesmal einerseits das gesamte Spektrum der Gefäßmedizin, von der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) über Nahtaneurysmen bis zur Therapie des Aortenaneurysmas zum Inhalt hat. Andererseits finden Sie die Gefäßchirurgie hier in sehr komplexer und möglicherweise noch etwas ungewohnter Perspektive dargestellt. Digitalisierung, künstliche Intelligenz (KI) und Mixed Reality (MR), aber auch innovative, klinisch relevante Behandlungsmethoden und neue, konsequente Wege zur Indikationsstellung. Das Management von Gefäßkrankheiten wird schließlich auch anhand von „Alltagsproblemen“, wie dem Aneurysma spurium, in den Fokus genommen. Die Zukunft der Gefäßmedizin wird in 2 Arbeiten adressiert, die in unterschiedlicher Weise Möglichkeiten digitaler Strategien veranschaulichen. Die Arbeit von Geisler aus dem Team um Schmidt und Bransan aus Leipzig behandelt mit „digitalen Patientendaten, KI und maschinellem Lernen“ einerseits zukunftsträchtige, andererseits bereits in der klinischen Realität gegenständliche Themen. Beides wird in der Übersichtsarbeit gut veranschaulicht. Die Aorta ist sicher nicht zufällig und vollkommen zu Recht als – sehr geeignetes – Beispiel für die Gefäßmedizin im Ganzen gewählt. Die AutorInnen zeigen exemplarisch das immense Potenzial der Digitalisierung und von KI und maschinellem Lernen auf. Gleichzeitig werden – jedenfalls gegenwärtig noch bestehende – Limitationen sowie auch Voraussetzungen der Digitalisierung beschrieben. Das Thema der Arbeit von Hatzl et al. aus dem Team von Böckler, Heidelberg, erscheint prädestiniert für einen Scoping Review, und diesen liefern die AutorInnen in sehr geeigneter Weise. Mit der „Mixed Reality“ (MR) in der Gefäßchirurgie ist die Arbeit inhaltlich innovativ, denn MR ist derzeit noch weit entfernt von einer alltäglichen klinischen Praxis in der Gefäßchirurgie, ist also noch lange kein „common place“ in diesem Fachgebiet. Der Wert der Arbeit liegt jedoch darin, dass gerade die Gefäßchirurgie als ein zukunftsträchtiges Gebiet für MR dargestellt wird. Die Arbeit ist hochinteressant, da diese aktuelle Standortbestimmung der MR in der Gefäßchirurgie klar erkennen lässt, welches Potenzial mit dieser Entwicklung verbunden ist. Die komplexe Aortenchirurgie stellt eines der am meisten mit Innovationen und technisch bedingtem Fortschritt verbundenen Gebiete der modernen Gefäßmedizin und insbesondere Gefäßchirurgie dar. Eine der neuesten Entwicklungen sind die sogenannten „inner branches“, Seitenarme von Stentprothesensystemen, die aus technischen Gründen und mit Vorteil für die Behandlung von bestimmten Aortenpathologien – in aller Regel Aneurysmen – nach innen, d. h. in das Lumen der Stentprothese gerichtet sind. Die Arbeit von Lescan, einem mit dieser Technik bereits sehr erfahrenen Autor, hat eine Standortbestimmung der „inner branches“ zum Inhalt und gibt eine Übersicht zum Stellenwert einer der jüngsten Innovationen mit immensem Potenzial auf dem Gebiet der komplexen endovaskulären Aortenchirurgie. Ohne Zweifel ist die als narratives Review gestaltete Arbeit von Romancik et al. aus den Magdeburger Teams um Tautenhahn und Halloul klinisch von hoher Relevanz. Auch wenn Vieles zum Nahtaneurysma als häufigster Form des Aneurysma spurium bekannt zu sein scheint, zeigt die Arbeit, dass es sich dennoch lohnen kann, eigene Daten zu erheben und auch die aktuelle Literatur zu analysieren. Die Autoren begründen, warum das Nahtaneurysma als relevante Versorgungsgröße längst mit in den Fokus eines basalen gefäßchirurgischen/-interventionellen Betreuungsprofils gerückt ist. Das titelgebende Prinzip „Discuss many to benefit more“ erläutern Meisenbacher et al. aus der Arbeitsgruppe von Böckler anhand ihrer 5-Jahres-Analyse des Heidelberger interdisziplinären Aortenkolloquiums. Die Evaluierung von 344 Patienten in 5 Jahren charakterisiert ein High-Volume-Zentrum im Bereich der Krankenhausmaximalversorgung, sodass hier nicht zuletzt auch die Bedeutung der Forderung nach einer Zentrenbildung, etwa für die Aortenchirurgie, illustriert wird. Die Ergebnisse und Schlussfolgerungen der AutorInnen sind sehr interessant, wie etwa der hohe Anteil nicht versorgter Patienten trotz gestellter OP-Indikation. Die primäre Therapie der nicht kritischen pAVK, also von Patienten mit Claudicatio intermittens („Schaufenster-Krankheit“), ist schließlich das Thema der narrativen Übersichtsarbeit von Süss und Gawenda und adressiert damit ein Hauptarbeitsgebiet der Mehrzahl der GefäßchirurgInnen und GefäßmedizinerInnen. Evidenzbasierte Leitlinienempfehlungen zum Gehtraining werden anhand der Studienlage dargestellt, wobei Patientenadhärenz, Langzeitwirksamkeit, Studienqualität und ihre Vergleichbarkeit diskutiert werden. Die eklatante Diskrepanz zur Versorgungsrealität betrifft vor allem Abweichungen von den Leitlinien und die oftmals primäre Revaskularisation. Konsequent werden Handlungsempfehlungen, in Anlehnung an internationale Erfahrungen (Niederlande, Dänemark), zur Besserung der Situation in Deutschland formuliert.

Es erwarten Sie also spannende, klinisch hoch relevante und zukunftsträchtige Arbeiten, sodass wir Ihnen das aktuelle Themenheft zur Lektüre wieder bestens empfehlen können!

Mit herzlichen Grüßen aus Berlin

Ihr PD Dr. med. Ralph-Ingo Rückert



Publication History

Article published online:
11 October 2022

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