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DOI: 10.1055/a-2313-3492
Situative Prävention: ein Hybrid zwischen klassischer Akutmedikation und pharmakologischer Prävention
** Lipton RB, Ailani J, Mullin K, et al. Situational prevention: Pharmacotherapy during periods of increased risk for migraine attacks. Headache 2024; 64(7): 859–864. doi: 10.1111/head.14775
Hintergrund
Die Behandlung der Migräne wird klassisch in Akut- und präventive Therapie unterschieden. Dabei erfolgt die Akuttherapie üblicherweise während der begonnen Migräneattacke, wobei ein möglichst rascher Beginn empfohlen wird [1]. Unabhängig vom Migränezyklus werden präventive Therapien eingesetzt, die die Krankheitsaktivität beeinflussen sollen. Das Konzept der situativen Prävention ist eine Alternative zu dieser binären Trennung von Therapiekonzepten.
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Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit stellt eine Fallserie von 3 Fällen dar, in denen das Behandlungskonzept der situativen Prävention eingesetzt wurde. Voraussetzung hierfür ist nach Aussage der Autoren die Entwicklung der Subtanzgruppe der Gepante mit ihren spezifischen Eigenschaften. Hier seien das rasche Einsetzen des präventiven Effekts und die wahrscheinliche fehlende Induktion eines Kopfschmerzes bei Medikamentenübergebrauchs (MOH) bei häufiger Einnahme genannt. Letzteres ist insbesondere relevant, da einige Gepante auch als Akuttherapie eingesetzt werden können (z. B. Rimegepant, Ubrogepant, Zavegepant). In den präsentierten Fällen wurde die Einnahme von Rimegepant 75 mg 1x/Tag über 1–5 Tage in Situationen empfohlen, die den Betroffenen als typischerweise attackenauslösend bekannt war. Die erste 33-jährige Patientin litt unter 4–6 Attacken/Monat, welche vor Prüfungen auftraten und ihre Leistungsfähigkeit beeinträchtigten. Ihr wurde empfohlen, die Medikation am Tag vor der Prüfung und an beiden Prüfungstagen einzunehmen. Migräneattacken in Prüfungsphasen traten nun nicht mehr auf. Die zweite 46-jährige Patientin litt unter Migräneattacken am Samstagmorgen nach einer Arbeitswoche. Ihr wurde empfohlen, die Medikation ab Freitagabend fest einzunehmen, und über das Wochenende im Falle von Kopfschmerzen fortzuführen. Bei Wiedervorstellung berichtete sie, dass die Wochenenden nun ohne Migräneattacken abliefen. Die dritte 36-jährige Patientin berichtete häufige Migräneattacken bei außergewöhnlichen Lebensereignissen und Flugreisen. Ihr wurde empfohlen, am Tag vor solcher Ereignisse die Medikation einzunehmen und bis zu 5 Tage fortzusetzen. Sie konnte in der Folge die Hochzeit ihrer Schwester besuchen, ohne eine Migräneattacke zu erleiden.
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Kommentar
Die Autoren stellen das Konzept der situativen Prävention vor, welches einigen Lesern bereits aus der Behandlung der menstruellen oder menstruationsassoziierten Migräne bekannt vorkommen wird. Hier werden langwirksame Akuttherapien (z. B. Naratriptan, Naproxen) zur Kurzzeitprävention eingesetzt. Dieses Konzept wird nun durch die situative Prävention erweitert, insbesondere da die Limitation der Induktion eines MOH bei häufiger Einnahme einer Akutmedikation bei Gepanten entfällt [2]. Die vorgestellten Fälle liefern sicherlich noch keine überzeugende Evidenz der situativen Prävention mit einer bestimmten Substanz. Die Autoren argumentieren jedoch, dass sie für das Konzept sensibilisieren und die Durchführung prospektiver kontrollierter Studien motivieren wollen. Es bleibt also abzuwarten, ob sich eine weitere Vorverlagerung der Behandlung jenseits der Prodromalphase einer Migräneattacke evidenzbasiert etabliert [3].
Robert Fleischmann, Greifswald
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Publication History
Article published online:
27 August 2024
© 2024. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Diener HC. et al S1-Leitlinie: Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne. DGNeurologie. 2023; 06 (03) 202-22
- 2 Saengjaroentham C. et al Brain. 2020; 143 (09) 2681-8
- 3 Dodick DW. et al Lancet. 2023; 402 10419 2307-16
- 4 Nieswand V. et al Curr Pain Headache Rep. 2020; 24 (10) 62
- 5 Porst M. et al Dtsch Arztebl Int. 2022; 119 (46) 785-792
- 6 Ozge A. et al Eur J Neurol. 2013; 20 (01) 95-101
- 7 Powers SW. et al N Engl J Med. 2017; 376 (02) 115-124