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DOI: 10.1055/a-2521-0658
„Die Stimme spielt eine größere Rolle im Alltag als bei vielen cis Menschen“
Interview mit Sascha V., Lehrer, und Lucienne W., Studierende der SprechwissenschaftSascha V. [trans* männlich, er/ihm-Pronomen] studierte Gymnasiallehramt an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und arbeitet mittlerweile als Musik- und Französischlehrer in Magdeburg. In seiner Freizeit singt er in verschiedenen Chören im Tenor. Bis ins Erwachsenenalter hinein sammelte er Erfahrungen im Alt, bevor er durch eine Hormontherapie einen zweiten Stimmbruch erfuhr und innerhalb eines Jahres in das tiefere Register wechselte.
Lucienne W. [trans* weiblich, sie/ihr-Pronomen] studiert Sprechwissenschaft an der MLU Halle-Wittenberg.
Zum besseren Verständnis sprechen wir bei der durch Stimmbildner*innen oder Stimmtherapeut*innen konservativ unterstützten Stimmtransition von Stimmbildung/-arbeit und nicht von Stimmtherapie, weil hier keine erkrankte Stimme therapiert wird.
Wie unterscheiden sich die Herausforderungen in Ihrer stimmbasierten Arbeit?
Sascha: Wir haben beide den Eindruck, dass beim Singen ein eher verletzliches Grundgefühl
auftritt als beim Sprechen. Lucienne hat mit ihrer Stimme vor allem in musikpraktischen
Übungen ihres Studiums Schwierigkeiten erlebt, die mit der geschlechtlichen Wahrnehmung
ihres Registers einhergingen. Ich selbst fühle mich beim Singen sehr wohl; aber außerhalb
der Chorgemeinschaft werden Tenöre und vor allem Countertenöre und Altus schnell als
„unmännlich“ wahrgenommen. Was Sprechberufe angeht, hat Lucienne eher die Erfahrung
gemacht, dass tiefe Frauenstimmen oft einen Vorteil mit sich bringen. Sie werden als
wärmer und beruhigend wahrgenommen.
Außerdem bewegen wir uns mit unserer Sprechstimme in unterschiedlichen Räumen. Ich
arbeite mit Kindern und Jugendlichen, deren oft ungefiltert ehrlichen Beobachtungen
ich mich ausgesetzt fühle. Im Gegensatz dazu ist Lucienne in der „Erwachsenenarbeit“
eher in Safe Spaces unterwegs.
Während also meine Stimme vor allem im Sprechbereich mehr Herausforderungen mit sich
bringt, trifft Lucienne eher im Gesang auf Schwierigkeiten.
Welche Unterschiede haben Sie schon einmal zwischen Ihrer stimmlichen Arbeit und der Stimmarbeit von cis Menschen bemerkt?
Lucienne: Zu Beginn meines Sprechwissenschaftsstudium merkte ich, dass ich einen anderen Bezug
zur Stimme habe als meine Kommiliton*innen. Da ich mich zuvor bereits intensiv mit
meiner eigenen Stimme auseinandergesetzt hatte, kannte ich mich bezüglich Stimmklang,
Resonanz und Rufstimme schon gut aus. Mehr Probleme hatte ich bei der Körperlichkeit
und der Körperanbindung, wie vielleicht andere trans* Personen auch, die ein negatives
körperliches Selbstbild haben. Mir hat übrigens hierbei Contact Improvisation sehr
geholfen.
Zusätzlich hatte ich anfänglich auch psychische Blockaden. Es gab eine sehr bezeichnende
Situation, in der ich mit meiner Sprechbildnerin eine Rufstimmenübung gemacht habe.
Sie schlug eine dunklere Stimmfarbe vor und versuchte das körperlich zu lösen, was
aber nicht gelingen wollte. Irgendwann merkte ich, dass ich in diesem Moment einfach
nicht in diese Stimmfarbe wollte. Sie reagierte sehr verständnisvoll und wir konnten
die Blockade lösen. Ergo: psychisches Befinden darf in der Sprechbildung niemals vergessen
werden.
Sascha: Anders als die meisten Kommiliton*innen und Kolleg*innen bin ich bezüglich meiner
Stimme noch nicht so sicher, denn ich arbeite erst seit drei Jahren mit meinem neuen
Register. Außerdem mache ich mir häufiger Gedanken um meine Stimme: Werde ich gerade
eher als Mann oder Frau wahrgenommen? Klang meine Stimme in der Frage zu hoch? Werde
ich eher misgendert, wenn ich in einer höheren Lage singe? Wie wohl ich mich persönlich
in meinem Körper fühle, hängt stark von meiner Stimme ab und davon, wie hoch oder
tief ich sie wahrnehme.
Können Sie Ihr stimmliches Wissen mit Ihren eigenen Stimmerfahrungen verbinden?
Lucienne: Auch wenn mir meine „transgeschlechtliche Stimme“ im Studium anfänglich Schwierigkeiten bereitete, bringen mir meine intensiven Erfahrungen eigentlich viele Vorteile. Meine eigene Stimmbildung hat mir meine Stimme viel intensiver nahegebracht. Ich verstehe deshalb auch Stimme grundlegend als etwas, das fluid, ungebunden und erweiterbar ist. In meiner Stimmarbeit vor dem Studium habe ich meine Stimme nach meiner Vorstellung angepasst. In meiner jetzigen Sprechbildung war es besonders, jene Bereiche, in denen ich mich früher zwangsweise aufgehalten habe, wieder für mich zurückzugewinnen. Das war für mich herausfordernd. Prinzipiell wäre es gut, wenn Sprechbildung in „geschlechtslosen“ Räumen stattfände, aber erst, wenn sich trans* Personen mit ihrer Stimme angekommen fühlen.
Haben Sie das Gefühl, in Ihrem Studium/Job anders bewertet zu werden, wenn Menschen um Ihre Transgeschlechtlichkeit wissen?
Sascha: Stimmkompetente Menschen fragen vorsichtig nach, ob ich mit bestimmten stimmlichen Aufgaben klarkomme. Insbesondere im Gesang gibt es häufiger Rückfragen, wie es mir mental mit bestimmten Tonlagen, Stücken und Rollen geht. Glücklicherweise wurde mir deshalb nie meine Kompetenz abgesprochen. Im Singbereich freut man sich über jeden hohen Tenor und viele meiner Kolleg*innen sind eher „beeindruckt“, wenn ich hohe Töne spielerisch erreiche. Da ich durch meine Stimme auch nicht in meiner Arbeit eingeschränkt bin, habe ich bisher kein negatives Feedback dazu erhalten.
Was muss bei der begleiteten Stimmtransition eine Stimme gemacht werden, dass die Person danach noch in einem Stimmberuf arbeiten kann?
Lucienne: Die Frage, ob ich mit meiner Stimme wirklich einen stimmintensiven Beruf ausüben
kann, schwebte vor meinem Studium wie ein Damoklesschwert über mir. Umso verwirrter
war ich, als bei meiner phoniatrischen Tauglichkeitsuntersuchung niemand mitbekam,
dass ich da etwas an meinem Vokaltrakt verändert hatte und meine Stimme als eindeutig
weiblich wahrgenommen wurde. Ich habe auch heute wenig Probleme, was Leistungsfähigkeit
und Tragfähigkeit angeht.
Übrigens sollte meines Erachtens die Stimmarbeit bei transfemininen Personen immer
aus anspannenden und entspannenden Übungen bestehen. Resonanzübungen und Übungen, die die Sprechtonhöhe
anheben, bringen meist zusätzliche Spannungen in den Vokaltrakt. Deshalb muss es Stimmübungen
geben, mit denen man die Stimme entspannt.
Welche Maßnahmen, die die Stimme „männlicher“ klingen zu lassen, helfen Ihnen im Alltag und in der stimmintensiven Arbeit?
Sascha: Ich weiß, dass ich aus stimmhygienischer Perspektive mehr in der Bruststimme sprechen sollte. Da ich aber meine gesamte Kindheit und Jugend hinweg darauf aus war, eine möglichst weibliche und „kopfige“ Stimme zu verwenden, muss ich mich beim Sprechen darauf immer besonders konzentrieren. Diese Konzentration kann ich nicht immer gewährleisten, etwa wenn ich auf Problemsituationen reagieren muss, vor allem nicht im Unterricht. Ein Trick, den ich gern bei Telefonaten oder an der Gegensprechanlage anwende, ist, vorher einen sehr tiefen Ton zu summen. Das hilft kurzfristig und ich kann mich auf den Inhalt meiner Antworten konzentrieren.
Welche Haltung sollten Stimmtherapeut*innen und Stimmbildner*innen in der Arbeit mit Menschen in Stimmtransition einnehmen?
Lucienne: Eine ergebnisoffene Haltung zur Stimmerkundung und eine gemeinsame Sprache über Stimme hängen für mich zusammen. Jede Person hat eine unvollständige Vorstellung über die Stimme, die auch von Stereotypen besetzt sein kann. Ich habe die geschlechtliche Wahrnehmung der Stimme als einen psychoakustischen Prozess erfahren, der eher automatisch passiert und über den sich (auch viele cis) Personen meistens keine Gedanken machen. Es wäre nicht zielführend, nur leicht beeinflussbare Bereiche zu bearbeiten. Ich bin zum Beispiel der Meinung, dass Arbeit an Körpersprache und Wortwahl nicht zielführend ist. Eine eher explorative Haltung zur Beziehung von Geschlecht und Stimme könnte zu einem Lerneffekt auf beiden Seiten führen. Aus dieser Exploration entsteht dann eine gemeinsame Sprache.
Was sollten Menschen wissen, die stimmlich mit trans* Menschen arbeiten?
Sascha: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele trans* Menschen eine relativ bestimmte
Vorstellung im Kopf haben, wie eine männliche oder weibliche Stimme klingt. Außerdem
spielt die Stimme eine größere Rolle im Alltag als bei vielen cis Menschen: In beinahe
jeder sozialen Situation ist das korrekte Passing davon abhängig, wie das Gegenüber
die Stimme einordnet. Ich persönlich mache mir ständig Gedanken darüber, wie mich
Menschen am Telefon, meine Schüler*innen, Kolleg*innen und Dozierenden wahrnehmen.
Das führt zu einem großen Druck, der sich nie gänzlich ablegen lässt.
Lucienne: Stimme hat viel mit Identität zu tun. Es gibt Stimmlagen, in denen man sich wohler
fühlt als in anderen. In diesem Sinne kann man viele trans* Personen als Menschen
verstehen, die vielleicht eine schwierige Stimmbiografie erlebt haben. Dementsprechend
gilt für Menschen, die stimmlich mit trans* Menschen arbeiten wie immer: vertraute
Atmosphäre schaffen, Wünsche und Bedürfnisse der jeweiligen Person wahrnehmen, gemeinsame
Sprache über die Stimme entwickeln. Dazu gehört als absolute Mindestanforderung: Anrede,
Pronomen und Geschlecht der Person zu respektieren.
Das Interview führte Prof. Susanne Voigt-Zimmermann.
Publication History
Article published online:
27 November 2025
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