ergoscience 2009; 4(4): 133-134
DOI: 10.1055/s-0028-1109827
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Editorial

U. Marotzki1
  • 1HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen
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Publication Date:
20 October 2009 (online)

Ohne großes Echo in der Tagespresse, aber genau beobachtet von Verbänden, Hochschulen und Ausbildungsstätten, sind in den Monaten Juli und September wichtige Entscheidungen für die zukünftige Entwicklung der Ausbildung von Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten in Deutschland gefallen. In diesem Editorial soll hierüber kurz berichtet werden; in drei Punkten wird die angesprochene Entwicklung zudem kommentiert.

Am 2.7.2009 wurde vom Bundestag – unmittelbar vor der Sommerpause – eine Änderung auch unseres Berufsgesetzes mit dem „Gesetz zur Einführung einer Modellklausel in die Berufsgesetze der Hebammen, Logopäden, Physiotherapeuten und Ergotherapeuten” beschlossen (Drucksache 16 / 9898). Mit der in die Berufsgesetze einzufügenden „Modellklausel” wird es den Bundesländern befristet bis 2015 erlaubt, die Ausbildung der entsprechenden Berufe an Hochschulen zu erproben. Die Evaluation der Modellstudiengänge soll in der Folge dazu beitragen, die entsprechenden Berufsgesetze weiterzuentwickeln. Der Bundesrat, aus dem die Initiative zu diesem Gesetzesentwurf auch hervor ging, hat dem Gesetz am 18.9.2009 zugestimmt (Drucksache 690 / 09). Es ist nun Sache der Bundesländer, zu entscheiden, ob und in welcher Form sie Modellvorhaben für die Ausbildung der genannten Berufe zulassen.

Der Erfolg der geschilderten Gesetzesinitiative ist für deutsche Verhältnisse ein großer Schritt in Richtung einer wissenschafts- und forschungsbasierten ergotherapeutischen Ausbildung. Im Vergleich mit den Nachbarländern Schweiz und Österreich und bei Überprüfung des genauen Wortlauts realisiert man freilich, wie vorsichtig, vorläufig und hürdenreich die durch die Klausel eröffneten Möglichkeiten zur Gestaltung eines Hochschulstudiengangs sind. Zum vorliegenden Ergebnis beigetragen hat die bereits Jahrzehnte andauernde, vielschichtige Diskussion um die akademische Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen, in der unterschiedliche gesundheits- und bildungspolitische Positionen aufeinanderprallen. Diese Diskussion kann hier nicht wiedergegeben werden – sie soll Gegenstand eines Beitrags in einer der folgenden Ausgaben sein. Genannt seien hier aber einige Fakten, die den Kern der Modellklausel bilden: nachzulesen in der Drucksache des Bundesrates 690 / 09 vom 28.8.2009. In diesem Dokument wird deutlich, dass die Modellklausel aus drei hinzugefügten Absätzen (Abs. 5 – 7) des § 4 sowie dem neu hinzugekommenen § 10 zur Außerkraftsetzung der Modellklausel im Ergotherapeutengesetz (ErgoThG) besteht. Von folgenden mit diesem Gesetz geschaffenen Fakten müssen hochschulische Bildungsplanerinnen und -planer in Deutschland von nun an ausgehen, wenn sie die Herausforderung der Konzeption eines Ergotherapiestudiums vom ersten Tag an annehmen möchten:

Abweichungen von der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten (ErgThAPrV) sind nur in Bezug auf den theoretischen und praktischen Unterricht (§ 1 Absatz 1, Anlage 1 A ErgThAPrV) zulässig. Die praktische Ausbildung muss im vollen Umfang konform mit der ErgThAPrV umgesetzt werden. Die Prüfungen müssen entsprechend der ErgThAPrV abgenommen werden. Die Vereinbarkeit der Ausbildung muss mit der Richtlinie 2005 / 36 /EG gewährleistet sein. Zeitliche Befristung: Die Modellklausel tritt am 31.12.2017 außer Kraft. Wer die Ausbildung vor diesem Zeitpunkt begonnen hat, kann sie auch entsprechend beenden. Evaluation: Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) erstellt die Kriterien für die Evaluation der Modellvorhaben. Die Länder müssen die Durchführung der Evaluation gewährleisten, das BMG erstattet bis zum 31.12.2015 dem Bundestag über die Ergebnisse der Evaluation der Modellvorhaben Bericht.

Selbstverständlich muss zunächst jedes Bundesland seine Überlegungen zur Umsetzung der Modellklausel im Rahmen von Studiengangsmodellen formulieren. Man möchte ihnen allerdings zurufen, was schon bei der Formulierung der Modellklausel notwendig gewesen wäre: „Vergesst Bologna nicht!” Das System von Bachelor- und Masterstudiengängen sieht vor, dass Durchlässigkeit und Anrechenbarkeit von Studienleistungen international und von außerhalb der Hochschule sowie eine starke Verzahnung von Modulen gewährleistet werden. Die Modellklausel eröffnet einen Weg zur hochschulisch verantworteten Ausbildung. Sie macht es aber nicht einfacher, einen deutschen Sonderweg in der Ausbildung von Ergotherapeuten und den mitbetroffenen anderen Gesundheitsfachberufen aufzugeben. Hierzu drei kommentierende Hinweise:

1. Durchaus positiv ist das Anliegen, mit der Modellklausel zu sichern, dass sich die praktische Ausbildung nicht verschlechtert. Dies wird am Umfang festgemacht. Grob gerechnet sind mit den 1700 Std. für die praktische ergotherapeutische Ausbildung zwei Semester belegt. Wie soll sich das Studium organisieren, wenn für den modular gestaltbaren „theoretischen und praktischen Unterricht” einschließlich Bachelor-Arbeit vier Semester verbleiben, um in insgesamt sechs Semestern zu einem Bachelor-Abschluss zu führen, wie es international überwiegend üblich ist? Wären dann nicht acht Semester für das Studium eher angebracht? Die entsprechend der ErgThAPrV beibehaltene Trennung von praktischer Ausbildung einerseits und Unterricht andererseits, sei er theoretisch oder praktisch, stellt eine künstliche Barriere für die Theorie und Praxis verzahnende Modularisierung eines entsprechend den Bologna-Richtlinien gestalteten Studiengangs dar. Es muss dann entschieden werden, ob bspw. die Durchführung eines Praxisprojekts zum Thema „Interkulturelle Aspekte im Ergotherapieprozess” über die Stunden der „praktischen Ausbildung” oder des „Unterrichts” abgerechnet werden (müssen).

2. Prüfungen sind in Bachelor-Studiengängen studiumsbegleitend angelegt. Mit den abgeschlossenen Modulen werden Credit Points erlangt und Prüfungen nacheinander abgelegt. Dies ermöglicht die intensive Auseinandersetzung mit logisch aufeinander aufbauenden Themen, die entsprechend ihrer Bedeutung für das Studium gewichtet und kompetenzorientiert in vielfältigen Formen geprüft werden. Dem gegenüber stehen die Auflagen von ErgoThG und ErgThAPrV, nach schriftlicher, mündlicher und praktischer Prüfung zu unterscheiden und diese nach einer dreijährigen Ausbildung abzunehmen. Wie gehen wir damit um?

3. Zuletzt noch ein Kommentar zu Befristung und Evaluation der Modelle: Die Zeit bis zur Berichterstattung im Bundestag (2015) und Außerkraftsetzung der Modellklausel (2017) ist kurz; schon allein aufgrund der durchzuführenden Evaluation sind die Modellvorhaben nicht kostenneutral. Man kann nur hoffen, dass die Länder der akademischen Ausbildung von Gesundheitsfachberufen mit ihren Möglichkeiten, einen Beitrag zu einer verbesserten Kooperation und zielorientierten Gesundheitsversorgung zu leisten, eine Chance geben.

Es wird Modellvorhaben und Lösungen für die angesprochenen Fragestellungen geben. Das ist sicher. Das Label „Hochschulstudium” wird allerdings erst dann zum Qualitätsmerkmal, wenn Qualitätskriterien in gemeinsamer Arbeit entwickelt und festgelegt werden. Hier sollten die Länder und Hochschulplaner, aber auch die Studiengangsentwickler, Berufsfachschulen und Praxisstellen sehr eng zusammenarbeiten. Dann kann etwas Gutes daraus werden.

Für das Herausgeberteam
Ulrike Marotzki

Prof. Dr. Ulrike Marotzki

HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen

Goschentor 1

31124 Hildesheim

Email: Marotzki@hawk-hhg.de

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