Notfall & Hausarztmedizin 2009; 35(12): 579
DOI: 10.1055/s-0029-1246298
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Mit multimodaler Kompetenz gegen den Schmerz

Susanne Stehr-Zirngibl
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Publikationsdatum:
02. Januar 2010 (online)

Täglich Schmerzen zu erleiden, fordert nicht nur psychischen Tribut, auch körperlich schränken chronische Schmerzen die Betroffenen häufig stark ein. Wie stark können andere oft kaum ermessen und interpretieren die Einschränkungen chronisch Schmerzgeplagter nicht selten schlicht als Gejammer – doch Vorsicht: Funktionell hat ein 50-Jähriger mit chronischen Schmerzen das Alter eines 80-Jährigen!

Denn Schmerzen und Funktionseinschränkungen bedingen sich gegenseitig, sodass eine Abwärtsspirale in Gang kommt. Dies hat Kenneth Covinsky in seiner Studie nachgewiesen, in der er mit Mobilität, Treppensteigen, Funktion der oberen Extremitäten und Aktivitäten des täglichen Lebens Fähigkeiten von Schmerzpatienten in 4 Bereichen abfragte (J Am Geriatr Soc 2009; 57: 1556–1561). Darüber hinaus weisen viele Schmerzpatienten zusätzliche therapiebedürftige Komorbiditäten auf. Im Schnitt haben sie neben ihrer Schmerzdiagnose weitere Diagnosen an 5 verschiedenen Organsystemen. Dementsprechend nehmen sie im Mittel 7 Medikamente ein, so eine Veröffentlichung der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (DGSS) in der Zeitschrift „Der Schmerz“ aus dem Jahr 2003.

Dies sind nur 2 Beispiele, die deutlich machen, warum man Schmerzen eines Patienten adäquat und rechtzeitig behandeln muss, bevor sie am Ende chronifizieren. Grundvoraussetzung einer jeden Therapie ist stets die multidimensionale Erfassung der Schmerzen und der schmerzbedingten funktionellen Einbußen. Basis sollte immer ein multimodales Schmerzmanagement sein, das auf dem sogenannten bio-psycho-sozialen Konzept beruht. Dabei steht – neben der kausalen Therapie – für den Schmerzpatienten vor allem die Verbesserung seiner Lebensqualität im Vordergrund. Unerträgliche Schmerzen sollen erträglich und weniger beeinträchtigend werden, der Patient nicht mehr vom Schmerz beherrscht werden.

Bereits bei der Schmerzdiagnostik gilt es, die Besonderheiten chronischer Schmerzen und die individuelle Lebenssituation eines jeden Patienten zu berücksichtigen. Nur so können die körperlichen Ursachen der Schmerzen, die vom zentralen Nervensystem gesteuerte Schmerzempfindlichkeit und psychosoziale, den Schmerz verstärkende Faktoren günstig beeinflusst werden. Die multimodale Therapie setzt sich aus vielfältigen Facetten zusammen, die – sorgfältig aufeinander abgestimmt – zum Behandlungsziel führen. Dabei kommen neben medikamentösen Maßnahmen auch nichtmedikamentöse Verfahren wie beispielsweise die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS), Akupunktur oder physikalische Maßnahmen (z.?B. Lagerung, Kühlung, Wärme, stabilisierende Verbände) und gegebenenfalls invasive Eingriffe wie rückenmarksnahe Stimulationstechniken (SCS-Sonden) oder Spinalkanalkatheter zum Einsatz.

Weitere unverzichtbare Säulen für eine multimodale interdisziplinäre wie interprofessionelle Schmerztherapie sind die begleitende – aktive! – physiotherapeutische Behandlung und eine Psychoedukation im Sinne des Verständnisses schmerzunterhaltender Mechanismen, Schmerzbewältigungsstrategien, Stressmanagement und Entspannungsverfahren, gegebenenfalls ergänzt durch eine weiterführende verhaltenstherapeutische oder tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. Die aktive Mitarbeit des Patienten ist in jedem Fall von großer Bedeutung für die Nachhaltigkeit des Behandlungserfolgs, dies sollte generell in Form eines „Vertrages“ zu Beginn der Therapie festgelegt werden. Derzeit werden zudem auf der Basis der elektronischen Datenerfassung zunehmend überregionale Netzwerke etabliert, um zukünftig die Qualität der Schmerztherapie vor allem hinsichtlich nachhaltiger Behandlungserfolge trotz drastischer Einschränkungen durch die aktuellen Gesundheitsreformen zu verbessern.

Dr. med. Susanne Stehr-Zirngibl

Düsseldorf