Sprache · Stimme · Gehör 2009; 33(4): 212
DOI: 10.1055/s-0030-1247182
Interview

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Brauchen wir Computer-Programme in der Aphasietherapie?

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Publication Date:
15 January 2010 (online)

Herr Dr. Schlenck, Sie sind Leiter der Abteilung für Sprachtherapie an der Fachklinik Enzensberg und dort u.a. zuständig für eine spezielle Sprachstation, wo Patienten mit neurologisch bedingten Sprach- und Sprechstörungen intensiv behandelt werden. Daher haben Sie langjährige Erfahrung in der Leitung von Sprachteams und im Einsatz von Computerprogrammen für die Diagnostik und Therapie von Sprach- und Sprechstörungen.

? Welche Vorteile hat die Computertherapie aus Ihrer Sicht bei Sprach- und Sprechstörungen?

Man muss grundsätzlich unterscheiden zwischen computergestützten Geräten zu Diagnostik und Training von sprechmotorischen Fähigkeiten einerseits und sprachlichen Übungsprogrammen zum Üben bestimmter sprachsystematischer Fähigkeiten andererseits.

Für die Diagnostik und das (Biofeedback-) Training sprechmotorischer Fähigkeiten bei dysarthrischen Patienten halte ich computergestützte Geräte für absolut unersetzlich, wenn es beispielsweise darum geht, das Schwingungsverhalten der Stimmlippen, die Tonhöhe, die Lautstärke oder etwa die Velumbewegungen (Nasalität) sichtbar zu machen und zu trainieren. Ein solches Biofeedback-Training ist aus der modernen Dysarthrie-Therapie nicht wegzudenken.

Auch sprachliche Übungsprogramme für aphasische Patienten können in vielen Fällen eine wertvolle Ergänzung darstellen. Sie werden von den Patienten in der Regel auch sehr gern angenommen. Der wesentliche Vorteil besteht aus meiner Sicht darin, dass die Patienten hier die Gelegenheit haben, bestimmte Probleme mit sehr hoher Wiederholungszahl selbstbestimmt zu üben und dabei unmittelbar korrigiert zu werden. Dies ist in der logopädischen Einzeltherapie leider nicht immer möglich. Andererseits wissen wir aber aus vielen Therapiestudien, dass sich die sprachlichen Leistungen bei vielen Patienten mit chronischer Aphasie nur durch intensives Üben, das mindestens täglich, am besten sogar mehrmals täglich stattfindet, verbessern lassen. Hier kann Computertherapie durchaus eine wichtige Ergänzung zur logopädischen Einzel- und Gruppentherapie darstellen.

? Eignet sich Computertherapie auch zum selbstständigen Üben?

Insbesondere sprachliche Übungsprogramme für aphasische Patienten eignen sich hervorragend zum selbstständigen Üben, sofern einige Grundvoraussetzungen gegeben sind. Aus der relativ unübersichtlichen Vielzahl der Übungsprogramme müssen Übungen herausgesucht werden, die der Art der Störung, dem Ausmaß der Störung und den jeweiligen therapeutischen Zielen entsprechen. Dies kann nur gelingen, wenn dem Üben eine gründliche Sprachdiagnostik und eine ausführliche Beratung vorausgehen. Außerdem muss das Üben therapeutisch begleitet werden, um gegebenenfalls die Übungen mit der Zeit zu verändern und anzupassen.

? Therapeuten befürchten häufig, die PC-Therapie könnte ihre Arbeit ersetzen, sehen Sie das auch so?

Ich glaube, dass Computertherapie nur dann wirklich hilfreich sein kann, wenn sie von Sprachtherapeuten angeleitet und gesteuert wird. Außerdem kann sie immer nur eine Ergänzung zur professionellen Sprachtherapie sein und wird diese nie ersetzen können. Insofern sind solche Befürchtungen also unbegründet.

? Gibt es aus Ihrer Sicht ausreichend geeignete PC-Übungsprogramme?

Von der Anzahl her gibt es bereits sehr viele Programme. Anders sieht es allerdings bei der Qualität aus; hier ist sicherlich noch sehr viel Arbeit zu leisten.

? Welche Forderungen sind an die Therapieforschung hinsichtlich neuer Medien zu stellen?

Ich sehe im Wesentlichen 2 Problemfelder: Die kommerziellen Hersteller entwickeln in der Regel Programmpakete, die ein möglichst breites Spektrum von Standardübungen enthalten, die (angeblich) für fast alle Patienten geeignet sein sollen. Dies funktioniert aber meiner Meinung nach nicht. Da sich die Probleme aphasischer Patienten von Patient zu Patient enorm unterscheiden, brauchen wir vielmehr eine große Zahl sehr spezieller Übungen für sehr spezifische Probleme. Hier ist noch sehr viel Entwicklungsarbeit zu leisten. Aus kommerzieller Sicht hat das natürlich den Nachteil, dass sich solche Programme nicht an sehr viele Patienten verkaufen lassen und dass man immer Fachleute benötigt, die für jeden Patienten die richtigen Übungen auswählen.

Das 2. Problem betrifft die Evaluation der Programme. Zwar haben sich praktisch alle Hersteller auch jetzt schon ein Etikett "klinisch geprüft" besorgt und angeheftet, was teilweise sehr an die "Dr. Best Werbung" erinnert. Was wir aber wirklich benötigen, ist eine Therapieforschung, die nicht nur pauschal fragt, ob es besser ist, mit einem bestimmten Programm zu arbeiten, als gar nichts zu tun, sondern eine, die versucht, die spezifischen Wirkungen einzelner Übungen bei genau definierten Störungen zu ergründen. Davon sind wir leider noch weit entfernt.

Das Interview führte Dr. phil Luise Springer, Aachen.

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