Hintergrund: Misshandlungen von Kindern und Jugendlichen haben eine erhebliche individuelle, epidemiologische
und gesamtgesellschaftliche Bedeutung. Generationen übergreifend ist Missbrauch und
Vernachlässigung dokumentiert. Dennoch ist die retrospektive Messung von Missbrauch
im Kindesalter in der Erwachsenenbevölkerung angesichts veränderlicher gesellschaftlicher
Normen sowie zeitgeschichtlicher Ereignisse komplex. Diese Komplexität wird unter
Berücksichtigung inhaltlicher und psychometrischer Aspekte in einer Stichprobe der
deutschen Allgemeinbevölkerung untersucht. Methode: Insgesamt 1819 Probanden der Study of Health in Pommerania (SHIP, 29–89 Jahre) beantworteten
eine Kurzfassung des Childhood Trauma Questionnaire (CTQ) mit 25 Items/5 Subskalen:
emotionaler, körperlicher, sexueller Missbrauch; physische, emotionale Vernachlässigung.
Mittels deskriptiver Statistiken werden alters- und geschlechtsspezifische Unterschiede
aufgezeigt. Die psychometrische Qualität wird auf Basis konfirmatorischer Faktorenanalysen/Item-Response-Modellen
analysiert. Mehrgruppenmodelle dienen zur Analyse der differentiellen Skalenstruktur
nach Geschlechts- und Altersstraten (29–44; 45–64; 65–89). Ergänzend wird Cronbachs
Alpha berichtet. Ergebnisse: Fast die Hälfte (45%) gibt mindestens ein häufig aufgetretenes Problemereigniss an.
Die Items und Subskalen weisen charakteristisch unterschiedliche Alters- und Geschlechtswendigkeiten
auf. Einer häufigeren Bejahung der Items zu sexuellem Missbrauch durch Frauen steht
eine häufigere Bejahung der Items zu körperlichem Missbrauch durch ältere Männer gegenüber.
Items der Kategorie physische Vernachlässigung werden wesentlich häufiger von Personen
mit Kindheit und Jugend in den 40er Jahren positiv beantwortet. Die Faktorenstrukturen
der Subskalen für emotionalen und körperlichen Missbrauch sowie für emotionale Vernachlässigung
weisen nur geringe Unterschiede nach Alters- und Geschlechtsstraten auf, nicht aber
die Subskala zu körperlichem Missbrauch. Abgesehen von letzterer Skala liegen die
internen Konsistenzen der CTQ-Subskalen um 0,8. Fazit: Obwohl psychometrische Analysen auf die Verwendbarkeit des CTQ, mit Ausnahme der
Subskala für körperlichen Missbrauch, in der Allgemeinbevölkerung hinweisen, ergeben
sich klare Hinweise auf große Abhängigkeiten der Prävalenzen von gesellschaftlichen
Normen und zeitgeschichtlichen Ereignissen.