Dass Krebs seit den 1930er Jahren als das zentrale volksgesundheitliche Problem fixiert
wurde ist mittlerweile in zahlreichen Studien gezeigt worden. Als besonders zur Carcenogenität
prädestinierte Substanzen galten aus mehreren Gründen die Östrogene. Der Biochemiker
Adolf Butenandt arbeitete seit 1937 zusammen mit dem Gynäkologen Carl Kaufmann und
im Auftrag der Schering AG daran, diesen Verdacht, welcher die Marktfähigkeit des
Östrogenpräparats Progynon gefährdete, zu entkräften. Im Juni 1940 resümierte Butenandt,
dass als sicher gelten könne, dass die natürlich vorkommenden Östrogene und ihre Ester
keiner cancerogene Wirkung entfalteten. Einzig Krebs auslösend wirkten die Östrogene
bei Tieren, deren Mäusestamm ohnehin eine hohe Anfälligkeit für Brustdrüsencarcinome
aufweise. In diesem Vortrag soll gezeigt werden, dass dieses Verdikt die Auffassung
über Krebs und Östrogene in Deutschland bis weit in die 1960er Jahre prägte. Die Interessenlage
dieser Forschungsarbeiten, wie sie jüngst der Wissenschaftshistoriker Jean-Paul Gaudillière
herausgearbeitet hat, ist dabei nie reflektiert worden. Pointiert analysiert werden
soll dies an der Debatte über die Hormontherapie der Wechseljahre, wie sie im Jahr
1966 durch die Übersetzung des Bestsellers „Feminine forever“ des amerikanischen Frauenarztes
Robert A. Wilson unter dem Titel „Die vollkommene Frau“ angeregt wurde. Nach dem Vorabdruck
in der Zeitschrift „Quick“, so referierte der „Spiegel“, sei es in der Presse zu einer
Art „Hormon-Krieg“ gekommen. Der Disput ging nicht nur darum, ob das Klimakterium
etwas Naturgewolltes oder eine behebbare Krankheit, eine „Östrogenmangelerscheinung“,
sei, sondern um den seit den 1930er Jahren stetig erneuerten Verdacht, dass Östrogene
Krebs auslösen könnten. In diesem Disput trafen die etwa von Josef Zander, einem Butenandtschüler,
vertretene Auffassung, dass Östrogene nicht cancerogen wirkten, jedoch einen bereits
vorhandenen Krebs schneller entwickelten, auf die in den 1940er und 50er Jahren herausgearbeitete
Problematik irreversibler summationsfähiger Giftwirkungen. Die Ungefährlichkeit einer
chemischen Substanz konnte sich danach nur in Langzeitstudien beweisen, der dauerhafte
prophylaktische Einsatz von von Östrogenen musste als ein „kalkuliertes Risiko“ erscheinen.