Gesundheitswesen 2010; 72 - WS59
DOI: 10.1055/s-0030-1266446

Der Hormonkrieg: Östrogene, Krebs und die vollkommene Frau, 1937–1966

H Stoff 1
  • 1TU Braunschweig, Braunschweig

Dass Krebs seit den 1930er Jahren als das zentrale volksgesundheitliche Problem fixiert wurde ist mittlerweile in zahlreichen Studien gezeigt worden. Als besonders zur Carcenogenität prädestinierte Substanzen galten aus mehreren Gründen die Östrogene. Der Biochemiker Adolf Butenandt arbeitete seit 1937 zusammen mit dem Gynäkologen Carl Kaufmann und im Auftrag der Schering AG daran, diesen Verdacht, welcher die Marktfähigkeit des Östrogenpräparats Progynon gefährdete, zu entkräften. Im Juni 1940 resümierte Butenandt, dass als sicher gelten könne, dass die natürlich vorkommenden Östrogene und ihre Ester keiner cancerogene Wirkung entfalteten. Einzig Krebs auslösend wirkten die Östrogene bei Tieren, deren Mäusestamm ohnehin eine hohe Anfälligkeit für Brustdrüsencarcinome aufweise. In diesem Vortrag soll gezeigt werden, dass dieses Verdikt die Auffassung über Krebs und Östrogene in Deutschland bis weit in die 1960er Jahre prägte. Die Interessenlage dieser Forschungsarbeiten, wie sie jüngst der Wissenschaftshistoriker Jean-Paul Gaudillière herausgearbeitet hat, ist dabei nie reflektiert worden. Pointiert analysiert werden soll dies an der Debatte über die Hormontherapie der Wechseljahre, wie sie im Jahr 1966 durch die Übersetzung des Bestsellers „Feminine forever“ des amerikanischen Frauenarztes Robert A. Wilson unter dem Titel „Die vollkommene Frau“ angeregt wurde. Nach dem Vorabdruck in der Zeitschrift „Quick“, so referierte der „Spiegel“, sei es in der Presse zu einer Art „Hormon-Krieg“ gekommen. Der Disput ging nicht nur darum, ob das Klimakterium etwas Naturgewolltes oder eine behebbare Krankheit, eine „Östrogenmangelerscheinung“, sei, sondern um den seit den 1930er Jahren stetig erneuerten Verdacht, dass Östrogene Krebs auslösen könnten. In diesem Disput trafen die etwa von Josef Zander, einem Butenandtschüler, vertretene Auffassung, dass Östrogene nicht cancerogen wirkten, jedoch einen bereits vorhandenen Krebs schneller entwickelten, auf die in den 1940er und 50er Jahren herausgearbeitete Problematik irreversibler summationsfähiger Giftwirkungen. Die Ungefährlichkeit einer chemischen Substanz konnte sich danach nur in Langzeitstudien beweisen, der dauerhafte prophylaktische Einsatz von von Östrogenen musste als ein „kalkuliertes Risiko“ erscheinen.