Zentralbl Chir 2012; 137(6): e2-e3
DOI: 10.1055/s-0031-1271427
Chirurgische Fort- und Weiterbildung

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

„Juvenile Knochenzysten – Aktueller Stand der Behandlungsmöglichkeiten“ – 6. Regionaltagung Kindertraumatologie Mitteldeutschlands, eine Nachlese

Juvenile Bone Cysts – Current Status of Treatment Options – 6th Regional Meeting Paediatric Traumatology – A PostscriptH.-J. Haß1 , H. Krause1 , U. Bühligen2
  • 1Universitätsklinikum Magdeburg A. ö. R., Arbeitsbereich Kinderchirurgie, Klinik für Chirurgie, Magdeburg, Deutschland
  • 2Universitätklinikum Leipzig, Klinik und Poliklinik für Kinderchirurgie, Leipzig, Deutschland
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Publication History

Publication Date:
14 April 2011 (online)

Am 29.10.2010 fand in Magdeburg die nunmehr bereits „6. Regionaltagung Kindertraumatologie Mitteldeutschlands“ statt. Mit dieser Veranstaltungsreihe wurde 2008 ein regionaler Arbeitskreis gegründet, der sich speziell mit Fragen der Kindertraumatologie beschäftigt. Anliegen dieses Arbeitskreises ist die Verstärkung bestehender Kontakte mit kindertraumatologisch tätigen Kollegen / Innen des Umlandes sowie die Verbesserung der regionalen Weiterbildung und Zusammenarbeit. Die Arbeitstagungen thematisieren seither zweimal jährlich im Frühjahr sowie Herbst eine umgrenzte kindertraumatologische Problematik hinsichtlich bewährter Behandlungsstandards sowie aktueller Entwicklungen. 

Tagungsgastgeber der 6. Regionaltagung war der Arbeitsbereich Kinderchirurgie der Klinik für Chirurgie des Magdeburger Universitätsklinikums. In bewährter Weise bestand nach einer zeitlich ausführlichen Themenbehandlung durch den Vortragenden jeweils genügend Raum für eine ausgiebige Diskussion. 

Als Thema waren die Juvenilen Knochenzysten ausgewählt worden, ein typisches kinderorthopädisch / kindertraumatologisches Krankheitsbild mit einer Vielzahl von zum Teil sehr kontrovers diskutierten Behandlungsmöglichkeiten. Und das mit gutem Grund: Juvenile Knochenzysten sind gutartige Knochenerkrankungen, zugleich aber auch die häufigste Ursache für pathologische Frakturen im Kindes- und Jugendalter. Nach einem kurzen historisch interessanten Überblick wurden durch Herrn Krause (Magdeburg) die aktuellen Theorien zur Ätiologie und Pathogenese, welche seit der Erstbeschreibung durch Rudolf Virchow im Jahre 1876 auch heute noch weitgehend ungeklärt sind, ausführlich dargestellt. Die Mehrheit bisheriger Publikationen basieren auf der 1970 von Cohen entwickelten Theorie, nach der eine Entwicklungsanomalie im Gefäßsystem letztlich zu einer Abflussbehinderung interstitieller Flüssigkeit im Bereich der Metaphyse geführt haben könnte. Interessanterweise haben Chigira (1983) und etwas später Komiya (1993) eine intrazystische Druckerhöhung nachgewiesen. Dadurch wäre eine Verminderung der umgebenden Knochenmatrix zu erklären. Eine andere Hypothese, vorgeschlagen von Mirra (1978), geht von einem kongenitalen Rest synovialen Gewebes als Entstehungsursache aus und definiert Knochenzysten im weitesten Sinne als intraossäre Synovialzysten. 

Als Prädilektionsstellen wurden mit gut 95 % die proximalen Metaphysen des Humerus und des Femurs benannt. Die Zyste bleibt innerhalb der Knochengrenzen umschrieben, wie anschließend eine ausgewiesene Kinderradiologin (Neumann – Magdeburg) berichtete, und spart den subperiostalen sowie epiphysären Knochen primär aus. Explizit wurde auf die fehlende spontane Periostreaktion hingewiesen. Dabei wurden insbesondere die Kortikalisausdünnung, die glatte Randkontur sowie eine fehlende Tumormatrix (radiomorphologische Substanzdichte) als typische Zeichen im Nativröntgenbild herausgearbeitet. Eine juvenile Knochenzyste wird auch weiterhin am häufigsten im Rahmen der Diagnostik einer pathologischen Fraktur festgestellt. Diskutiert wurden die verschiedenen Möglichkeiten ­moderner Bildgebung, welche die konventionelle Bildgebung ergänzen. Dabei konnte die hohe Zuverlässigkeit des konventionellen Röntgenbildes herausgestellt werden. Erst wenn das Röntgenbild nicht typisch ist, sollte eine CT oder MRT veranlasst werden. Eine PE mit histologischer Gewebsbeurteilung ist notwendig bei unklarem Befund in der Diagnostik und fehlendem Konsens zwischen Radiologen, Kinderchirurgen und Onkologen. 

Die Thematik der verschiedenen Be­handlungsmöglichkeiten und Therapieoptionen (Haß – Magdeburg) wurde an Hand einer pubmed-Recherche der letzten 10 Jahre referiert, wobei insgesamt 75 therapierelevante Publikationen über 1748 Fälle zur Auswertung kamen. Vorgestellt wurde eine weiterhin bestehende offensichtliche Therapievielfalt von der einfachen Curettage der Zysten, über Dränage-Operationen (Hohlschrauben, ESIN), Steroid- und Knochenmarkinjektionen bis hin zur Auffüllung mit allogener oder autogener Spongiosa, humaner demineralisierter Knochenmatrix bzw. mine­ralischem Knochenersatz. Besonders interessant war dabei die Analyse der Heilungsraten, welche bei der autogenen Spongiosatransplantation bei persistierenden Knochenzysten nach pathologischer Fraktur mit über 90 % am höchsten war. Die allogene Spongiosatransplanta­tion sowie die Transplantation einer humanen demineralisierten Knochenmatrix, wie auch das Auffüllen mit einem mineralischen Knochenersatz sowie die Einbringung elastisch stabiler Nägel (ESIN), welche zugleich eine primäre Stabilisierung bei pathologischer Fraktur ermöglichen, folgten mit Heilungsraten zwischen 70 und 90 %. Die immer noch zahlreich publizierte Injektion mit Steroiden erbrachte demgegenüber nur Heilungsraten unter 50 %. 

Nach Darstellung der aktuell praktizierten unterschiedlichen Therapieoptionen wurde ausgiebig über die Wichtigsten in einzelnen Erfahrungsberichten referiert. Das Thema ESIN im Behandlungskonzept juveniler Knochenzysten (Bühligen – Leipzig) fokussierte auf die therapeutische Kombination der in der Kinderchirurgie inzwischen standardisierten intramedullären Schienung zur Behandlung von Frakturen im Kindesalter mit einer Zystendrainage. Angenommen wird auch eine bessere Osteoblasteninvasion entlang der intramedullären Nägel als Leitschiene. Diese Therapie wurde in der Diskussion als anerkannter und inzwischen bewährter Standard in der Primärtherapie herausgestellt. 

Erfahrungsgemäß heilen juvenile Knochenzysten im Adoleszentenalter vollständig aus (Spontanremission). Eine reelle Spontanheilungsquote kann der Lite­ratur jedoch nicht entnommen werden, ­sodass die Indikation zur operativen Therapie neben der Behandlung einer pathologischen Fraktur auch bei langfristiger Einschränkung der Lebensqualität durch drohende Frakturen zu stellen ist. 

Mit Spannung erwartet wurde der Vortrag zum Einsatz von mineralischem Knochenersatz (Zätzsch – Gernsheim), welcher eine klar definierte Übersicht über die unüberschaubare Vielzahl derzeitiger auf dem Markt verfügbarer Knochen­ersatzmaterialien erörterte. Prinzipiell werden biologische von synthetischen Knochenersatzmaterialien unterschieden. Zu den biologischen Knochenersatz­materialien zählen die autogene sowie allo­gene Spongiosa, die demineralisierte Knochen­matrix sowie einzeln verfügbare BMP’s (bone morphogenic proteins). Die synthetischen Knochenersatzmaterialien bestehen im Wesentlichen aus Hydroxylapatit, Tricalziumphosphat bzw. Calziumphosphatzement. Dabei zeigte sich, dass die meisten derzeit als osteokonduktiv bezeichneten synthetischen Knochen­ersatzmaterialien leider keine, gerade für Kinder wichtige, schnelle und vollständige zellvermittelte Resorption bieten. Die gewünschte Anlagerung von zellbindenden Proteinen an das osteokonduktive mineralische Grundgerüst scheint zumindest bei Materialien mit Silikat (Actifuse®) deutlich günstiger zu sein, sodass hierbei möglicherweise auch eine entsprechende Osteoinduktivität angenommen werden kann. 

Die Erfahrungen mit einer Demineralisierten Humanen Knochenmatrix (DBM), welche bereits seit über 10 Jahren in der Magdeburger Kinderchirurgie bei der Therapie juveniler Knochenzysten zum Einsatz kommt, waren Inhalt der anschließenden Präsentation (Haß – Magdeburg). Nachdem zuvor der juristische Tatbestand der Duldung durch BfArM und PEI den Einsatz einer DBM in Deutschland legalisierte, ist seit 2005 eine als Arzneimittel zugelassene DBM unbegrenzt verfügbar. Da es sich hierbei um das einzige quantitativ unbegrenzt verfügbare osteoinduktive Material handelt, stellt es eine Alternative gerade für das Kindesalter mit sehr begrenzter Spongiosaverfügbarkeit, abgesehen von zusätzlichen Risiken einer Wachstumsschädigung durch die Traumatisierung der Epiphysis marginalis bei einer Spongiosaentnahme aus dem Beckenkamm, dar. Diskutiert wurde der variable BMP-Level dieser DBM, da die Spender eine erhebliche Altersbreite aufweisen. Aufgrund des wenn auch sehr kleinen Restrisikos der Übertragung infektiöser Krankheiten (AIDS, Hepatitis etc.) ist diese erfolgreiche Therapie nicht für den Primäreinsatz geeignet. Vorgeschlagen wurde ein Algorithmus, der die primäre Therapie durch ESIN favorisiert, insbesondere bei einer pathologischen Fraktur; bei ausbleibender Konsolidierungstendenz über ein Jahr hinaus jedoch den Verfahrenswechsel zur Transplantation einer DBM. 

Als abschließender Beitrag wurden Erfahrungen im Rahmen einer Studie mit einem Hydroxylapatit (Ostim®) vorgetragen (Schwerk – Dresden). Leider konnten die hohen Erwartungen an diesen osteokonduktiven Knochenersatz nicht erfüllt werden. Zahlreiche persistierende bzw. unter der Therapie an Größe zunehmende Zysten lassen den weiteren Einsatz zunehmend kritisch erscheinen. Darüber hinaus wurde über zahlreiche Weichteilreaktionen (Schwellung, Rötung und Überwärmung) im Bereich der mit Ostim® aufgefüllten Zysten berichtet. 

Als Fazit der Veranstaltung wurde die allgemein akzeptierte primäre Behandlung juveniler Knochenzysten mit einer pathologischen Fraktur durch eine intramedulläre Schienung (ESIN) als Standard herausgearbeitet. Beim Zufallsbefund entscheidet die Kortikalisstabilität und da­mit potenzielle Frakturgefährdung über die Notwendigkeit einer Behandlung. Auch hierbei ist aber die ESIN aufgrund der gleichzeitigen Stabilisierung der Schwachstelle und somit Frakturprotektion die primäre Therapieoption der Wahl. Erst bei ausbleibender Zystenkonsolidierung sollte eine Auffüllung mit ­einem Knochenersatz mit möglichst osteoinduktiven Eigenschaften erwogen werden. 

Nach anregender Diskussion schloss die kindertraumatologische Regionaltagung mit der berechtigten Hoffnung, in absehbarer Zeit verbindlichere Heilungsprognosen in der Therapie juveniler Knochenzysten geben zu können. 

Dr. H.-J. Haß

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