Der Klinikarzt 2011; 40(2): 101
DOI: 10.1055/s-0031-1275189
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Interdisziplinäre Zusammenarbeit – Lebensrettende Fortschritte in der antimykotischen Therapie

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Publication Date:
04 March 2011 (online)

 

Mit modernen Antimykotika ist es heute möglich, invasive Mykosen rechtzeitig und effektiv zu behandeln. Schwer kranke Patienten in der Hämatologie / Onkologie und in der Intensivmedizin tragen grundsätzlich ein hohes Risiko, zusätzlich zu ihrer Grunderkrankung eine Pilzinfektion zu entwickeln. Da typische Symptome meist fehlen, ist es wichtig, bei der mikrobiologischen Diagnostik nicht nur auf die Suche nach Bakterien zu gehen, sondern unbedingt auch nach Pilzen zu suchen. Wir sprachen mit Prof. Markus Ruhnke, Charité Berlin, über den Umgang mit Mykosen und den lebensrettenden Fortschritt in der antimykotischen Therapie.

? Haben Aspergillosen in den vergangen 20 Jahren zugenommen oder werden sie häufiger entdeckt?

Prof. Ruhnke: Sicher ist es so, dass Aspergillosen heute aufgrund der allgemeinen Aufmerksamkeit für Mykosen häufiger diagnostiziert werden, weil man bei Risikopatienten schon von vornherein daran denkt und bestrebt ist, frühzeitig therapeutisch einzugreifen. Da es in Deutschland keine Meldepflicht für Mykosen gibt, stehen keine aussagekräftigen Daten zur Verfügung. Es sind eher "gefühlte" Daten, die darauf hinweisen, dass der Schwerpunkt der Inzidenz von Mykosen bei den hämatoonkologischen und Intensivpatienten liegt.

? Schimmelpilzinfektionen wie Aspergillosen haben noch immer eine hohe Letalitätsrate. Gibt es Möglichkeiten, um das Risiko im Vorfeld einzuschätzen und ihm entgegenzutreten?

Prof. Ruhnke: Bei Patienten mit akuter Leukämie wird vielfach eine antimykotische Prophylaxe eingesetzt. Entsprechende Studien haben diese Vorgehensweise bestätigt, was jedoch auch zu einer gewissen Sorglosigkeit und weniger Diagnostik führt.

? Die Diagnostik von Schimmelpilzinfektionen wie Aspergillosen gestaltet sich immer noch schwierig. Was wird im Verdachtsfall unternommen?

Prof. Ruhnke: Die Mikrobiologie ist zunächst die Grundlage, um einen Erreger zu identifizieren. Dazu gehören der kulturelle Nachweis aus Sputum und Bronchiallavage sowie gleichzeitig ein Aspergillus-Galaktomannan-Test. Dies gilt insbesondere für hämatoonkologische Patienten, immunsupprimierte Transplantationspatienten und Intensivpatienten. Zusätzliche Unterstützung bieten die bildgebenden Verfahren, sodass der Nachweis einer Aspergillusinfektion relativ rasch vorliegt.

? Wie rechtzeitig muss eine Therapie sein, um die Infektion erfolgreich zu bremsen?

Prof. Ruhnke: Bei den hämatoonkologischen Patienten ist die leitlinienkonforme Vorgehensweise etabliert, bei unklarer Lungenentzündung und Granulozytopenie von vornherein Voriconazol zu geben. Damit ist eine frühe präemptive Therapie mit einem Breitspektrumantimykotikum sichergestellt. In anderen Bereichen wird meist erst nach dem Erregernachweis mit der antimykotischen Therapie begonnen.

? Wann und wie kommt es zu den sogenannten Durchbruchsinfektionen?

Prof. Ruhnke: Eindeutig ist diese Frage nicht zu beantworten. Zu vermuten sind mangelnde Erregerempfindlichkeit, Resistenzen oder schwere Immunsuppression des Patienten. In diesem Fall müsste ggf. die Substanzklasse geändert oder die Therapie eskaliert werden.

? Vor 9 Jahren wurde das Azolantimykotikum Voriconazol eingeführt und hat sich rasch als der neuer Goldstandard etabliert. Hat sich der Umgang mit Aspergillosen seither verändert und was bedeutet dies für die Patienten?

Prof. Ruhnke: Aufgrund seiner guten Verträglichkeit wird Voriconazol heute breit und viel früher eingesetzt. Solange es nur Amphotericin B gab, war man mit der antimykotischen Therapie aufgrund der erheblichen Nebenwirkungen sehr zögerlich. Seitdem es Voriconazol gibt, ist die Zahl der Patienten, die eine Aspergillose überleben, deutlich gestiegen. Dies konnten retrospektive Analysen aus zahlreichen Kliniken in Europa und USA nachweisen. So hat sich beispielsweise die Prognose von stammzelltransplantierten Patienten signifikant verbessert, wenn die antimykotische Therapie mit Voriconazol erfolgte.

? Gibt es heute Alternativen zu Voriconazol?

Prof. Ruhnke: Was die Wirksamkeit betrifft ist Posaconazol sicher ähnlich. Es gibt aber keine entsprechenden Studien dazu, wie sie für Voriconazol vorliegen. Nur hier konnte der Nachweis zur überlegenen Wirksamkeit eindeutig erbracht werden. Darüber hinaus ist Voriconazol sowohl oral als auch parenteral verfügbar und somit auch bei schwerkranken Patienten und bei Intensivpatienten, problemlos einsetzbar.

? Sie waren von 2005 bis 2008 Vorsitzender der Deutschsprachigen Mykologischen Gesellschaft (DMykG e. V.). Was war aus Ihrer Sicht der wichtigste Meilenstein in der antimykotischen Therapie in der letzten Dekade?

Prof. Ruhnke: In diesem Zeitraum war es eindeutig die Einführung neuer antimykotischer Substanzen, die die therapeutischen Möglichkeiten bahnbrechend verändert haben. Dazu gehören die Azole und die Echinocandine. Davor waren wir überwiegend damit beschäftigt die Toxizität von Amphotericin B in Grenzen zu halten, was u. a. zur Entwicklung von liposomal verkapseltem Amphotericin B geführt hat.

? 2010 wurden Sie mit dem Wissenschaftspreis / Forschungsförderpreis der DMykG ausgezeichnet. Können Sie kurz beschreiben, welche wissenschaftliche Arbeit dem zugrunde liegt?

Prof. Ruhnke: Der Preis bezieht sich nicht auf eine Arbeit, sondern auf eine ganze Sammlung von Forschungsarbeiten in Bezug auf Candida-Infektionen. Mein besonderes Anliegen ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen medizinischen Fachbereichen, wie sie vermutlich in wenigen anderen wissenschaftlichen Fachgesellschaften möglich und auch erforderlich ist. Der Erreger sucht sich nicht nur eine Erkrankung aus, deshalb müssen gemeinsame Konzepte entwickelt werden und darin sehe ich die wesentliche Aufgabe.

! Herr Professor Ruhnke, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Gabriele Henning-Wrobel, Erwitte

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