Fortschr Neurol Psychiatr 2011; 79(12): 745-756
DOI: 10.1055/s-0031-1281978
Mitteilungen

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mitteilungen der Viktor von Weizsäcker Gesellschaft

Nr. 29 (2011) Verantwortlich:Heinz Schott, Bonn Redaktion: Rainer-M. E. Jacobi, Bonn
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Publication Date:
09 December 2011 (online)

Tagungsbericht

Ereignis und Erlebnis. Die biographische Methode

16. Jahrestagung der Viktor von Weizsäcker Gesellschaft in Verbindung mit der Park-Klinik Sophie Charlotte Berlin vom 28. bis 30. Oktober 2010

Schon die Gegenüberstellung von Ereignis und Erlebnis vermittelt etwas von der Spannung, wie sie den biographischen Zugang zur Krankheit kennzeichnet. Statt einer kausalen Wirkungsbeziehung, die der objektiven Analyse zugänglich ist, handelt es sich beim Zusammenhang von Ereignis und Erlebnis, wie dies Erwin Straus gezeigt hat, um eine je individuelle „Sinnentnahme“, durch die „der Erlebende sich selbst als Werdenden erlebt“ – d. h. es kann zu lebensgeschichtlichen Wandlungen kommen, in denen „ein vergangenes Ereignis für den Erlebenden eine andere Bedeutung gewonnen hat.“[1] Der subjektiv erlebte Krankheitswert eines Ereignisses erschließt sich nicht in der objektiven Erfassung von dessen Pathogenität.[2]

Der Jahrestagung vorangestellt fand am Donnerstagnachmittag zunächst ein Gedenksymposium für Cora Penselin statt, der jüngsten Tochter Viktor von Weizsäckers, die am 28. April 2009 verstorben war und seit der Gründung der Gesellschaft dem Vorstand angehörte.[3] Nach einer Begrüßung durch Hans Stoffels (Berlin) wurden verschiedene Aspekte der Erinnerung an Cora Penselin durch Beiträge von Peter Hahn (Heidelberg), Dieter Janz (Berlin), Peter Achilles (Saarbrücken) und Rainer-M. E. Jacobi (Bonn) lebendig. Johannes Picht (Schliengen), bei dessen Onkel bereits Cora Penselin Klavierunterricht hatte, umrahmte die Veranstaltung musikalisch durch zwei Präludien aus dem Wohltemperierten Klavier von Johann Sebastian Bach.

Am Abend las Christa Wolf aus ihrem aktuell erschienenen Buch „Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud.“[4] In dem unverkennbar autobiografisch geprägten Buch schildert die Hauptperson und Ich-Erzählerin in komplex verwobenen Erzählebenen eine schwere persönliche Krise. Es verschränken sich kunstvoll persönliche und politische Geschichte, Erinnern und Vergessen, Wirklichkeit und Fiktion. Das Buch Christa Wolfs gab einen literarischen und damit exemplarischen Einstieg in das spannungsvolle Verhältnis von Ereignis und Erlebnis. An die gut besuchte Lesung schloss sich eine anregende Diskussion mit der Autorin an, die just zu dieser Zeit den 2010 erstmals verliehenen Thomas-Mann-Preis der Hansestadt Lübeck und der Bayerischen Akademie der Schönen Künste entgegennehmen konnte.

Die Reihe der Plenarvorträge eröffnete am ersten Tagungstag der Psychiater und Psychotherapeut Walter Pieringer (Graz) mit seinem Vortrag „Subjektorientierung und Krankheitsordnung.“ Dem Postulat, dass objekt- und subjektbezogene Theorien in einer als anthropologisch zu adressierenden Krankheitsordnung zu verbinden seien, stellte Pieringer den bekannten, das Subjekt betonenden und immer wieder herausfordernden Satz Weizsäckers voran: „Dass ich meine Erkrankung nicht nur bekomme und habe, sondern auch mache und gestalte; dass ich mein Leiden nicht nur dulde und fortwünsche, sondern auch brauche und will.“[5] Und weiter stellte er mit Dieter Wyss, mit dem er zusammengearbeitet hat, die These auf, dass Krankheit keine Gestalt sei und damit zunächst weder sinnlos noch sinnvoll; erst die erkennende Einsicht könne sinnstiftend wirken.[6] Im Folgenden entwickelte der Referent eine allgemeine Krankheitsordnung, die eine Einteilung in funktionelle, konstitutionelle, strukturelle und existenzielle Störungen und Erkrankungen vornimmt und dabei subjekt- und objektorientierte Erkenntniswege zu integrieren versucht. Die Wesensbezeichnungen Funktion, Konstitution, Struktur und Existenz werden dabei als einander bedingende, aber gleichzeitig in einer ontogenetischen Hierarchie vorliegende Ordnungsraster beschrieben.[7] Funktionelle Störungen, wie z. B. ängstliches Erröten, verstärktes Schwitzen, allgemein vegetative Dysregulationen, aber auch hysterische Konversionen seien Ausdruck des Konflikts mit der Erotik und der geschlechtlichen Rollenidentität. Es gehe in ihnen um begehrenswerte soziale Rollen. Sie erforderten therapeutisch einen spielerischen Umgang und Zugang, wie er in der hermeneutischen Methode verwirklicht werden könne durch gemeinsames Deuten und Auslegen im geschlechtsbewusst denkenden und fühlenden Erkennen der Situationen, in denen die Störungen auftreten. In konstitutionellen Erkrankungen wie z. B. dem essenziellen Hypertonus, Kopf-, Rücken- oder Muskelschmerzen, somatoformen Störungen und Phobien gehe es um die persönliche Autonomie und Selbstständigkeit. Sie seien Ausdruck einer notwendigen Entwicklung und aktivierten Ängste vor der anstehenden Wandlung. Die Arbeitsfähigkeit sei häufig noch erhalten, aber persönliche Machtgrenzen und Machtansprüche müssten schmerzlich ausgelotet werden. Sie erforderten einen anderen therapeutischen Zugangsweg, nämlich den eines sachlichen Diskurses mit empirisch-analytischer Methodologie. Strukturelle Erkrankungen wie z. B. der Herzinfarkt, der Schlaganfall, das Magengeschwür oder auch eine schwere Depression rissen den Patienten aus seinem sozialen Alltag heraus. Sie stellen dramatische Einbrüche in bislang gültige Strukturen dar und aktivierten einen Kampf um eine neue sozialakzeptable Identität. Existenzielle Erkrankungen wie Krebserkrankungen, Aids oder die Schizophrenie seien konkret lebensbedrohliche, die irdische Existenz transzendierende Leiden, die das Ringen des Menschen um Sinn, Würde und Einmaligkeit offenbar werden ließen. Die beiden zuletzt genannten Erkrankungsformen erforderten wiederum, differente therapeutische Zugänge, nämlich einen dialektischen Umgang bei strukturellen Erkrankungen und einen phänomenologischen bei existenziellen Erkrankungen. Aufgrund der begrenzten Zeit konnte Pieringer dies leider nicht mehr näher ausführen.

Die vorgestellte Ordnung wurde im Vortrag in Beziehung gesetzt zum Entwurf einer allgemeinen Krankheitslehre bei Weizsäcker mit der Einteilung in Neurose, Biose und Sklerose.[8] Den funktionellen Störungen und zum Teil den konstitutionellen Erkrankungen (z. B. Phobie) entspräche die Neurose mit ihrem veränderlichen, zeitlosen, den Freiheitsgrad physiologischen Geschehens zeigenden Charakter, der „noch nicht durch organische Veränderung der Strukturen beschränkt und erstarrt erscheint.“[9] In den Biosen zeigt sich indes eine physiologische wie anatomische Verhaltensweise der Natur, die zeit- und ortsgebunden ist. In den Sklerosen wird der Bereich der unwiderruflichen Veränderungen erreicht, sie weisen „zum Tode hin“, womit der Bereich der existenziellen Erkrankungen erreicht sei.[10] In der Diskussion kam es auch zu kritischen Fragen an das vorgestellte Modell, zumal doch viele Krankheiten einem Gestaltwandel über die Zeit und bedeutenden sozialen Einflüssen unterlägen. Der vorgestellten Ordnung läge darüber hinaus möglicherweise die Vorstellung des Menschen als einer Monade zugrunde, die erst später sozial werde. Auch wurde darauf hingewiesen, dass sich in vielen Erkrankungen funktionelle, konstitutionelle, strukturelle und existenzielle Aspekte finden ließen, die das Modell als ein „Stufenmodell“ infrage stellten.

Den zweiten Vortrag hielt der 2007 emeritierte Psychosomatiker Ulrich Rüger (Göttingen) über „Krankheitsgeschichte und Lebensgeschichte. Die biographische Dimension.“[11] Er begann mit einem Zitat von Sigmund Freud aus den Studien zur Hysterie, in dem dieser sich „eigentümlich berührt“ zeigt, „…, dass die Krankengeschichten, die ich schreibe, wie Novellen zu lesen sind, und dass sie sozusagen des ernsten Gepräges der Wissenschaftlichkeit entbehren.“[12] Ein Jahr zuvor (1894) hatte der Philosoph Wilhelm Windelband das Spannungsfeld zwischen den idiografischen (einzelfallorientierten, biographischen) und nomothetischen (nach übergreifenden Gesetzmäßigkeiten suchenden) Forschungsansätzen markiert, das Karl Jaspers später in der Unterscheidung zwischen biographischem Verstehen und kausalem Erklären ideengeschichtlich aufgegriffen hatte.[13] Zur Exemplifizierung der Problematik folgte die kurze Kasuistik einer Erkrankung und Krise des jungen Goethe, an der Rüger verdeutlichte, dass es spekulativ sei, entscheiden zu wollen, ob das ungeliebte, vom Vater geforderte Studium der Jurisprudenz Goethe krank gemacht habe, oder ob die Erkrankung und Krise erst die Chance zur Neuorientierung bot. Nach einem Sören Kierkegaard zugeschriebenen Diktum werde das Leben nämlich vorwärts gelebt und rückwärts verstanden. Erst nachträglich würden wir den Entwicklungen einen Sinn geben und nach biographischen Gesetzmäßigkeiten suchen. Viktor von Weizsäcker habe die Biographische Methode als einen Zugang zur subjektiven Seite in die Medizin eingeführt: „Wenn man aber dann die Einbettung organischer Erkrankungen in die äußere und innere Lebensgeschichte erkundet, so ist man erstaunt, wie oft die Krankheit auf dem Gipfel einer dramatischen Zuspitzung auftritt, wie oft sie eine Katastrophe aufhält oder besiegelt, wie regelmäßig sie dem biographischen Verlauf eine neue Wendung gibt.“[14] In den 1960er-Jahren konnte durch das von Annemarie Dührssen entwickelte Konzept der biographischen Anamnese das Verständnis für die Lebensschicksale von Patienten weiter gefördert werden.[15] Allerdings, so Rüger, sei bei einer von ihm durchgeführten Untersuchung von Psychotherapieanträgen aufgefallen, dass die Biographien schlechter und knapper würden, wenn der Patient aus einer anderen Bildungsschicht komme als der Untersucher.

Unter Berücksichtigung des nomothetischen Pols im Ablauf biographischer Entwicklungen lassen sich zwar nach zahlreichen empirischen Studien statistische Zusammenhänge zwischen Risikofaktoren einerseits und protektiven Faktoren andererseits und dem späteren Auftreten von psychischen und körperlichen Erkrankungen aufstellen, doch werde man dem einzelnen Menschen nur gerecht, wenn man sich in seine Lebensgeschichte vertieft, ohne diese gleich in eine Abfolge von „life-events“ auflösen zu wollen. Es folgte die Kasuistik einer 79-jährigen Patientin mit Karzinomerkrankung und depressiver Episode, an der verdeutlicht werden konnte, dass einfache Kausalitäten zwischen Karzinomerkrankung, dem Tod des Ehemanns und der depressiven Krise im konkreten Einzelfall wenig hilfreich seien. Stattdessen verlor die Patientin infolge der Lebensveränderungen ihr Kohärenzgefühl, wodurch sie in ihrem Selbstverständnis erschüttert und schwer beschämt wurde. Das Bild der Patientin von sich und ihrem bisherigen Leben konnte in der Krise nicht aufrechterhalten werden und musste erst wieder mühevoll rekonstruiert werden. Es folgte ein literarisches Beispiel von Christa Wolf, die in der 2002 publizierten Erzählung „Leibhaftig“ den Umbau einer Biographie schildert, die durch eine lebensbedrohliche Erkrankung und existenzielle Krise der Hauptperson ausgelöst wurde.[16] Insbesondere Künstler seien häufig in der Lage, derartige Wandlungen und Prozesse überzeugend in Worte zu fassen. Ein prägnantes Beispiel gibt hierfür Gabriel García Marquez: „Nicht, was wir gelebt haben, ist das Leben, sondern das, was wir erinnern, um davon zu erzählen.“

Auf glückliche Weise schloss sich diesen Ausführungen der Gerontologe Andreas Kruse (Heidelberg) an, der „Zur Dynamik von Partnerschaften in Grenzsituationen des Alters – eine biographische Analyse“ sprach. Der eloquente Redner unterhielt in seinem komplexen und ganz in freier Rede gehaltenen Vortrag das Auditorium, in dem er diesen wie ein Musikstück aufteilte, mit „Präludium“ und einer „Fuge mit 4 Stimmen“, garniert mit zur jeweiligen Thematik passenden Gedichten. In Bezug auf seinen Lehrer Hans Thomae und dessen Persönlichkeitstheorie betonte Kruse eingangs die Wichtigkeit der biographischen Methode, die hohe Relevanz von Längsschnittstudien sowie überhaupt die Bedeutung der Geschichtlichkeit des Menschen.[17] In seinem „Präludium“ beschrieb Kruse zunächst einige Beispiele aus der gerontologischen Ambulanz, so z. B. von einer sehr differenziert berichten könnenden 87-jährigen Dame mit Makuladegeneration (einer zur Erblindung führenden Augenerkrankung) und einer Polyarthritis (einer schmerzhaften Entzündung zahlreicher Gelenke). Es konnte mit ihr gut herausgearbeitet werden, wie enorm viel Kraft sie die destruktive Situation ihrer Ehe kostete, die eher ein gleichgültiges Nebeneinander-her-leben gewesen sei. In einem weiteren Beispiel ging es um einen Ehemann, der zunächst seine Frau und dann sich töten wollte, da seine Frau an einer Demenz erkrankt war. Eine Wendung dieses dramatischen Plans ergab sich, als Erinnerungen an ein besonders gelungenes Leben auftauchten und erzählt werden konnten. Häufig werde auch das Phänomen des Nachsterbens bei alten Paaren in der Ambulanz thematisiert, entweder als geäußerte Befürchtung oder gar Gewissheit, oder auch indem es tatsächlich geschieht, dass nach dem Tod des einen Ehepartners der andere ebenfalls bald stirbt. Es gehe, so Kruse Paul Ludwig Landsberg zitierend, ein Riss durch die Person, wenn ein naher Mensch stirbt.[18] Mit großer Eindrücklichkeit folgte das Gedicht „Zu Lehen“ von Werner Bergengruen:

Ich bin nicht mein, du bist nicht dein.

Keiner kann sein eigen sein.

Ich bin nicht dein, du bist nicht mein.

Keiner kann des andern sein.

Hast du mich zu Lehn genommen,

hab zu Lehn dich überkommen.

Also mags geschehen:

Hilf mir, liebstes Lehen,

dass ich alle meine Tage

treulich dich zu Lehen trage

und dich einstmals von der letzten Schwelle

unversehrt dem Lehnsherrn wiederstelle . [19]

In der Partnerschaft gehe es also darum, den anderen zu begleiten und ihn geistig-seelisch unverletzt zu lassen. Das „Präludium“ abschließend, erwähnte Kruse die „Charconne“ von Johann Sebastian Bach: für ihn das eindrucksvollste Stück, das er kenne und – passend zum Vortragsthema – in seiner Entstehensgeschichte sehr interessant sei. Bach habe es nämlich komponiert, nachdem seine von ihm sehr geliebte erste Frau verstorben und die vier gemeinsamen Kinder in der Verwandtschaft verteilt worden seien. Er habe dann erst nach fast zwei Jahren wieder geheiratet, was für die damalige Zeit sehr spät und unüblich gewesen sei.

In der „Fuge mit 4 Stimmen“ kamen vier Themen zur Sprache, die gewissermaßen Marker für die Qualität einer Partnerschaft sind. Zum einen sei das der Respekt vor der Selbstverantwortung und Selbstsorge bei sich selbst und dem anderen. Des Weiteren sei das Thema der Selbstaktualisierung von Bedeutung, womit eine dem Menschen innewohnende Tendenz bezeichnet ist, alle Qualitäten der Persönlichkeit (kognitiv, emotional, empfindungsbezogen, sozial-kommunikativ und alltagspraktisch) zu verwirklichen. Gerade in der sogenannten Lebensmitte gebe es viele Möglichkeiten zur Selbstaktualisierung. In der Partnerschaft zeige sich diese Thematik in der Frage: Hat der andere mein Potenzial erkannt? An diesem Punkt, so Kruse, scheiterten viele Ehen und Partnerschaften. Das dritte Thema sei die Persönlichkeitsentwicklung, zumal in der zweiten Lebenshälfte noch viel Entwicklungspotenzial vorhanden ist. Nach C. G. Jung gehe es hier insbesondere um die Integration des „Schattens“ sowie des „kollektiven Unbewussten“ in das Selbst, wofür es einer hohen Aufmerksamkeit für sich und die Entwicklung des anderen bedarf. Im vierten Themenbereich kam der Umgang mit Grenzsituationen zur Sprache, die im Alter bei zumeist höherer Verletzlichkeit und verminderten Ressourcen zu bewältigen seien. Kruse zitierte Jaspers mit dem Hinweis, dass man Grenzsituationen nicht kognitiv bewältigen, sondern nur existenziell ergreifen könne. Vor allem die Demenzerkrankung des Partners stellten Partnerschaften vor eine besondere Herausforderung. Der Aufwand der Pflege steige kontinuierlich, ihre Bewältigung, auch unter Einbeziehung professioneller Hilfe, könne, so Kruse, als Ausdruck der Güte der Partnerschaft angesehen werden. Zumal gerade mit Blick auf Viktor von Weizsäcker an die „Teilhabe des Todes am Leben“ erinnert werden müsse. Denn der „Tod ist nicht der Gegensatz zum Leben“, vielmehr verhielten sich Geburt und Tod „wie Rückseite und Vorderseite des Lebens.“[20]

Am Nachmittag fanden zeitgleich fünf Symposien statt, die sich speziellen Fragestellungen widmeten. In Symposium I „Bewegende Medizin“ unter Leitung von Wolfram Schüffel (Marburg) gab es Beiträge von Bruno Hildenbrand (Jena) „Ereignis, Krise und Struktur“, Peter Achilles (Saarbücken) „Anthropologische und psychosomatische Medizin aus Sicht der Biographik Viktor von Weizsäckers“ sowie Wolfram Schüffel „Sich bewegen und Atmen: Räume erleben“. Das Symposium II „Biographiearbeit“ wurde moderiert von Angelika Pillen (Berlin). Beiträge leisteten Christian Kupke (Berlin) „Zeitigendes Existieren und erinnerndes Erzählen. Für ein erweitertes Verständnis des Biographischen“, Peter Theis-Abendroth (Berlin) „Anmerkungen zu Aby Warburg“ und Barbara von Bechtolsheim (Berlin) „Gedichte haben mir das Leben gerettet. Von der Heilkraft der literarischen Sprache.“ Symposium III hatte „Placebo-Nocebo“ zum Thema und wurde von Dieter Janz (Berlin) moderiert. Beiträge leisteten Hans-Christian Deter (Berlin) „Wirksamkeit in der Arzt-Patient-Beziehung“ und Fritz von Weizsäcker (Berlin) „Placebo – Nocebo aus internistischer Sicht“. Benyamin Maoz (Beer Sheva) leitete das Symposium IV „Fälle und Probleme“. Er leistete selber den Beitrag „Sprache und Erzählung in der Arzt-Patient Begegnung.“ Weitere Beiträge gab es von Hans-Martin Rothe (Görlitz) „Wenn die Sinne verrückt spielen: Ein Fallbericht über eine Patientin mit Schwindel“ und André Kwalek (Berlin) „Biographische Krisen und therapeutische Auswege: Ein Fallbericht“. Symposium V „Narrative Medizin“ schließlich fand unter der Leitung von Norbert Mönter (Berlin) statt mit Beiträgen von Michael Kohlbeck (Nittendorf) „Erste Sätze: biographische Spuren und diagnostische Marker. Vorstellung eines Projektes aus der hausärztlichen Gesprächsforschung“ und Martin Reker (Bielefeld) „ An-Fälle und Rück-Fälle als verstehender Ausgangspunkt einer entwicklungsorientierten Behandlung.“

Den zweiten Tagungsvormittag eröffnete der Psychiater Daniel Hell (Zürich) mit seinem Vortrag „Ereignis und Erlebnis – Vom Perspektivenwechsel in der Psychotherapie.“ Nachdrücklich erinnerte er daran, wie wichtig und folgenreich Beschämungsereignisse und Schamerlebnisse im Rahmen von Psychotherapien sind, eine Thematik, die lange unterschätzt worden sei.[21] Jede Biografie ist schamgeprägt und gerade in einer modernen Gesellschaft, in der Selbstverwirklichung und Individualisierung zentrale Themen seien, werde das Schamerleben immer deutlicher. Zu Beginn seines Vortrags zeigte sich Hell überrascht davon, dass sich auch Weizsäcker mit Scham beschäftigte. Er habe Scham als Vitalbindung, als sozial vermitteltes Selbstgefühl verstanden, das vor jeder Seelenerforschung eine Barrikade bilde.[22] Diese bestehe auf beiden Seiten, der des Explorierten und der des Explorierenden und sei ein bipersonales Geschehen. Auf diesen zentralen Gedanken hob Hell im Folgenden ab, als er ausführte, dass in einer Therapie das gemeinsame Erleben des Ausgesetzt-Seins notwendig sei, um Schamerleben zu bewältigen. Nur die nachträgliche bewusste Annahme von Schamerleben, beim Therapeuten wie beim Patienten, erleichtere den Umgang mit Scham bei anderen Menschen und verringere die Gefahr, den anderen durch entblößende Objektivierung zu beschämen. Hell beschrieb Scham als sozial vermitteltes Selbstgefühl und benannte sie als Türhüter des Selbst. Scham gehe mit Selbstentwertung einher, mit einem Gefühl des Nacktseins und Bloßgestelltwerdens. Sie zeige eine Gefährdung des Selbst an, seine Infragestellung und Erschütterung. Gleichwohl führe die Scham zur Selbstbeurteilung und sei daher ein Selbstverhältnis, auch wenn die Entwertung ursprünglich von außen durch andere Menschen erfolgte. Daher zeige, so Hell, Schamempfinden auch einen Entwicklungsschritt an, sie wird zur Vorraussetzung, um selbstverantwortlich und personal zu handeln. Die Scham mache dem Menschen deutlich, dass er in seinem Selbst verletzlich und abhängig ist. Ja, durch Beschämungen könne sogar das Selbstgefühl vorübergehend ausgelöscht werden, die Kohärenz werde zerrissen. Solche Beschämung verkehrt das verletzliche Gefühl der Scham, das von der Entwicklung des eigenen Selbst zeugt, zum destruktiven Eindruck, selber schändlich zu sein. Das primäre Schamerleben wird abgewehrt und es kann zu fortgesetzten Selbstbeschämungen kommen. Das Selbst mache sich dann selber zum Objekt und errichtet einen Wall aus objektivierenden Selbstbeschämungen, die sowohl die Kohärenzentwicklung des Selbst wie auch Individuation vermeiden. Ziel der Therapie sei es, einen akzeptierenden Umgang mit seinem Schamerleben zu entwickeln. Dies setze aber beim Therapeuten eine eigene Schamstärke voraus, also einen reflektierten und akzeptierenden Umgang mit eigenem Schamerleben. Scham könne leichter akzeptiert werden, wenn Aussicht besteht, von einem glaubwürdigen Anderen verstanden und angenommen zu werden. Hell wies darauf hin, dass man in der Psychotherapie vielen Menschen begegne, die alles täten, um ihr Selbstbild aufrechtzuerhalten. Da das Schamempfinden eine Grenze zieht zwischen äußeren Erwartungen und dem Innenraum der Selbstvorstellungen, ist bei Infragestellung einer einmal entwickelten Selbstvorstellung auch das Selbstgefühl in Gefahr. Auf diese Gefahr macht das Schamempfinden aufmerksam. Hierbei sei das Ausmaß von Selbststilisierungen eines Patienten ein guter Indikator dafür, wie sehr jemand Wandlungen, Umbrüche, Schamerleben und erneute Beschämungen fürchte. In der Diskussion ergänzten einige Beiträge, dass Scham nicht nur ein bipersonales Geschehen sei, sondern auch mit der notwendigen Integration in Gruppen zu tun habe. Hell begrüßte diese Ergänzungen und stellte darüber hinaus noch die These auf, dass wir uns in zunehmendem Maße zu einer destruktiven Beschämungskultur entwickelten.

Zu Beginn seiner Ausführungen über „Trauma, Biographie und Persönlichkeit“ warf der Psychiater Hans Stoffels (Berlin) eine Frage auf, die er sich bei der Vorbereitung zu dem Vortrag gestellt habe, ob nämlich die von ihm in Berlin geleitete Park-Klinik Sophie Charlotte in der Tradition Weizsäckers stehe, wie dies Richard von Weizsäcker in seinem Grußwort zur Eröffnung der Klinik im September 2009 erwähnt habe.[23] In Weizsäckers Schriften zur Sozialen Medizin aus den 30er-Jahren könne man eine kritische Haltung gegenüber einer Psychiatrie finden, die sich in einer „wohlwollenden Distanzierung“ dem Patienten gegenübersehe.[24] Diese Haltung sei falsch und müsse durch eine von Martin Buber sogenannte „umfassende Haltung“ ersetzt werden, in der der Arzt sich von der Dynamik der Neurose, ihren Affekten, ihren inneren Kämpfen berühren lässt und mit dem Patienten eine Arbeitsgemeinschaft bildet, gleichermaßen aber (daher „umfassende Haltung“) seine Autorität als Kenner der Krankheit beibehält und anwendet.[25] Weizsäcker errichtete in Heidelberg aus dieser Haltung eine Behandlungseinheit innerhalb der Universität, die sich der Erforschung posttraumatischer Zustände widmete. Er entwickelte eine Form stationärer Gruppenpsychotherapie, die er „Situationstherapie“ nannte.[26] Aus einer Individualtherapie werde eine kollektive Therapieform. Das Kräftespiel der realen Situation des Kranken sollte von Anfang an therapeutisch nutzbar gemacht werden. Stoffels erwähnte, dass auch heute noch Prinzipien der Situationstherapie in einzel- und gruppentherapeutischen Verfahren angewendet würden. Im zweiten Teil seines Vortrags skizzierte Stoffels zunächst historische Traumakonzepte. Der Neurologe Hermann Oppenheim entwickelte in den 1880er-Jahren das Krankheitsbild der traumatischen Neurose, mit dem er postulierte, dass massive seelische Erschütterungen auch ohne organische Läsionen bei Menschen zu psychophysiologischen Belastungsreaktionen führen können.[27] Die Anerkennung als eigenständige Erkrankung mit implizierter Kausalität zwischen einem Trauma und daraus resultierender Symptomatik, die dann auch Entschädigungen und Rentenzahlungen nach sich ziehen sollte, konnte sich zunächst nicht durchsetzen. In der deutschen Psychiatrie kam es vielmehr nach dem 1. Weltkrieg dazu, die sogenannten Kriegsneurosen mit simulativen Tendenzen gleichzusetzen, und ihre Anerkennung als Erkrankung abzulehnen. Erst in den 60er-Jahren beschäftigte sich die deutschsprachige Psychiatrie in groß angelegten Begutachtungen mit den Folgeerscheinungen nach Extrembelastungen wie Verfolgung und KZ-Haft. 1980 wurde dann die Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) als eigenständiges Krankheitsbild in die DSM-III aufgenommen – allerdings erst nach heftigen Auseinandersetzungen um gehäuft aufgetretene Beschwerden vieler Vietnam-Veteranen, die unter massiven Störungen litten, zuvor aber undiagnostiziert geblieben waren. An diesem Punkt setzte die Kritik von Stoffels an, denn mit der Anerkennung der PTSD werde die postulierte Ätiologie Teil der Diagnose selber und folge damit einem klassischen Ursache-Wirkungs-Denken. Seither sei es zu einem inflationären Anstieg des Interesses an traumaassoziierten Störungen gekommen mit der Tendenz, alles an vorhandener Symptomatik ursächlich auf Traumata zurückzuführen. Das werde bisweilen so weit getrieben, dass bereits der unerwünschte Lärm eines Nachbarn als traumatisierend beschrieben wird. Anhand eines klinischen Beispiels setzte Stoffels dann dem in der PTSD-Diagnose zum Ausdruck kommenden deterministischen Prinzip (Trauma macht Symptomatik) ein dialogisches Prinzip entgegen. Die Entwicklung einer Symptomatik wird hier als Antwort auf ein traumatisches Ereignis gesehen, dies aber vor dem Hintergrund einer bestimmten Lebens- und Konfliktlage, bei der die Persönlichkeit, die Biographie und die aktuellen psychosozialen Umstände eine Rolle spielen. Insofern das Ereignis eines seelischen Traumas erst auf dem Wege biographischer Wandlungen und im Horizont einer je bestimmten Lebenssituation zum Erlebnis des Betroffenen wird, muss die Aufmerksamkeit des Arztes vor allem dem geschichtlich gewordenen Verhältnis von Ereignis und Erlebnis gelten.[28]

Den nachfolgenden Vortrag hielt die Philosophin und Pflegewissenschaftlerin Angelika Pillen (Berlin) zum Thema „Wider das Vergessen, Biographiearbeit und dementielle Erkrankung.“ Als Einstieg wählte sie das Beispiel von Walter Jens, der sich vor seiner Demenzerkrankung vehement für aktive Sterbehilfe eingesetzt habe. Damit sei er ein typischer Vertreter des Autonomieprinzips gewesen – allerdings habe diese Überzeugung seiner eigenen Lebenssituation nicht standgehalten.[29] Die Erkrankung an einer Demenz und der damit assoziierte Verlust an Identität und Autonomie werde heute zur größtmöglichen Bedrohung der modernen Lebensform. Wie schon Michel Faucault in „Wahnsinn und Gesellschaft“ ausgeführt habe, grenze die moderne Welt all jenes aus, was ihren Werten nicht entspreche.[30] So verkörpere der Demenzkranke gewissermaßen „das Andere“ zum Prinzip der Autonomie. Durch ihn komme die Fragilität narzisstischer Selbstideale zum Vorschein. Insofern also die Beherrschung des Zivilisationscodes, also die ausreichende Regulation der Affekte, Impulskontrolle, hinreichende Selbststeuerung und Verfügbarkeit der Kulturtechniken zum Kennzeichen der modernen Zivilisation werde, gerate das Krankheitsbild der Demenz in eine grundsätzliche Opposition zum Leitbild gelingenden Lebens. Hierbei werde indes übersehen, dass gerade der rationalen Unkontrollierbarkeit der Emotionen wegen, die emotionale Sphäre bis in weit fortgeschrittene Stadien hinein für den Demenzkranken ein Residuum persönlicher Authentizität bleibe. Sein Verhalten zeuge – anders als beim „Gesunden“ – in unverstellter Weise von seinen Gefühlen. Angesichts der modernen Medizin, deren normative Orientierung weitgehend durch ein Defizitmodell der Krankheit bestimmt sei, komme der Pflegepraxis durch ihre Nähe zur emotionalen Welt des Kranken die Chance zu, einen Wandel der modernen Vorurteile zu Gesundheit und Krankheit anzustoßen.[31]

Es sei daran zu erinnern, so Angelika Pillen, dass Personsein nicht Autonom-Sein heiße, sondern im Sinne Martin Bubers ein Angesprochen-Sein bedeute, das sich erst in der Abhängigkeit vom Anderen zu konstituieren vermag. Das Menschsein erschließe sich weniger vom Selbst als vom Anderen her, es komme eigentlich erst in der Beziehung zu sich selbst.[32] So bräuchten Demenzkranke vor allem Trost und primäre Bindung an die Bezugspersonen und nicht die häufig vorzufindenden malignen Interaktionsweisen, die der personalen Würde des Kranken abträglich sind. Nach dem englischen Sozialpsychologen und Psychogerontologen Tom Kitwood benötige der Demenzkranke aber in erster Linie Liebe.[33] In Institutionen seien Emotionen jedoch Störfaktoren, da die Logik von Institutionen auf Funktionalität baue. Für Emotionen sei traditionell das Private zuständig. Doch bei Demenzkranken gehe es vor allem um die Etablierung von äußeren Kontinuitätserfahrungen durch eine familienähnliche Umgebung in kleinen Einheiten mit vertrauten Möbeln, vertrautem Essen, also um eine Herstellung von Vertrautheit unter Kenntnis der persönlichen Lebensgeschichte. Das erfordere konkrete Biographiearbeit im Sinne einer je individuellen Erinnerungsarbeit unter Zuhilfenahme der Angehörigen. Vertrautheit sei die zentrale Kategorie für den Umgang mit Demenzkranken. In der Diskussion kam die Frage auf, wie es sich mit der seelischen Kraft zur Pflege des Demenzkranken verhalte, wenn dieser sich in seiner früheren Lebenszeit dem Pflegenden gegenüber schuldig gemacht habe. Braucht es dann Versöhnung und Demut als Tugenden gelingender Pflege? Eine andere Frage galt der eigentümlichen Paradoxie, dass uns erst im Demenzkranken der affektive Mangel als die andere Seite unserer kognitiven Leistungsfähigkeit deutlich werde.

Den abschließenden Vortrag der Tagung hielt der Psychiater Thomas Reuster (Görlitz) „Über die Naturalisierung biographischer Ereignisse.“ Nach der einleitenden Bemerkung, dass er als Psychiater spreche und nicht als Materialist und „Geistzertrümmerer“, bezog sich Reuster zunächst auf die neuere Naturalismus-Debatte, die sich vor allem an weitreichenden Thesen prominenter Hirnforscher zu Fragen der Willensfreiheit und der strafrechtlichen Verantwortlichkeit entzündet hatte.[34] Der naturalistische Ansatz verschärft sich hier zu der Aussage, daß nicht die Person oder das Ich eine Entscheidung treffe, sondern deren Gehirn. Ganz grundsätzlich werde mit „Naturalismus“ (gelegentlich auch Materialismus genannt) die Auffassung vertreten, dass alles Seiende auf eine kausalbestimmte Natur zurückgeführt werden könne; letztlich also auf Kräfte und Entitäten, die dann zu Gegenständen der Naturwissenschaften werden. Gleichwohl bleibe die Schwierigkeit, schlüssig zu erklären, wie physiologische Ereignisse ein subjektives Erlebnis machten. In dem sogenannten Problem der Qualia bestehe weiterhin ein „explanatory gap.“ Unter „Qualia“ wird der subjektive Erlebnisgehalt mentaler Zustände verstanden. Doch gerade ein solches subjektives Element scheint sich jeder intersubjektiven, wissenschaftlichen Begriffsbestimmung zu widersetzen. Hierzu existiert eine breite Diskussion zu den Formen des Zusammenhangs bzw. der Differenz von mentalen oder geistigen Phänomenen einerseits und den neuronalen Prozessen andererseits.[35] Besonders im Lichte ärztlicher Erfahrungen werde indes deutlich, dass einfache Erklärungen dem konkreten Schicksal betroffener Menschen nicht gerecht werden. Statt polemischer Abwehr gelte es auch den therapeutischen Nutzen der neueren, naturalistisch orientierten Forschung zu würdigen. Anhand zahlreicher klinischer Beispiele konnte Reuster zeigen, in welch starkem Maße die biologischen und physiologischen Gegebenheiten (Evolution, Genetik, Epigenetik, Konstitution) auch die individuell-geistigen Ausprägungen menschlicher Existenz bestimmen. So gebe es Untersuchungen, die beschrieben, dass ein durchgeführter Suizid zuletzt als ein unabweisbarer Akt erlebt werde, der nicht mehr kontrollierbar sei. Der Suizidversuch werde dann wie fremdgesteuert in den frühen Morgenstunden durchgeführt, wenn sich die Konzentration einiger Neurotransmitter auf besonders niedrigem Niveau bewegt.

Andererseits kann man bereits bei Viktor von Weizsäcker lernen, dass eine Absage an den zumeist überzogenen Erklärungsanspruch naturalistischer Konzepte keineswegs zur Position eines ontologischen Dualismus führen muss: „Wenn ich so jetzt die Medizin meines Lebensabschnittes, von 1906 bis 1946, überblicke, so ist das, was mir den größten Eindruck macht, die Übermacht der körperlichen Situation des Menschen. Es ist die Abhängigkeit des Geistes vom Leibe, der Seele vom Triebe; aber auch die Klugheit dieser Leiblichkeit, die List, mit der die Krankheiten Entscheidungen herbeiführen, die dem Menschen notwendig sind; die Weisheit, die in der Materie waltet, die Hilfe, die die Natur dem Geiste bringt; die Strenge, mit der sie unsere Seele richtet; die Wahrheit, welche unsere Krankheit bringt. Dieser Blick auf den Menschen ist’s, welcher die Trennung von Natur und Geist in der Medizin vereitelt.“[36]

Kerstin Stenkamp, Berlin

1 Erwin Straus, Geschehnis und Erlebnis – zugleich eine historiologische Deutung des psychischen Traumas und der Renten-Neurose. Julius Springer, Berlin 1930 (Reprintausgabe 1978), S. 84, 118, 129.

2 Vgl. ebd., S. 25 ff. Mit seiner hier zitierten frühen Schrift gehört Erwin Straus gemeinsam mit Ludwig Binswanger zur geistigen Konstellation um Viktor von Weizsäcker. Erwin Straus sei es darum gegangen, wie Walter Bräutigam im Vorwort zur Reprintausgabe vom „Geschehnis und Erlebnis“ ausführt, eine „Wissenschaft der lebensgeschichtlichen Erfahrung der Subjektivität als theoretische Grundlage der Psychoanalyse zu nehmen.“ Sein Vorschlag „einer historiologischen Grundlegung der subjektzentrierten Erfahrung von Sinnentnahmen vor dem Hintergrund einer allgemeinen Theorie mitweltlicher Erfahrung, wartet noch darauf aufgenommen zu werden.“ (ebd., S. 7 f. des Vorworts).

3 Der Nachruf der Viktor von Weizsäcker Gesellschaft findet sich in den „Mitteilungen“ Nr. 24 (2009), Fortschr Neurol Psychiat 2009; 77: 614.

4 Christa Wolf, Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud. Suhrkamp, Berlin 2010.

5 Viktor von Weizsäcker, Grundfragen Medizinischer Anthropologie (1948). Ges. Schriften, Bd. 5, S. 255 – 282, hier S. 280.

6 Vgl. Dieter Wyss, Beziehung und Gestalt. Entwurf einer anthropologischen Psychologie und Psychopathologie. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1973. Weiterführend hierzu Herbert Csef (Hrsg), Sinnverlust und Sinnfindung in Gesundheit und Krankheit. Gedenkschrift zu Ehren von Dieter Wyss. Königshausen & Neumann, Würzburg 1998.

7 Vgl. Walter Pieringer, Konzepte einer anthropologischen Krankheitsordnung, in: Lang, H., Weiß, H. (Hrsg), Interdisziplinäre Anthropologie, S. 107-120. Königshausen & Neumann, Würzburg 1992.

8 Viktor von Weizsäcker, Ärztliche Fragen. Vorlesungen über Allgemeine Therapie (1934). Ges. Schriften, Bd. 5, S. 339 f; ausführlich dann in: ders., Pathosophie (1956). Ges. Schriften, Bd. 10, S. 117 – 134.

9 Ebd., S 339.

10 Ebd., S. 340.

11 Vgl. Ulrich Rüger, Krankengeschichte und Lebensgeschichte. Die biographische Dimension im Menschenbild der Medizin. Universitätsverlag Göttingen 2009.

12 Sigmund Freud, Studien zur Hysterie (1895). Ges. Werke, Bd. 1, S. 75 – 312. S. Fischer, Frankfurt/M. 1999, hier S. 227.

13 Vgl. Wilhelm Windelband, Geschichte und Naturwissenschaft (1894), in: Stiftungsfest der Kaiser-Wilhelms-Universität Strassburg 1890 – 1902, S. 17 – 41. Eine gekürzte Fassung der Rektoratsrede Windelbands findet sich jetzt in: Ollig, H.-L. (Hrsg), Neukantianismus, S. 164 – 173. Reclam, Stuttgart 1982. Zu Jaspers vgl. Matthias Bormuth, Lebensführung in der Moderne. Karl Jaspers und die Psychoanalyse. Fromann-Holzboog, Stuttgart 2002, S. 38 ff.

14 Viktor von Weizsäcker, Meines Lebens hauptsächliches Bemühen (1955), Ges Schriften, Bd. 7, S. 372 – 392, hier S. 380.

15 Vgl. Annemarie Dührssen, Die biographische Anamnese unter tiefenpsychologischem Aspekt. Vanderhoeck & Ruprecht, Göttingen 1981.

16 Christa Wolf, Leibhaftig. Luchterhand, München 2002.

17 Vgl. Hans Thomae, Das Individuum und seine Welt (1968). Hogrefe, Göttingen 1987 (2. völlig neubearb. Aufl.).

18 Vgl. Paul Ludwig Landsberg, Die Erfahrung des Todes (1935). Suhrkamp, Frankfurt/M. 1973, S. 43 ff. Jetzt auch mit Einleitung und Nachwort von Eduard Zwierlein versehen bei Matthes & Seitz, Berlin 2009, hier S. 54 ff.

19 Werner Bergengruen, Meines Vaters Haus. Gesammelte Gedichte. Arche Verlag, Düsseldorf 2004.

20 Viktor von Weizsäcker, Der Gestaltkreis. Theorie der Einheit von Wahrnehmen und Bewegen (1940). Ges. Schriften, Bd. 4, S. 77 – 337, hier S. 83.

21 Vgl. Daniel Hell, Seelenhunger. Der fühlende Mensch und die Wissenschaft vom Leben. Hans Huber, Bern 2003, hier Kapitel 6: Ein therapeutisches Grundproblem. Die beschämte Scham.

22 Viktor von Weizsäcker, Seelenbehandlung und Seelenführung – nach ihren biologischen und metaphysischen Grundlagen betrachtet (1926), Ges. Schriften, Bd. 5, S. 67 – 141, hier S. 90 ff.

23 Richard von Weizsäcker, Grußworte des Bundespräsidenten a. D., in: „Mitteilungen“ Nr. 25 (2010), Fortschr Neurol Psychiat 2010; 78: 613 – 620, hier S. 614.

24 Viktor von Weizsäcker, Soziale Krankheit und soziale Gesundung (1930), Ges. Schriften, Bd. 8, S. 31 – 95, hier S. 50ff; vgl. auch Hans Stoffels (Hrsg), Soziale Krankheit und soziale Gesundung. Königshausen & Neumann, Würzburg 2008.

25 Martin Buber, Das Erzieherische, in: Die Kreatur 1(1926/1927), S. 31 – 51.

26 Vgl. Hans Stoffels, Situationskreis und Situationstherapie. Überlegungen zu einem integrativen Konzept von Psychotherapie, in: Jacobi, R.-M. E., Janz, D. (Hrsg), Zur Aktualität Viktor von Weizsäckers, S. 89 – 102. Königshausen & Neumann, Würzburg 2003.

27 Vgl. Hermann Oppenheim, Die traumatische Neurose. August Hirschwald, Berlin 1889.

28 Vgl. Erwin Straus, Geschehnis und Erlebnis, a. a. O., bes. S. 23 ff.

29 Den Anfang der Debatte um den „Fall Walter Jens“ machte dessen gemeinsam mit Hans Küng veröffentlichtes „Plädoyer für Selbstverantwortung“ (Walter Jens, Hans Küng, Menschenwürdig sterben. Piper, München 1994), das nun angesichts der Demenzerkrankung von Walter Jens eine gleichsam „anthropologische Revision“ erfährt. Vgl. hierzu den in der Neuausgabe dieses Bandes enthaltenen Essay von Inge Jens (München 2009) sowie den Bericht des Sohnes Tilman Jens, „Demenz“. Abschied von meinem Vater. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2009.

30 Vgl. Michael Foucault, Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft (1961). Suhrkamp, Frankfurt/M. 1973; jetzt auch zur „Normalisierungsmacht“ moderner Medizin ders., Die Anormalen. Vorlesungen am Collège de France (1974 – 1975). Suhrkamp, Frankfurt/M. 2003.

31 Hier zeigt sich eine überraschende Nähe zum Begriff der Normativität in der medizinischen Ethik, genauer zur Frage nach deren Ort und Herkunft. Rainer-M. E. Jacobi ist dieser Frage mit Rücksicht auf die Medizinische Anthropologie ausführlich nachgegangen. Vgl. ders., Gegenseitigkeit und Normativität. Eine problemgeschichtliche Skizze zu den Grundfragen medizinischer Ethik, in: Gahl, K., Achilles, P., Jacobi, R.-M. E. (Hrsg), Gegenseitigkeit. Grundfragen medizinischer Ethik, S. 461 – 492. Königshausen & Neumann, Würzburg 2008.

32 Mit der Frage nach dem Wert der Beziehung und des Anderen für eine Bestimmung der conditio humana kommt die geistige Konstellation von Medizinischer Anthropologie und jüdischem Denken in den Blick. Vgl. hierzu Ankündigung und Bericht zur 9. Jahrestagung der Viktor von Weizsäcker Gesellschaft „Neue Medizin und neues Denken. Medizinische Anthropologie im Kontext jüdischer Denktraditionen“ 2003 in Lutherstadt-Wittenberg, in: „Mitteilungen“ Nr. 14 (2003), Fortschr Neurol Psychiat 2003; 71: 563 – 567; „Mitteilungen“ Nr. 17 (2005), ebd., S. 550 – 553. Hierzu aber auch Alasdair MacIntyre, Die Anerkennung der Abhängigkeit. Über menschliche Tugenden (1999). Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2001; sowie mit Rücksicht auf die Medizinische Anthropologie Hans-Martin Rieger, Altern annehmen und gestalten. Ein Beitrag zu einer gerontologischen Ethik. Evang. Verlagsanstalt, Leipzig 2008.

33 Vgl. Tim Kitwood, Demenz. Der person-zentrierte Ansatz im Umgang mit verwirrten Menschen. Hans Huber, Bern 2008 (5. Aufl.).

34 Hierzu die informative Übersicht in der von Christian Geyer herausgegebenen Textsammlung „Hirnforschung und Willensfreiheit. Zur Deutung der neuesten Experimente.“ Suhrkamp, Frankfurt/M. 2004.

35 Vgl. Jürgen Habermas, Freiheit und Determinismus, in: Deutsche Zschr. für Philosophie 52 (2004), S. 871 – 890; Michael Hagner, Der Geist bei der Arbeit. Historische Untersuchungen zur Hirnforschung. Wallstein Verlag, Göttingen 2006; Michael Pauen, Was ist der Mensch? Die Entdeckung der Natur des Geistes. Deutsche Verlagsanstalt, München 2007.

36 Viktor von Weizsäcker, Die Medizin im Streite der Fakultäten (1947), Ges. Schriften, Bd. 7, 197 – 211, hier S. 202. Es muss verwundern, dass weder für neuere Ansätze zu einem nicht-dualistischen Verständnis der Natur des Menschen, noch für die bislang überzeugendste Kritik an den epistemologischen Selbstmißverständnissen bei der Deutung neurophysiologischer Experimente auf die hierfür grundlegenden Arbeiten Weizsäckers rekurriert wird. Vgl. Ludger Honnefelder, Erste und zweite Natur: Woran orientieren wir uns?, in: ders., Schmidt, M. C. (Hrsg), Naturalismus als Paradigma. Wie weit reicht die naturwissenschaftliche Erklärung des Menschen? Berlin University Press 2007, S. 34 – 48; Peter Janich, Kein neues Menschenbild. Zur Sprache der Hirnforschung. Suhrkamp, Frankfurt/M. 2009. Für vielfältige Anregungen und Ergänzungen danke ich Rainer-M. E. Jacobi.

37 Viktor von Weizsäcker, Fälle und Probleme. Anthropologische Vorlesungen in der Medizinischen Klinik (1947). Ges. Schriften, Bd. 9, S. 7 – 276, Einleitung (S. 15 – 20), Vorstellung XXVI „Das pathische Pentagramm“ (S. 170 – 175), Vorstellung XXVII „Trauer, Hader und Vorteil“ (S. 175 – 181), Vorstellung XXVIII „Schicksal und Natur“ (S. 181 – 189); ders., Klinische Vorstellungen (1947). Ges. Schriften, Bd. 9, S. 277 – 308, Einleitung (S. 279 – 282). Ziffern in runden Klammern beziehen sich auf Seiten dieses Bandes der Ges. Schriften.

38 Eine systematische Darstellung der Medizinischen Anthropologie unternahm Weizsäcker erst mit dem Buch „Der kranke Mensch. Eine Einführung in die Medizinische Anthropologie.“ (1951). Ges. Schriften, Bd. 9, S. 311 – 641.

39 Indem Weizsäcker diese Vorlesungen als „Bruchstücke einer medizinischen Anthropologie“ (19) bezeichnet, knüpft er an die „Stücke einer medizinischen Anthropologie“ an, die 1926 bis 1928 in der Zeitschrift „Die Kreatur“ veröffentlicht wurden (vgl. Ges. Schriften, Bd. 5, S. 9 – 66).

40 Vgl. hierzu Sören Kierkegaard, Der Begriff Angst (1844). Kap. IV, § 2 Angst vor dem Guten (Das Dämonische). In der Übersetzung von Emanuel Hirsch. Eugen Diederichs, Düsseldorf 1952, S. 122 – 161; sowie Jean Paul Sartre, Das Sein und das Nichts (1943). Übersetzt von Hans Schöneberg und Traugott König. Rowohlt, Reinbek 1993, Vierter Teil, 1. Kapitel III: Freiheit und Verantwortlichkeit, S. 950 – 955.

41 Weizsäcker erläutert den Zusammenhang des pathischen Pentagramms und der pathischen Kategorien am ausführlichsten in der „Pathosophie“ (1956). Ges. Schriften, Bd. 10, S. 70 ff.

42 Vgl. Dieter Janz, Das pathische Pentagramm von Viktor von Weizsäcker als Grundlage eines Verständnisses der Arzt-Patient-Beziehung, in: Deter, H.-Chr. (Hrsg), Die Arzt-Patient-Beziehung in der modernen Medizin. Die Kunst der Beziehungsgestaltung in der ärztlichen Heilkunde. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010, S. 117 – 123.

43 Vgl. Viktor von Weizsäcker, Soziale Krankheit und soziale Gesundung (1930). Ges. Schriften, Bd. 8, dort das Kapitel „Situationstherapie“ (S. 46 – 52). In den hier besprochenen Vorstellungen erläutert Weizsäcker das pathische Verständnis des „von selbst“, indem er das Verhältnis von willkürlich und unwillkürlich in den Lebensvorgängen problematisiert (179) und gleichzeitig den Schlaf, am Beispiel einer Schlafstörung, als Handlung interpretiert (188).

44 Viktor von Weizsäcker, Pathosophie (1956). Ges. Schriften, Bd. 10, S. 86.

45 Viktor von Weizsäcker, Anonyma (1946). Ges. Schriften, Bd. 7, S. 41 – 89, hier S. 58.

46 Ebd., S. 43. Vgl. hierzu auch Weizsäckers Ausführungen zur Nuance „Klar und unklar“ und die (wohl fragmentarischen) Ansätze zu einer Methodenlehre in der Einleitung zum „Versuch einer Enzyklopädie“, hier bes. den Abschnitt „Traum, Meditation, Gedanke“ (Pathosophie, Ges. Schriften, Bd. 10, S. 184 – 189, 300 – 304).

47 Winfried Menninghaus, Hälfte des Lebens – Versuch über Hölderlins Poetik. Suhrkamp, Frankfurt/M. 2005.

48 Vgl. Viktor von Weizsäcker, Der Arzt und der Kranke (1926). Ges. Schriften, Bd. 5, S. 9 – 26; ders., Die Schmerzen (1926), ebd., S. 27 – 47.

49 Gottfried Benn, Medizinische Krise (1926), in: Gottfried Benn. Sämtliche Werke (Stuttgarter Ausgabe, hrsg. von Gerhard Schuster). Bd. III, S. 153 – 161. Klett-Cotta, Stuttgart 1987.

50 Heinz Schott, Ambivalente Quellen: Naturphilosophie, Mystik und Romantik. Vortrag anläßlich der 17. Jahrestagung der Viktor von Weizsäcker Gesellschaft vom 20.–22. Oktober 2011 in Bonn. Vgl. Robert Jütte, Dürfen als pathische Kategorie. Viktor von Weizsäckers Bemühungen um den kranken Menschen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2. Mai 2005, Nr. 101, S. 41; Wolfgang U. Eckart, Im Käfig der Passionen. Eine Neuausgabe der „Pathosophie“ Viktor von Weizsäckers, in: Süddeutsche Zeitung vom 8. August 2005, Nr. 181, S. 16; Michael Hagner, Medizinische Anthropologie mit und ohne System. Mit der „Pathosophie“ ist die Ausgabe der Schriften Viktor von Weizsäckers abgeschlossen, in: Neue Züricher Zeitung vom 10./11. Juni 2006, Nr. 132, S. 29.

51 Wolfgang U. Eckart, Im Käfig der Passionen, a. a. O. Auch ein sinnentstellend benutztes Zitat vermag von der Arbeit am Text zu entlasten (vgl. Robert Jüttes Verweis auf „eine Art des Denkens, die an sich nicht wirksam ist.“).

52 So gibt Michael Hagners ausführliche Besprechung vor allem einen von subtilen Insinuationen durchzogenen Überblick zu den geistesgeschichtlichen und politischen Implikationen des Weizsäckerschen Werkes, um schließlich eher am Rande auf den angeblich „überraschenden“ Abschied vom System hinzuweisen, den Weizsäcker mit seinem Versuch einer „Enzyklopädie“ in der Pathosophie unternehme.

53 Hartwig Wiedebach, Rezension zu Viktor von Weizsäcker: Pathosophie, in: Philos. Jahrbuch 2010; 117: S. 152 – 154.

54 Vgl. Weizsäckers drei Aufsätze in der von ihm selbst gemeinsam mit Martin Buber und Josef Wittig herausgegebenen Zeitschrift Die Kreatur: „Der Arzt und der Kranke“ (1926), „Die Schmerzen“ (1926), „Krankengeschichte“ (1928), jetzt in: Ges. Schriften, Bd. 5, S. 7 – 66.

55 Ziffern in runden Klammern beziehen sich auf die Seiten des besprochenen Bandes.

56 Alfred Prinz Auersperg, Poesie und Forschung. Beiträge aus der Allgemeinen Medizin, Bd. 18. Enke, Stuttgart 1965, S. 3.

57 Ernst Kretschmer, Körperbau und Charakter. Untersuchungen zum Konstitutionsproblem und zur Lehre von den Temperamenten. Springer Berlin 1921 (seitdem zahlreiche Auflagen). Vgl. auch die Rezension Viktor von Weizsäckers (1922), Ges. Schriften, Bd. 2, S. 399 – 404, in der – trotz der an vielen Stellen geäußerten Anerkennung der Leistung des Autors – dezidierte Kritik an der einseitigen Reduktion der Philosophie auf Biologie deutlich wird (hier S. 402).

58 Friedrich Schlegel, Athenäums-Fragment Nr. 53, Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, herausgegeben von Ernst Behler unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner, Erste Abteilung, Zweiter Band, Charakteristiken und Kritiken I (1796 – 1801), herausgegeben und eingeleitet von Hans Eichner, München/Paderborn/Wien/Zürich 1967, S. 173. Dieses Fragment ist – in leicht abweichender Orthografie und Interpunktion – dem einführenden Text von „Fälle und Probleme. Anthropologische Vorlesungen in der Medizinischen Klinik“ (1947) als Motto vorangestellt (Viktor von Weizsäcker, Ges. Schriften, Bd. 9, S. 11, vgl. auch S. 14).

59 Vgl. Rainer-M. E. Jacobi, Neues Denken und neue Medizin. Zum geistesgeschichtlichen Kontext der Medizinischen Anthropologie Viktor von Weizsäckers, in: Goodman-Thau, E. (Hrsg), Zeit und Welt. Denken zwischen Philosophie und Religion. Symposium zu Ehren Reiner Wiehls, S. 215 – 230. Winter Verlag, Heidelberg 2002.

60 Viktor von Weizsäcker, Natur und Geist. Erinnerungen eines Arztes (1954). Ges. Schriften, Bd. 1, S. 29. Es ist bemerkenswert, dass sich hiermit zugleich eine Rückkehr in die griechischen Wurzeln der Philosophie verbindet.

61 Wiedebach hat gezeigt, dass der Terminus „Dilettantismus“ sich keineswegs in seiner heute üblichen negativen Konnotation erschöpft.

62 Hierzu jüngst ausführlich Dieter Henrich, Werke im Werden. Über die Genese philosophischer Einsichten. C. H. Beck, München 2011, besonders S. 168 ff.

63 Viktor von Weizsäcker, Natur und Geist. Erinnerungen eines Arztes (1954). Ges. Schriften, Bd. 1, S. 81.

64 Viktor von Weizsäcker, Der Gestaltkreis. Theorie der Einheit von Wahrnehmen und Bewegen (1940), Ges. Schriften, Bd. 4, S. 77 – 337.

65 Ebenso einseitig wäre es, wenn der Philosoph heutzutage auf die begriffliche Vorarbeit der letzten zweieinhalb Jahrtausende verzichten würde.

66 Im vorliegenden Bericht werden nur einige Beiträge besprochen. Das vollständige Programm der Tagung, die demnächst im Wilhelm Fink Verlag München veröffentlicht werden soll, findet man unter: http://www.hermann-cohen-gesellschaft.org/pdf/Tgg_System_Programm.pdf.

Rainer-M. E. Jacobi

Medizinhistorisches Institut der Universität Bonn

Sigmund-Freud-Str. 25

53105 Bonn

Email: rme.jacobi@vvwg.de

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