Pneumologie 2012; 66(08): 480-482
DOI: 10.1055/s-0032-1309733
Historisches Kaleidoskop
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Stecknadelkopf mit Tuberkelpilzen“

“Pinhead with Tuberculosis Pathogens”
R. Kropp
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Publication History

Publication Date:
23 May 2012 (online)

Die Sammlungen für das Deutsche Tuberkulose-Archiv brachten nicht nur viele Bücher zusammen, die den Aufbau einer veritablen, umfangreichen Bibliothek erlaubten; vielmehr wurden auch zahlreiche Artikel anderweitiger Art zur Geschichte der Tuberkulose gespendet, darunter kuriose Erzeugnisse, ja Unikate, deren Bedeutung zum Teil völlig unbekannt war und erst herausgefunden werden musste. So erhielt das Archiv vor einigen Jahren ein Objekt in Form eines stark vergrößerten Stecknadelkopfes (auch als Streichholzkopf oder Pilzkopf bezeichnet).

Es handelt sich um einen „Stecknadelkopf mit Tuberkelpilzen in etwa tausendfacher Vergrößerung“. Er besteht kompakt aus Gips, ist entsprechend schwer und wirkt massig. Das Objekt hat eine Höhe von etwa 65 cm. Es ist silberfarben überstrichen ([Abb. 1]), die halbrunde Kuppel hat einen größten Durchmesser von etwa 70 cm. Die rissige Oberfläche ist übersät von zahlreichen rotfarbenen Stäbchen von 2 – 3 mm Länge ([Abb. 2]).

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Abb. 1 Der „Stecknadelkopf“ des Deutschen Tuberkulose-Archivs.
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Abb. 2 Oberfläche des „Stecknadelkopfs“ mit rotgefärbten Tuberkulosebakterien (Tuberkelpilzen).

Dieses Gebilde wurde vor Jahren auf einer Behring-Ausstellung in Marburg gezeigt. Die weitere Herkunft muss leider im Dunklen bleiben. Zwar ist nicht vergessen, wer diesen „Stecknadelkopf“ dankenswerterweise dem Deutschen Tuberkulose-Archiv gespendet hat; doch konnten die gründlichen Recherchen keine endgültige Auskunft über Bedeutung, Herkommen und Schicksal dieses Gegenstandes geben.

Bisher wurde lediglich ein einziges weiteres, etwas kleineres, gleichartiges Modell entdeckt ([Abb. 3]); es wird im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden (DHMD) bewahrt[1]. Sein Besitz kann im DHMD bis zum Jahre 1921 zurückverfolgt werden. In diesem Jahre und noch einmal 1927[2] wurde es in dortigen Tuberkulose-Ausstellungen gezeigt, „um die Größenverhältnisse der Tuberkuloseerreger anschaulich zu machen und auf die Ansteckungsgefahr hinzuweisen“. Der Objekttitel hieß: „Stecknadelkopf mit Tuberkelpilzen in 500facher Vergrößerung“. Für die Ausstellung 1921 war der erste Wissenschaftliche Direktor Dr. Friedrich Woithe verantwortlich. Fachliche Beratung kam von Professor Dr. Herbert Beschorner (leitender Arzt des freien Ausschusses zur Bekämpfung der Schwindsucht) und Professor Dr. Paul Geipel (anerkannter Pathologe) aus Dresden.

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Abb. 3 Der „Stecknadelkopf“ des DHMD.

Das Objekt war damals auf einem Sockel montiert ([Abb. 4]), dessen Originalbeschriftung lautete: „Um eine Vorstellung von der Kleinheit der Tuberkelpilze zu geben, ist der 1,5 mm dicke Kopf einer Stecknadel in 500-facher Vergrößerung nachgebildet worden. Die Oberfläche der Nachbildung zeigt zahlreiche Risse und Löcher. Obgleich die Vertiefungen in Wirklichkeit so gering sind, dass der Stecknadelkopf bei Betrachtung mit bloßem Auge völlig glatt erscheint, so ermöglichen sie doch, große Mengen von Tuberkelpilzen in sich aufzunehmen. Die Tuberkelpilze (der besseren Sichtbarkeit wegen rot gefärbt) sind bei dieser Vergrößerung 2 – 3 mm, in Wirklichkeit etwa 0,006 mm lang.“

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Abb. 4 Präsentation des „Stecknadelkopfs“ in der Ausstellung des DHMD 1927.

Auf einer Beschreibung des Objektes in den Unterlagen des DHMD, allerdings auf den 13. August 2003 datiert, wird die Herstellung (Firma, Werkstatt) dem Deutschen Hygiene-Museum/Lehrmittelproduktion/Gipsbildhauerwerkstatt zugeschrieben. Zeitlich muss die Idee zu dieser Veranschaulichung somit vor 1921 realisiert worden und nach der Entdeckung der Tuberkulosebakterien (hier noch „Tuberkelpilze“ genannt) durch Robert Koch [1], nach 1882, entstanden sein. Wer genau die Idee zu diesem Modell hatte und wann es von wem gebaut wurde, kann leider auch vom Museum in Dresden nicht mehr gesagt werden. Es wird sogar kolportiert, dass Robert Koch selbst den „Stecknadelkopf“ erfunden habe[3]; doch lässt sich dieses Gerücht (bisher) nicht bestätigen. Ob insbesondere Karl August Lindner, der Gründer des DHMD, der Ideengeber war, muss gleichfalls ungewiss bleiben; der „Stecknadelkopf“ passt allerdings gut zu dem von ihm entwickelten Programm des DHMD, der populärwissenschaftlichen Vermittlung von Kenntnissen rund um die Themen Mensch, Gesundheit, Krankheit mit anschaulichen, unterhaltsamen Objekten.

Die Darstellung der Tuberkulosebakterien auf einem Stecknadelkopf hat noch eine weitere, vergleichende Bedeutung, da die Tuberkel, eine der häufig vorkommenden morphologischen Erscheinungen der Tuberkulose, oft stecknadelkopf-, hirsekorngroß sind. Jedenfalls passt die Idee des „Stecknadelkopfes“ zu der Aufbruchstimmung um die Jahrhundertwende 1900, im Anschluss an die Kochsche Entdeckung. Die damaligen ausgedehnten Tuberkulose-Forschungen und bemerkenswerten Erfindungen betrafen nicht nur die Diagnostik und die Individualtherapie, wobei zur letztgenannten nur beschränkte Möglichkeiten vor allem hinsichtlich endgültiger Heilung der Krankheit entwickelt werden konnten. Größere Erfolge wurden durch konsequente Aufklärung über die Krankheit sowie über die Wege der Ansteckung und ihre Vermeidung gewonnen (als Beispiel [Abb. 5]). Hierdurch wurde die Häufigkeit der Infektion und der Erkrankung eindrucksvoll vermindert.

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Abb. 5 Ein Beispiel für die konsequente Aufklärung über die Tuberkulose.

Diese Aufklärung sollte nicht nur den Tuberkulosekranken und evtl. ihren Angehörigen zugutekommen. Vielmehr wurde eine Information der gesamten Bevölkerung hinsichtlich der Tuberkulose allgemein, der Tuberkulosebakterien, des klugen Verhaltens bei der Infektvermeidung u.v.m. angestrebt, vor allem durch eine eminente Quantität der wissenschaftlichen Publikationen und der populärwissenschaftlichen Schriften, ferner durch Vorträge, auch durch Ausstellungen („Tuberkulose-Museen“ [2]). In diesem Umkreise mag der Gedanke zum „Stecknadelkopf“ entstanden sein und er seine Bestimmung gefunden haben.