Zentralbl Chir 2012; 137(03): 205-206
DOI: 10.1055/s-0032-1320106
Rechtliches - Urteile und Hintergründe
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Urteil des OLG München – Sigma-Rektum-Karzinom: No-touch-Technik als Grundsatz in der Tumorchirurgie

A. Thiede
,
H. J. Zimmermann
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Publication Date:
20 June 2012 (online)

 

Bei dem No-touch-Grundsatz handelt es sich nicht um ein Gebot bzw. einen Grundsatz der Tumorchirurgie, weil der Nutzen der No-touch-Technik bisher nicht zweifelsfrei erwiesen ist. Daher kann die Wahl einer anderen Operationsmethode nicht von vornherein als Behandlungsfehler eingestuft werden.

Medizinischer Sachverhalt

Die Ehefrau des Klägers unterzog sich am 25.05.1998 bei einem Internisten aufgrund eines positiven Haemoccult-Testes einer Darmspiegelung. Die erste diagnostische Darmspiegelung ergab einen gut kirschgroßen Polypen, etwa 10 bis 12 cm vom Anus entfernt, dessen Entfernung empfohlen wurde.

Bei einer therapeutischen Koloskopie am 25.06.1998 wurde neben einem kleinen Polypen im Sigma, der abgetragen wurde und dessen Histologie sich als gutartig erwies, am Übergang vom Sigma zum Enddarm an einer unüberwindlichen Stelle ein ca. 3,5 cm großer breitbasiger und derber Polyp festgestellt. Dieser ließ sich mit elektrischen Schlingen nicht abtragen. Eine Biopsie erfolgte nicht; es wurde die operative Entfernung empfohlen. Am 28.06.1998 erfolgte ein Aufklärungsgespräch.

Am 29.06.1998 wurde die folgende Operation vorgenommen. Laparoskopisch konnte ein Tumor aufgrund von Verwachsungen nicht geortet werden, so dass eine offene Bauch-Operation erforderlich wurde. Nach Freipräparation des recto-sigmoidalen Übergangs ließ sich ein ca. hühnereigroßer derber Tumor tasten.

Die Operation erfolgte laut OP-Bericht in folgenden Schritten:

  • Mediane Laparotomie und Mobilisierung des Sigmas.

  • Unterbindung der Arteria mesenterica inferior.

  • Resektion von ca. 10 cm Kolon am recto-sigmoidalen Übergang (entspricht einer Manschettenresektion).

  • Schnellschnittuntersuchung mit positivem Befund eines Adeno-Carcinoms.

  • Weiteres Mobilisieren des Sigmas und Abbinden (Ligieren) der Arteria mesenterica inferior nach Abgang der Arteria colica sinistra.

  • Nachresektion des Sigmas mit dem dazugehörigen Meso- und Lymphabflussgebiet in einer Länge von ca. 12 cm.

  • Nachresektion des Rektums in einer Länge von 1,5 cm.

  • Wiederherstellung der Darmkontinuität.

Die histologische Aufarbeitung ergab folgendes Staging: pT3, N0 (11 Lymphknoten untersucht). Es ergaben sich keine Hinweise auf Fernmetastasen. Entlassung der Patientin am 15.07.1998. Im Entlassungsbrief wurde folgender Befund festgestellt: Adenokarzinom des Sigmas pT3, pN0, G2, R0. Hinweise auf Fernmetastasen in Leber und Lunge waren postoperativ nicht vorhanden. Es wurde von einem operativ-kurativ behandelten Sigma-Karzinom ausgegangen, eine spezielle Nachbehandlung – Chemotherapie – sei nicht erforderlich.

Der nachbetreuende Internist überprüfte im 3-Monatsabstand die CEA-Werte (Tumormarker). Sonografien der Leber erfolgten am 26.10.1998, 03.02.1999, 14.12.1999, 08.01.2001 und 10.05.2004. Bei rektoskopischen bzw. koloskopischen Kontrollen fanden sich keine auffälligen Befunde. Ein Lokalrezidiv bzw. Zweittumor des Dickdarms wurde so ausgeschlossen.

Erstmals fand sich am 22.12.2003 ein diskret erhöhter CEA-Wert. Dieser stieg bis zum 10.05.2004 bis auf 18,9 ng/ml an. Als Ursache fand sich ein bioptisch gesicherter Tumorbefall der Leber, wobei es sich um Metastasen des 1998 operierten Adenokarzinoms des Sigmas handelte. Die Patientin verstarb trotz aller adjuvanten Maßnahmen am 04.11.2006 am Tumorleiden.

Der Ehemann der Patientin klagte vor dem Landgericht Ingolstadt wegen angeblich nicht lege artis durchgeführter Behandlung auf Schmerzensgeld usw.