Rehabilitation (Stuttg) 2013; 52(04): 251-256
DOI: 10.1055/s-0032-1327587
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Rehabilitationsbedarf bei Hausarztpatienten mit psychischen Störungen

Medical Rehabilitation by General Practitioners in Patients with Chronic Mental Disorders

Authors

  • B. Muschalla

    1   Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation an der Charité, Universitätsmedizin Berlin
    3   Abteilung für Arbeitspsychologie an der Universität Potsdam
  • U. Keßler

    1   Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation an der Charité, Universitätsmedizin Berlin
    2   Abteilung Verhaltenstherapie und Psychosomatik am Rehabilitationszentrum Seehof der Deutschen Rentenversicherung Bund, Teltow/Berlin
  • U. Schwantes

    4   Ordinarius für Allgemeinmedizin an der Charité Berlin
  • M. Linden

    1   Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation an der Charité, Universitätsmedizin Berlin
    2   Abteilung Verhaltenstherapie und Psychosomatik am Rehabilitationszentrum Seehof der Deutschen Rentenversicherung Bund, Teltow/Berlin
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Publication Date:
11 December 2012 (online)

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Zusammenfassung

Hintergrund:

Rehabilitationsmedizin ist nach § 2 und § 26 SGB IX die medizinische Spezialdisziplin zur Vorbeugung, Diagnostik und Behandlung chronischer Erkrankungen. Dies betrifft in besonderem Maße psychische Erkrankungen. Die Behandlung chronischer Erkrankungen erfordert in der Regel eine komplexe und multimodale Langzeitbetreuung, bei der niedergelassenen Ärzten eine zentrale Rolle zukommt. Allerdings gibt es bislang nur wenig ausgearbeitete Konzepte zu den rehabilitationsmedizinischen Aufgaben niedergelassener Ärzte und den ihnen zur Verfügung stehenden diesbezüglichen Behandlungsoptionen.

Methoden:

Zur Klärung der Frage, welche Rolle rehamedizinische Aspekte in der Hausarztpraxis haben, wurden im ersten Schritt 40 niedergelassene Ärzte zum geschätzten Anteil chronisch psychisch kranker Patienten in ihrer Praxis befragt.

Im zweiten Schritt wurden 1 451 Patienten im Alter von 18 bis 60 Jahren mittels des WHO-5-Screenings zum psychischen Wohlbefinden, dem IMET-Fragebogen zu Teilhabestörungen, der Burvillskala zur Multimorbidität und Fragen zum psychischen Erkrankungsstatus und Arbeitsstatus untersucht.

Ergebnisse:

Im Durchschnitt schätzten die Hausärzte den Anteil ihrer Patienten mit psychischen Erkrankungen auf 41,9% (SD=18,2; Range 15–90%).

Von den Patienten gaben 46,5% an, unter psychischen Beschwerden zu leiden. 38,3% der Patienten sagten, dass die Probleme bereits seit 6 Monaten oder länger bestehen (chronisch), und 26,9% erklärten, dass sie die Beschwerden in den letzten 6 Monaten durchgängig erlebt haben (persistierend). Insgesamt litten 29,7% der 18- bis 60-jährigen Hausarztpatienten unter chronischen psychischen Beschwerden mit zusätzlich relevanten Teilhabestörungen.

Schlussfolgerungen:

Patienten mit chronischen psychischen Problemen und Teilhabestörungen sind in Praxen niedergelassener Ärzte häufig anzutreffen. Niedergelassene Ärzte und insbesondere Hausärzte sind demnach zu einem wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit als Rehabilitationsmediziner anzusehen. In ihren Händen liegt die Diagnostik, Behandlung, Koordinierung und Langzeitführung der chronisch Kranken, wie auch die sozialmedizinische Betreuung, von der Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit bis hin zur Einleitung stationärer Rehamaßnahmen. Die Bedeutung der niedergelassenen Ärzte im Rehaprozess verdient organisatorisch wie wissenschaftlich mehr Aufmerksamkeit.

Abstract

Background:

Rehabilitation medicine is the medical specialty for the prevention, diagnosis and treatment of chronic disorders. This is especially relevant in mental disorders. Treatment of chronic disorders requires a complex and multidisciplinary long-term-treatment which is regularly done by general practitioners. However, concepts for rehabilitation-medicine in outpatient settings are until now by and large insufficient.

Methods:

40 general practitioners were asked to give an estimate on how many patients with chronic psychological disorders were among their patients.

Next, 1 451 patients between 18 and 60 years filled in the WHO-5 wellbeing-rating, the IMET scale on participation disorders, the Burvill scale on multimorbidity and answered questions on their mental and work status.

Results:

The general practitioners estimated that on average 41,9% (SD=18,2; Range 15–90%) were suffering from chronic mental disorders. 46,5% of the patients said that they suffered from mental problems, 38,3% had mental problems longer than 6 months, i. e., chronic, and in 26,9% even persistent. 29,7% of the patients suffered from chronic mental problems with relevant participation disorders.

Conclusion:

Patients with chronic mental disorders and participation problems are frequent in general practice. Rehabilitation medicine is an important part the daily activities of general practitioners, including diagnosis, treatment, treatment coordination, and sociomedical interventions like sick leave certificates, or initiating inpatient rehabilitation. General practitioners should get more scientific attention when concepts of rehabilitation are discussed.