neuroreha 2016; 08(04): 145
DOI: 10.1055/s-0042-117411
Editorial
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Innovative Forschung und Praxisanwendung

Jan Mehrholz
,
Martin Lotze
,
Klaus Starrost
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Publication History

Publication Date:
02 December 2016 (online)

Nichts scheint zunächst so diffus wie die Schilderung der Symptome, die ein Patient bei Schwindel erlebt. Ihre Differenzierung sowie die Diagnostik sind komplex, doch sind sie unabdingbare Grundlage des therapeutischen Handelns.

Haben die Symptome mit der Erkrankung zu tun, derentwegen der Patient uns aufgesucht hat? Sind es Nebenwirkungen einer Medikation? Ist die Symptomatik eher bedingt durch ungewohnte Mobilisation nach langer Liegezeit? Meist ist weitere Immobilisation aus Vorsicht vor Stürzen die falsche Entscheidung. Um hier die richtige Balance zu finden, ist eine gute Arbeitshypothese über die Ursache des Schwindels therapieentscheidend.

Wir beginnen den Bogen zwischen Differenzierung, innovativen Forschungsansätzen und Praxisanwendung mit einer Übersicht von Klaus Jahn, vom weltweit seit Jahrzehnten führenden Schwindelzentrum der LMU München, jetzt zudem Chefarzt der Neurologischen Rehaklinik in Bad Aibling. Die grundlegende Struktur seines Vorgehens hilft in der Praxis bei der systematischen Suche nach der Schwindelursache.

Martin Huber ist Physiotherapeut und Dozent mit dem Schwerpunkt Balancestörungen. Er beleuchtet den Aspekt der posturalen Kontrolle bei Stand und Gang. Welche Prozesse ermöglichen dem Menschen die komplexe Fähigkeit, sich auf zwei Beinen fortzubewegen? Auf welcher Ebene kann diese Kontrolle beeinträchtigt sein? Welche Modelle zum Verständnis der posturalen Kontrolle gibt es, die bei unserer Arbeit helfen können, Störungen beim Patienten zu überwinden?

Simone Thomas und Jan Mehrholz aus Kreischa zeigen auf, dass angesichts der Vielzahl der Ursachen kaum ein singulärer Therapieansatz allen anderen überlegen sein kann. Hier sind das Wissen über das Zusammenspiel der Sinne und der Motorik sowie die genaue Identifikation des Problems des Patienten zur Planung der individuellen Therapie essenziell. Therapieoptionen werden im Überblick dargestellt.

Matthias Wiemer von der Physiotherapieschule Ortenau fokussiert noch stärker auf die praktischen Aspekte der Therapie des echten Schwindels, charakterisiert durch Drehgefühl und Fallneigung. Konkret werden hier Übungen vorgestellt, die effektiv bei diesen Symptomen helfen. Auch Hausaufgaben außerhalb der Physiotherapiepraxis können hier helfen, die Symptomatik in den Griff zu bekommen.

Doris Brötz als forschende und lehrende Physiotherapeutin an der Universität Tübingen geht auf die posturale Kontrolle bei Ataxie ein. Diese muss nicht immer durch Schädigung des Kleinhirns verursacht sein, sondern es können auch ganz unterschiedliche Schädigungen im Bahnsystem des ZNS vorliegen. Hier helfen wieder einige praktische diagnostische Tests dabei, Klarheit über die Ursache zu erhalten. Ein stufenweises Therapiekonzept von Seitneigung, Aufrichtung und Aufstehen bis hin zur komplexeren Koordination wird übersichtlich dargestellt.

Kerstin Ziegler aus München stellt das Thema am Beispiel des Morbus Parkinson dar, zu dem sie auch forscht. Diese Patienten sind häufig in der neurologischen Rehabilitation anzutreffen und Sturzgefahr ist ein zentrales Thema. Spezifische neurodegenerative Probleme erfordern ebenso spezifische Therapieansätze. Wichtig ist die Sturzprävention, da es sich um eine fortschreitende Erkrankung handelt.

In der Patientenperspektive wird in einem Interview dargestellt, wie sich die Sturzneigung im Rahmen eines idiopathischen Parkinson-Syndroms auf das tägliche Leben auswirkt.

Insgesamt werden in dieser Ausgabe der neuroreha fast alle Facetten zu Schwindel, Gleichgewicht und Balance, die für unsere tägliche Arbeit in der Neurorehabilitation wichtig sind, aufgezeigt. Wir hoffen, dass dieses Heft es Ihnen ermöglichen wird, die Arbeit mit diesen zunächst diffus wirkenden Symptomen effektiver, sicherer und interessanter zu gestalten.

Viele neue Denkanstöße wünschen die Herausgeber

Martin Lotze, Jan Mehrholz und Klaus Starrost