Rehabilitation (Stuttg) 2016; 55(06): 357-368
DOI: 10.1055/s-0042-120085
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Psychosomatische Rehabilitation bei deutschen und ausländischen Versicherten der Rentenversicherung im Vergleich

Comparison of Psychosomatic Rehabilitation for German and Foreign Patients
P. Zollmann
Deutsche Rentenversicherung Bund, Berlin
,
V. Pimmer
Deutsche Rentenversicherung Bund, Berlin
,
A. D. Rose
Deutsche Rentenversicherung Bund, Berlin
,
S. Erbstößer
Deutsche Rentenversicherung Bund, Berlin
› Author Affiliations
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Publication History

Publication Date:
06 December 2016 (online)

Zusammenfassung

Ziel: Ziel ist eine umfassende Analyse des Verlaufs der psychosomatischen Rehabilitation – vom Zugang bis zu den objektivierbaren Reha-Ergebnissen. Verglichen werden 3 Gruppen: deutsche und türkische Staatsangehörige sowie Versicherte mit anderer bzw. unbekannter Staatsangehörigkeit.

Methodik: Datengrundlage bilden rentenversicherungsweite und aktuelle Routinedaten zur psychosomatischen Rehabilitation der Rentenversicherung aus der Reha-Statistik-Datenbasis (RSD), die das Zeitfenster 2007 – 2014 abbilden. Eingeschlossen wurden 128 165 Pflichtversicherte, die im Jahr 2012 eine psychosomatische Rehabilitation in Anspruch genommen haben.

Ergebnisse: Von den psychosomatischen Rehabilitanden in 2012 hatten 5,8 % eine ausländische Staatsangehörigkeit. Die türkischen Staatsangehörigen bilden mit 2 % die größte Gruppe. Die restlichen Rehabilitanden haben eine andere bzw. unbekannte Staatsangehörigkeit oder sind staatenlos. Die häufigsten Diagnosen waren für alle Gruppen affektive Störungen und neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen. Zwischen den betrachteten Gruppen zeigen sich Unterschiede in der Soziodemografie und der Erwerbssituation im Vorfeld der Rehabilitation: Rehabilitanden mit ausländischer Staatsangehörigkeit und darunter insbesondere diejenigen mit türkischer Nationalität sind im Schnitt jünger, häufiger verheiratet und haben eine schlechtere schulische und berufliche Ausbildung als deutsche Versicherte. Entsprechend üben sie häufiger niedrig qualifizierte Tätigkeiten aus mit einem niedrigeren Entgelt. Die gesundheitliche Ausgangsbelastung, hier abgebildet durch Arbeitsunfähigkeitszeiten, ist ebenfalls schlechter als bei Rehabilitanden mit deutscher Staatsangehörigkeit. Im Unterschied zu anderen Reha-Indikationen zeigt sich keine Benachteiligung von türkischen Versicherten im Zugang zur psychosomatischen Rehabilitation. Die altersstandardisierten Inanspruchnahmeraten der türkischen Versicherten, insbesondere der Frauen, liegen im Gegenteil deutlich über denjenigen deutscher Versicherter. Die Inanspruchnahme der therapeutischen Angebote, Schulungen und Interventionen während der psychosomatischen Rehabilitation war in allen drei Gruppen vergleichbar. Hinsichtlich der Reha-Ergebnisse, Wiedereingliederung ins Berufsleben bzw. Zugang in eine Erwerbsminderungsrente, zeigen sich schlechtere Erfolge für türkische Rehabilitanden. Als Einflussfaktoren auf die Wiederaufnahme einer beruflichen Tätigkeit (Return to Work, RTW) aller Rehabilitanden wurden insbesondere die Beschäftigungsdauer in den 12 Monaten vor Reha-Beginn, die ärztlich festgestellte Leistungsfähigkeit für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit, das Alter sowie das sozialversicherungspflichtige Entgelt im Jahr vor Reha-Beginn ermittelt. Ein eigenständiger Einfluss der türkischen Staatsbürgerschaft bleibt auch noch nach Einschluss dieser Faktoren bestehen.

Schlussfolgerung: Die türkischen Rehabilitanden stellen auch in dieser Untersuchung eine besondere Personengruppe dar. Dies betrifft insbesondere türkische Frauen. Ihre Ausgangsbedingungen sind schlechter, der Zugang in die psychosomatische Rehabilitation höher, die Reha-Ergebnisse noch deutlich schlechter als die ihrer männlichen Landsleute. Diese Ergebnisse können zwar zu einem großen Teil auf die schlechteren gesundheitlichen und erwerbsbezogenen Ausgangsbedingungen zurückgeführt werden, die Staatsbürgerschaft bleibt aber dennoch ein signifikanter Einflussfaktor.

Abstract

Aim: This study aims to comprehensively analyse the course of psychosomatic rehabilitation – from access to quantifiable rehabilitation outcomes. A comparison is made between 3 groups of patients: German citizens, patients of Turkish nationality or patients of foreign or unknown nationality.

Methods: The data set used comprises routine data of the German Pension Insurance regarding psychosomatic rehabilitation from the so called Reha-Statistik-Database (RSD, database for rehabilitation statistics) over a period from 2007 to 2014. We included 128,165 compulsorily insured persons who underwent psychosomatic rehabilitation in 2012.

Results: Among the patients in psychosomatic rehabilitation in 2012 5.8 % were of foreign nationality. Turkish patients were with 2.0 % the largest group, patients with another or unknown nationality or stateless patients constitute the additional group. The most common diagnoses for all groups were affective disorders and neurotic, somatoform and stress disorders. Differences between the groups can be demonstrated with regard to sociodemographics and employment status prior to rehabilitation: Patients of foreign nationality, and here especially Turkish patients, are on average younger, more often married and have less advanced vocational training than German patients. Accordingly, they work more often in less qualified jobs with lower wages. The health status prior rehabilitation, measured as days of sick leave, is also worse compared to German patients. In contrast to other indications there is no disadvantage regarding access to psychosomatic rehabilitation. On the contrary: the age-standardised uptake ratios of Turkish patients, especially of women, are markedly higher than in Germans. Treatment during psychosomatic rehabilitation is more or less identical. With regards to outcome of rehabilitation, reintegration into working life or transition into disability pension Turkish patients are less successful. As important influential variables for return to work (RTW) the following factors were identified: Employment duration in the last 12 months before the start of rehabilitation, the medically tested ability to work for the last employment, age and wage in the last year before the start of rehabilitation. Even after the inclusion of these variables in the logistic regression model, a direct influence of the Turkish citizenship has remained.

Conclusion: In this study Turkish patients are a special group. This is especially true for Turkish women. They start from a lower baseline in comparison with their male compatriots, they have higher access to psychosomatic rehabilitation and the results of rehabilitation are less favourable. These findings may be attributable to the markedly worse health and employment status of the female Turkish patient group. Nevertheless, nationality itself remains to be a significant influencing factor.

 
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