Zusammenfassung
Hintergrund: Die Diagnosestellung von Myopathien im Erwachsenenalter ist aufgrund der klinischen
und genetischen Heterogenität schwierig. Diese Leitlinie soll helfen, bei erwachsenen
Patienten mit Muskelerkrankungen gezielt eine Diagnose zu stellen und so Patienten
mit behandelbaren Myopathien einer Therapie zuführen zu können. Eine eindeutige Zuordnung
hereditärer Myopathien ermöglicht eine bessere prognostische Einordnung und bildet
die Grundlage für die genetische Familienberatung. Es ist von besonderer Bedeutung,
die Indikation zur Muskelbiopsie korrekt zu stellen und aus dieser die maximale diagnostische
Ausbeute zu erzielen.
Methodik: Das Leitliniengremium bestand aus Neurologen mit myologischer Expertise aus Österreich,
der Schweiz und aus Deutschland und Experten für Muskelerkrankungen aus der Neuropathologie
und Humangenetik. Zusätzlich wurde ein Vertreter der Selbsthilfeorganisation Deutsche
Gesellschaft für Muskelkranke e. V. einbezogen. Für die Überarbeitung der zuletzt
2012 erschienenen DGN-Leitlinie wurde die bis Anfang 2016 erschienene Literatur berücksichtigt
und die Leitlinie auf S1-Niveau aktualisiert.
Ergebnisse: Anhand der klinischen Symptomatik sollte zuerst eine syndromale Arbeitsdiagnose gestellt
werden. Laborchemisch ist zu prüfen, ob eine persistierende Erhöhung der Kreatinkinase
(CK) vorliegt, ergänzt durch weitere Laborwerte, die auf eine entzündliche oder endokrine
Erkrankung hinweisen. Bei jedem Patienten mit Verdacht auf eine Myopathie sollte eine
EMG-Untersuchung erfolgen, um neurogene von myopathischen Prozessen zu unterscheiden,
und um eine Myotonie zu identifizieren. Zur Bildgebung des Muskels ist das MRT am
besten geeignet. Besonders hilfreich ist das MRT für die Auswahl des richtigen Biopsieorts.
Zum Nachweis einer immunogen vermittelten Myopathie ist in der Regel eine Muskelbiopsie
indiziert, auch wenn myositisspezifische Antikörperuntersuchungen bei der Zuordnung
immer mehr hilfreich sind. Bei Patienten mit hereditären Myopathien ist eine Biopsie
indiziert, wenn der klinische Phänotyp nicht eindeutig zugeordnet werden kann und
eine primär molekulargenetische Diagnosestellung nicht möglich ist. Die Probe einer
Muskelbiopsie muss ausreichend groß sein und sorgfältig aufbereitet werden, sodass
nicht nur histologische, sondern auch immunhistologische Untersuchungen erfolgen können,
und ggf. auch Westernblot-Analysen sowie enzymatische Messungen. Material sollte auch
für die elektronenmikroskopische Untersuchungen und DNA-Analysen asserviert werden.
Die Muskelprobe sollte an einem spezialisierten Zentrum untersucht werden.
Bei einigen hereditären Myopathien sollte die Diagnosestellung primär über eine molekulargenetische
Untersuchung ohne Muskelbiopsie angestrebt werden z. B. Dystrophinopathien, Myotone
Dystrophie Typ 1 und 2, okulopharyngeale Muskeldystrophie und fazioskapulohumerale
Muskeldystrophie Typ 1 und 2. Neue molekulargenetische Hochdurchsatzverfahren („next
generation sequencing“, NGS) ermöglichen eine effiziente Untersuchung vieler Gene
in einem Ansatz (Panel-Diagnostik) oder sogar aller Genabschnitte (Exom/Genom). Diese
neuen Methoden sind bei in neuromuskulären Zentren ausgewählten Patienten mit gut
definiertem Phänotyp sinnvoll, wenn der Phänotyp durch Mutationen in verschiedenen
Genen bedingt sein kann, wie z. B. bei einer Muskeldystrophie vom Gliedergürteltyp.
Seit 1.7.2016 sind „kleine“ Gen-Panel-Untersuchungen (bis 25 Kilobasen) Regelleistung
der Krankenkassen in Deutschland, umfangreichere NGS-Analysen bedürfen eines Antrags
auf Kostenübernahme als Einzelfall.
Abstract
Background: Diagnosis of myopathies can be difficult due to clinical and genetical heterogeneity.
This guideline should enable a diagnostic work-up in patients with myopathies to facilitate
therapy in treatable disorders. A correct classification of hereditary forms is important
for genetic counselling, estimation of the prognosis, and therapy. It is important
to decipher indications for a muscle biopsy and to perform it in an appropriate way
to reach maximal diagnostic yield.
Methods: Members of the guideline committee were neurological experts for myopathies from
Austria, Swiss and Germany but also a neuropathologist, a human geneticist, and a
member of the German neuromuscular patient support group. For the update of the guideline,
that was issued for the last time in 2012, the recent literature published until early
2016 was considered. The update was performed according to S1-level.
Results: According to the clinical examination a syndrome diagnosis should be established.
Laboratory testing should include creatine kinase (CK) supplemented by laboratory
investigation for testing inflammatory and endocrine abnormalities. In all patients
with suspected myopathy needle electromyography has to be performed to distinguish
between neurogenic and myopathic weakness and to identify myotonia. For imaging of
muscle magnetic resonance tomography is the most suitable method particularly to find
the correct localization for the biopsy.
Generally, a biopsy is indicated for the detection of inflammatory myopathies, although
detection of specific antibodies can help to distinguish between different myositis
forms. For the diagnosis of hereditary myopathies a biopsy is indicated if the phenotype
is not specific and primary molecular genetic testing is difficult. The sample size
of the biopsy must be sufficient and the specimen must be properly handled to enable
histological examinations including immunohistology, and Western blotting. Furthermore,
additional specimen for enzyme measurements, electron microscopy and DNA extraction
are needed. Analyses of the muscle biopsy should be performed in a specialized laboratory.
In several hereditary myopathies diagnosis can be confirmed by molecular testing with
dispensation of a biopsy, e. g. dystrophinopathies, myotonic dystrophy type 1 and
2, oculopharyngeal muscular dystrophy, facio-scapulo-humeral muscular dystrophy type
1 and 2. Next generation sequencing enables an efficient investigation of numerous
genes in one assay (panel diagnosis) or even all parts of the genome (exome/genome).
These novel methods should be used in selected patients examined in centers for neuromuscular
disorders that show a defined phenotype that can be caused by mutations in different
genes, e. g. limb girdle muscular dystrophy. Since 1.7.2016 the German insurance companies
pay for „small“ panels (maximum 25 kilo bases), cost coverage of more elaborate testing
has to be applied for individually.
Schlüsselwörter
Leitlinie - Muskelerkrankung - Myopathie - Diagnostik - Muskelbiopsie
Keywords
guideline - myopathy - muscular disorder - diagnosis - muscle biopsy