Drug Res (Stuttg) 2017; 67(S 01): S17
DOI: 10.1055/s-0043-116532
Symposium der Paul-Martini-Stiftung
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mechanismen der Suchtentwicklung

Rainer Spanagel
Institut für Psychopharmakologie, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim
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Publication Date:
25 October 2017 (online)

Es gibt verschiedene Theorien, die eine Suchtentwicklung auf neuronaler und molekularer Ebene erklären. Es ist Konsens, dass Drogen zunächst über das Belohnungssystem ihre verstärkende Wirkung durch die Freisetzung von Dopamin im Nukleus accumbens (NAc) erzeugen. Wiederholter Drogenkonsum und die Darbietung drogenassoziierter Reize können sogar zu einer vermehrten Dopaminfreisetzung führen und einer damit verbunden psychomotorischen Stimulation. Dieser Sensibilisierungsprozess führt zu einer verstärkten Reiz-Attribution und Craving. Am Versuchstier wurden Sensibilisierungsprozesse überzeugend gezeigt, die entsprechenden Humanbefunde stehen jedoch noch größtenteils aus. Chronischer Drogenkonsum führt zu automatisierten Gewohnheiten; z. B. ist Rauchen ein hochautomatisiertes Verhalten – eine Person, die über 10 Jahre regelmäßig raucht, hat über eine Million Inhalationen durchgeführt. Diese automatisierten Gewohnheiten stehen mit einer Verschiebung vom ventralen zum dorsalen striatalen Prozessieren von drogenassoziierten Reize in Zusammenhang. Die Entwicklung von Gewohnheit wird durch eine Verringerung der fronto-striatalen Kontrolle weiter befördert. Geminderte Top-down-Kontrolle ist ein Resultat neurotoxischer Drogeneffekte im präfrontalen Kortex und verwandten Hirnregionen nach chronischem Drogenkonsum. Verminderte kognitive Kontrolle kann ebenfalls durch neuroadaptive Veränderungen entstehen, die zu einer glutamaterg-GABAergen Dysbalance im präfrontalen Kortex (PFC) führen. Diese Dysbalance ist höchstwahrscheinlich das Ergebnis eines ausgeprägten Defizits im metabotropen Glutamatrezeptor-Subtyp 2 (mGluR2) – einem Hauptregulator des extrazellulären Glutamatspiegels – wie bereits in Tiermodellen der Sucht und im menschlichen Gehirn von süchtigen Patienten gezeigt wurde. Darüber hinaus führt Neuroadaptation innerhalb des Belohnungs- und Stress-System zu einer reduzierten Wirkung von nicht-drogenassoziierten Reizen und alternativen Belohnungen sowie zu negativen Affekten und erhöhter Stress-Reaktivität. Diese Phänomene stehen mit einer verminderten tonischen striatalen Dopaminfreisetzung sowie einem hochregulierten Dynorphin-System (DYN) und extrahypotalamischen CRH-System in Verbindung.