Zusammenfassung
Der Begriff Digital Health (digitale Gesundheitsanwendungen) ist zurzeit der umfassendste
und schließt alle Informations- und Kommunikationstechnologien aus dem Gesundheitsbereich
mit ein, inkl. E-Health, Mobile Health, Telemedizin, Big Data, Gesundheits-Apps und
anderen. Digital Health kann als ein Paradebeispiel für den Einsatz des Konzeptes
und der Methodik der Versorgungsforschung gelten, wo es um das Zusammenspiel von komplexen
Interventionen und komplexem Kontext geht. Das Positionspapier betrachtet 1) Digital
Health als Gegenstand der Versorgungsforschung und 2) Digital Health als methodische
und wissenschaftsethische Herausforderung für die Versorgungsforschung. Der häufig
postulierte Nutzen, der von Digital Health-Interventionen erwartet wird, sollte durch
gute Studien nachweisbar sein. Erste systematische Evaluationen von Apps zur „Behandlungsunterstützung“
liefern teilweise Ergebnisse, die eher auf einen Schaden, denn auf einen Nutzen hinweisen.
Die Forderung eines Nachweises von Nutzen bzw. Risiken gilt erst recht für Big Data-gestützte
Interventionen, die Entscheidungsprozesse im Behandlungsablauf unter Zuhilfenahme
von Künstlicher Intelligenz unterstützen. Natürlich ist es aus Sicht der Versorgungsforschung
anstrebenswert, möglichst an dem durch Digital Health verfügbaren Datenzugang zu partizipieren
und „Big Data“ zu nutzen. Es besteht allerdings die Gefahr, dass es durch eine unkritische
Anwendung von Digital Health und Big Data zu einer Rückkehr zum linearen, naturwissenschaftlich-biomedizinischen
Forschungsverständnis kommt, der bestenfalls komplizierte Verhältnisse unter der Annahme
multivariater Modelle akzeptiert und komplexe Sachverhalte nicht zur Kenntnis nimmt.
Es geht für die Versorgungsforschung nicht nur darum, wissenschaftsethischen Anforderungen
zu genügen, indem statt unnötiger Forschung („reducing waste“) bessere Forschung gemacht
wird, sondern vor allem darum, die gesellschaftlichen Konsequenzen (Systemebene) der
wissenschaftlichen Analyse und Evaluation zu antizipieren. Dies birgt für die Versorgungsforschung
die anspruchsvolle, gleichseitig aber attraktive Option, sich über die Kompetenz,
eine solche Diskussion zu initiieren und zu führen, als reifes und verantwortungsvolles
Wissenschaftsgebiet zu präsentieren.
Abstract
The term “digital health” is currently the most comprehensive term that includes all
information and communication technologies in healthcare, including e-health, mobile
health, telemedicine, big data, health apps and others. Digital health can be seen
as a good example of the use of the concept and methodology of health services research
in the interaction between complex interventions and complex contexts. The position
paper deals with 1) digital health as the subject of health services research; 2)
digital health as a methodological and ethical challenge for health services research.
The often-postulated benefits of digital health interventions should be demonstrated
with good studies. First systematic evaluations of apps for “treatment support” show
that risks are higher than benefits. The need for a rigorous proof applies even more
to big data-assisted interventions that support decision-making in the treatment process
with the support of artificial intelligence. Of course, from the point of view of
health services research, it is worth participating as much as possible in data access
available through digital health and “big data”. However, there is the risk that a
noncritical application of digital health and big data will lead to a return to a
linear understanding of biomedical research, which, at best, accepts complex conditions
assuming multivariate models but does not take complex facts into account. It is not
just a matter of scientific ethical requirements in health services care research,
for instance, better research instead of unnecessary research (“reducing waste”),
but it is primarily a matter of anticipating the social consequences (system level)
of scientific analysis and evaluation. This is both a challenge and an attractive
option for health services research to present itself as a mature and responsible
scientific discipline.
Schlüsselwörter Digital Health - Big Data - Versorgungsforschung - E-Health - Risiken - Nutzen
Key words digital health - big data - health services research - e-health - risks - benefit