psychoneuro 2003; 29(3): 123-125
DOI: 10.1055/s-2003-38715
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Vorschlagsliste verordnungsfähiger Arzneimittel (sog. Positivliste) Was bedeutet dies für die Psychopharmakotherapie?

J. Fritze1 , 2 , M. Schmauß 1 , F. Holsboer2
  • 1für den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN)
  • 2für den Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie (AGNP)
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Publication Date:
16 April 2003 (online)

Gemäß § 33 a SGB V (Verordnungsfähige Arzneimittel) ist das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates auf der Grundlage einer Vorschlagsliste eine Liste verordnungsfähiger Arzneimittel unter Berücksichtigung der Indikationen und Darreichungsformen in der vertragsärztlichen Versorgung zu erlassen. Ein Entwurf der Vorschlagsliste sei am 13.07.2001 den in § 33a Abs. 9 SGB V genannten Fachgesellschaften, Verbänden und Vereinigungen zur Kenntnis gebracht worden. Am 15.11.2002 wurde nun die am 26.04.2002 vom Institut dem BMGS übergebene Vorschlagsliste den Anhörungsberechtigten zugeleitet; die Anhörungsfrist endete bereits am 10.12.2002.

Bundesgesundheits- und -sozialministerin Ulla Schmidt hat den Entwurf eines Gesetzes über die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Positivlistengesetz - AMPoLG) eingebracht. Obwohl § 33a SGB V die Zustimmung des Bundesrates vorschreibt, strebt der Gesetzentwurf an, die Zustimmungspflicht des Bundesrates zu erübrigen.

Aus unerfindlichen Gründen gehörte die AGNP weder zu den Empfängern des Entwurfes der Vorschlagsliste noch der endgültigen Vorschlagsliste, konnte also nicht Stellung nehmen. Die AGNP behält sich angesichts des widerrechtlichen Ausschlusses vom Anhörungsverfahren rechtliche Schritte vor.

Die DGPPN hatte ihre Unterstützung gemäß § 33a SGB V Abs. 8 verbunden mit dem Hinweis auf grundlegende Bedenken gegen eine sog. Positivliste wie auch gegen das Verfahren, mit dem die Positivlistenkommission eingerichtet und die Positivliste entwickelt werden sollte. Die DGPPN und die Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie (AGNP) haben gemeinsam diese Bedenken im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens mündlich und schriftlich vorgetragen und publiziert (Nervenarzt 70 (1999) 766-771 und Psycho 25 (1999) 96-101). Die DGPPN hat auch im Nachgang zum Gesetzgebungsverfahren kritisch dazu Stellung genommen (Nervenarzt 71 (2000) 225-226, Psycho 26 (2000) 108-109). Die Kritik richtet sich i.w. dagegen, dass den regulären, inzwischen auf europäischer Ebene agierenden Zulassungsbehörden, denen eine adäquate Infrastruktur für ordentliches wissenschaftliches Arbeiten zur Verfügung steht, auf nationaler Ebene letztlich eine Instanz übergeordnet wird, der diese wissenschaftliche Infrastruktur fehlt.

Die Vorschlagsliste wurde unter Geschäftsführung durch Herrn Prof. Dr. Klaus Quiring in ehrenamtlicher Tätigkeit unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Ulrich Schwabe (Heidelberg) durch die Herren Prof. Dr. Johannes Köbberling (Wuppertal), Prof. Dr. Adalbert Keseberg (Erftstadt-Liblar), Dr. Jürgen Bausch (Frankfurt am Main) (Stellvertreterin: Frau Dr. Rieke Alten (Berlin)), Prof. Dr. Ulrich Schwabe (Heidelberg), Prof. Dr. Hans Joachim Trampisch (Bochum) (Stellvertreter: Prof. Dr. Jürgen Windeler (Essen)), Prof. Dr. Reinhard Saller (Zürich) (Stellvertreterin: Frau PD Dr. Karin Kraft (Bonn)), Dr. Karl-Heinz Gebhardt (Karlsruhe) (Stellvertreter: Dr. Michael Elies (Laubach)), Dr. Harald Matthes (Berlin) (Stellvertreter: Dr. Markus Karutz (Köln)) und Frau Prof. Dr. Petra Thürmann (Wuppertal) (Stellvertreter: Prof. Dr. Henning Breithaupt (Gießen)) erarbeitet. Gemäß § 33a SGB V Abs. 3 haben die Mitglieder der Kommission unparteilich zu sein. Dies soll nicht in Frage gestellt werden, auch wenn einzelne Mitglieder bzw. Stellvertreter z.B. als Herausgeber des Arzneiverordnungsreports, als frühere Vorsitzende einer kassenärztlichen Vereinigung bzw. als Mitarbeiter des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen bekannt sind.

Gemäß § 33a SGB V Abs. 7 sind in die Vorschlagsliste Arzneimittel aufzunehmen, „die für eine zweckmäßige, ausreichende und notwendige Behandlung, Prävention oder Diagnostik von Krankheiten oder erheblichen Gesundheitsstörungen geeignet sind; Voraussetzung für diese Eignung ist ein mehr als geringfügiger therapeutischer Nutzen, gemessen am Ausmaß des erzielbaren therapeutischen Effekts. Den indikationsbezogenen Bewertungen sind jeweils einheitliche Urteilsstandards zugrunde zu legen. In die Bewertungen einzubeziehen sind Qualität und Aussagekraft der Belege, die therapeutische Relevanz der wissenschaftlichen Erkenntnisse und die Erfolgswahrscheinlichkeit der therapeutischen, präventiven oder diagnostischen Maßnahme.” Nicht aufzunehmen sind Arzneimittel, „die für geringfügige Gesundheitsstörungen bestimmt sind, die für das Therapieziel oder zur Minderung von Risiken nicht erforderliche Bestandteile enthalten oder deren Wirkung wegen der Vielzahl der enthaltenen Wirkstoffe nicht mit ausreichender Sicherheit beurteilbar ist. Die Kriterien für die Aufnahme von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen haben den Besonderheiten der jeweiligen Therapierichtung Rechnung zu tragen.”

Clomethiazol dürfte nur zur kurzfristigen Anwendung bei Alkoholentzugssyndrom unter stationären Bedingungen eingesetzt werden. Damit können die unverändert zugelassenen Indikationen „Behandlung von anders nicht beherrschbarem Grand-mal-Status” und „Behandlung von Krampfanfällen bei Präeklampsie und Eklampsie, wenn Arzneimittel mit einem günstigeren Nutzen/Risiko-Verhältnis nicht ausreichend wirksam bzw. anwendbar sind” nicht mehr genutzt werden. Dasselbe gilt für die - nicht mehr beanspruchte - Indikation „Behandlung von schweren Schlafstörungen in höherem Lebensalter”. Letzteres ist angesichts anderer, verträglicherer Alternativen wohl vertretbar, wenn auch ein Verlust.

Chloralhydrat wäre nicht mehr zulasten der GKV verschreibungsfähig. Dies erstaunt zumindest auf den ersten Blick, indem Chloralhydrat auf eine 140-jährige Anwendung zurückblickt (Entdeckung 1831 durch Justus von Liebig; Beobachtung der hypnotischen Wirkung 1861 durch Rudolf Buchheim). Viele Jahre wurde auch in der jüngeren Vergangenheit Chloralhydrat als „escape medication” auch in Zulassungsstudien von Antidepressiva eingesetzt. Seine Tagesbehandlungskosten sind gering (<0,32 Euro), der Packungspreis liegt im Bereich der Zuzahlung. Das Abhängigkeitsrisiko ist gering, wenn auch nicht auszuschließen. Ausschlaggebend für den Ausschluss war vermutlich das Fehlen adäquater Studien (die bei einem derart alten Pharmakon kaum zu erwarten sind) sowie der aversive (bittere) Geschmack, die gastrointestinalen Nebenwirkungen (Einzelfälle; Chloralhydrat reizt wie alle Aldehyde die Magenschleimhaut), der Geruch der Atemluft nach Aldehyden, die seltenen Nebenwirkungen Nierenschäden, Hautallergien, Leberschäden, Leukopenie, Eosinophilie, und die geringe therapeutische Breite (relevant bei Intoxikation) infolge Kardiotoxizität des aktiven Metaboliten Trichloroethanol und des inaktiven Metaboliten Trichloressigsäure. Leider legt das Institut die Gründe für Ausschlüsse und Einschränkungen nicht dar.

Literatur

  • 1 Dose M, Lange HW. The benzamide tiapride: treatment of extrapyramidal motor and other clinical syndromes.  Pharmacopsychiatry. 2000;  33 19-27
  • 2 Kerihuel JC, Dreyfus JF. Meta-analyses of the efficacy and tolerability of the tricyclic antidepressant lofepramine.  J Int Med Res. 1991;  19 183-201
  • 3 Moon CA, Vince M. Treatment of major depression in general practice: a double-blind comparison of paroxetine and lofepramine.  Br J Clin Pract. 1996;  50 240-244
  • 4 Reid F, Henry JA. Lofepramine overdosage.  Pharmacopsychiatry. 1990;  23 23-27
  • 5 Roger M, Gerard D, Leger JM. Value of tiapride for agitation in the elderly.  Review of published studies.  Encephale. 1998;  24 462-468
  • 6 Tegeler J, Klieser E, Lehmann E, Heinrich K. Double-blind study of the therapeutic efficacy and tolerability of amitriptylinoxide in comparison with amitriptyline.  Pharmacopsychiatry. 1990;  23 45-49

Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. med. J. Fritze

Asternweg 65

D-50259 Pulheim

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