Aktuelle Neurologie 2003; 30(7): 320-327
DOI: 10.1055/s-2003-41885
Neues in der Neurologie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Genetik der Epilepsien 2003

Genetics of Epilepsies 2003T.  Dorn1
  • 1Schweizerisches Epilepsie-Zentrum Zürich (Medizinischer Direktor: Dr. G. Krämer)
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Publication Date:
04 September 2003 (online)

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Zusammenfassung

Inzwischen sind die verantwortlichen Gene für fünf verschiedene Formen von monogenen idiopathischen Epilepsien identifiziert worden. Bei vier dieser Syndrome kodieren die gefundenen Gene Untereinheiten von Ionenkanälen bzw. von damit assoziierten Rezeptoren. Bei einer autosomal-dominanten Form der Temporallappenepilepsie wurden nun aber Mutationen im Gen für das leucine-rich-glioma-inactivated-proteine beschrieben, das nichts mit dem Ionentransport durch Zellmembranen zu tun haben dürfte. Somit sind diese Epilepsien nicht sämtlich Ionenkanalkrankheiten. Die Erkenntnisse über diese Syndrome stellen auch die in den Klassifikationssystemen der ILAE verwendeten Dichotomien fokal/generalisiert und idiopathisch/symptomatisch infrage, da bei einzelnen Syndromen fokale und generalisierte Anfälle nebeneinander auftreten und auch andere paroxysmale, nichtepileptische Symptome bzw. eine mentale Retardierung vorkommen können. Bei den häufigeren oligogenen idiopathischen Epilepsien sind indes bis jetzt noch keine Gene identifiziert worden, die vermuteten Genloci sind aber von denen der monogenen Formen verschieden. Bei den chromosomalen Aberrationen mit markantem epileptologischen Phänotyp hofft man ebenfalls, Epilepsiegene identifizieren zu können. Die hier involvierten Chromsomenabschnitte beinhalten aber nicht die Genloki monogener und auch nicht die oligogener Epilepsien. Neben Mutationen in Epilepsiegenen, die unmittelbar epileptogen sind, können aber auch Mutationen in zahlreichen anderen, höchst unterschiedlichen Genen mittelbar über Hirnentwicklungsstörungen, Neurodegeneration, gestörten Bau- und Energiestoffwechsel zu epileptischen Anfällen führen. Auch wenn die Beziehungen zwischen Genom und Proteom bzw. Phänotyp bis jetzt hier nur wenig verstanden sind, liefert der aktuelle Erkenntnisstand bei einzelnen Syndromen bereits Ansätze, mit einer Therapie nicht nur Symptome wie epileptische Anfälle zu bessern, sondern in die Syndromentwicklung selbst einzugreifen. Die genetische Forschung identifiziert hierbei pathogenetische Kaskaden, die auch bei erworbenen Erkrankungen eine Rolle spielen können. Schließlich werden auch die genetischen Determinanten und damit die Voraussagbarkeit von erwünschten und unerwünschten Wirkungen von Antiepileptika zunehmend untersucht (Pharmakogenetik.)

Abstract

In five idiopathic monogenic epilepsies responsible genes have been identified during the last decade. In 4 of these syndromes the genes code subunits of ion channels or associated receptors. In an autosomal dominant variant of temporal lobe epilepsy, however, mutations have been identified in the gene for the leucin-rich-glioma-inactivated-proteine. This protein seems not to be involved in the transport of ions through cellular membranes. Thus, not all of these epilepsies are channnelopathies. The knowledge concerning these syndromes challenges the dichotomic categories focal/generalised and idiopathic/symptomatic of the ILAE classification systems, since focal and generalised seizures can occur beside each other within one syndrome and some of these syndromes comprise other paroxysmal, non-epileptic symptoms or mental retardation, respectively. In the more common oligogenic idiopathic epilepsies, however, no genes have been identified so far. The assumed gene loci are different from those comprising the epilepsy genes in monogenic forms. Chromosomal aberrations with an outstanding epileptological phenotype may also offer the opportunity to identify epilepsy genes, i. e. genes which are directly involved in epileptogenesis. But the deleted, duplicated or triplicated parts of chromosomes do not contain the known gene loci of monogenic and oligogenic epilepsies. Beside mutations of epilepsy genes mutations in many other genes can cause epileptic seizures more indirectly by disturbances of brain development, neurodegeneration or metabolism. Although the complex relationship between genome on one and proteome and phenotype on the other side is only understood to a very little extent, the present knowledge concerning certain syndromes enables first ideas how to go beyond treatment of seizures suppressing progression of the underlying disease. Genetics can identify pathogenetic cascades which may be also used by acquired diseases. Finally, pharmacogenomics may allow us to predict efficacy and tolerability of antiepileptic drugs.

Literatur

Dr. med. T. Dorn

Schweizerisches Epilepsie-Zentrum

Bleulerstraße 60

8008 Zürich · Schweiz