Geburtshilfe Frauenheilkd 2003; 63(9): R185-R204
DOI: 10.1055/s-2004-820851
GebFra-Refresher

Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Wertigkeit des Sentinellymphknotens in der gynäkologischen Onkologie

S. Malur1 , C. Altgassen2 , S. Ackermann1 , M. W. Beckmann1
  • 1Universitäts-Frauenklinik Erlangen
  • 2Universitäts-Frauenklinik Jena
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Publication History

Publication Date:
30 September 2003 (online)

Als Sentinellymphknoten

Sentinellymphknoten: Lymphknoten, der von Tumorzellen als erstes erreicht werden kann.

= Wächterlymphknoten - wird der Lymphknoten definiert, der als erster von Tumorzellen im Lymphabstromgebiet des Tumors erreicht werden kann. Der Sentinellymphknoten soll eine hohe Sensitivität bei der Vorhersage des regionären Lymphknotenbefalls aufweisen. Damit kann bei tumorfreien Sentinellymphknoten auf die vollständige Lymphonodektomie

Eine Lymphonodektomie ist bei tumorfreiem Sentinellymphknoten nicht nötig.

des Lymphabflussgebietes des jeweiligen Karzinoms verzichtet werden. Der biopsierte Sentinellymphknoten könnte somit als histologischer Marker für alle nachgeschalteten regionären Lymphknoten verwendet werden und den Lymphknotenstatus bei Patientinnen mit einem Genital- oder Mammakarzinom repräsentieren.

Die Lymphangiographie des Sentinellymphknotens wurde zuerst von Cabanas u. Mitarb. bei Patienten mit einem Peniskarzinom beschrieben. Morton u. Mitarb. entwickelten diese Methode für Patientinnen mit malignem Melanom und verwendeten zur Markierung Patentblau®. Alex u. Mitarb. sowie Krag u. Mitarb. modifizierten diese Technik und verwendeten an Stelle von blauem Farbstoff Technetium99m gekoppelt an Sulfur-Kolloid bei Patientinnen mit malignem Melanom und Mammakarzinom. Giuliano u. Mitarb. veröffentlichten 1994 und 1997 Ergebnisse zur Detektion des Sentinellymphknotens bei Patientinnen mit Mammakarzinom. Als Markiersubstanz wurde Isosulfanblau (Lymphazurin®) verwendet. Seit dieser Zeit sind zahlreiche Publikationen zu dieser Thematik, insbesondere für das Melanom und Mammakarzinom, erschienen.

Bei Patientinnen mit Mammakarzinom

Beim Mammakarzinom ist der Lymphknotenstatus ein wesentlicher Prognosefaktor.

gilt der Lymphknotenstatus als wesentlicher prognostischer Faktor für das Überleben. Eine sichere nicht-invasive Diagnostik zur Evaluierung des axillären Lymphknotenstatus gibt es nicht. Mammakarzinome im Stadium Ia haben in unter 1 %, im Stadium 1b - 1c in 19 - 37 %, und im Stadium 2 in bis zu 59 % einen axillären Lymphknotenbefall. Die offene axilläre Lymphonodektomie Level 1 und 2 stellt derzeit die Standardtherapie in der operativen Behandlung des Mammakarzinoms dar. Allerdings sind Langzeitkomplikationen wie Sensibilitätsstörungen im Oberarmbereich (20 - 60 %), Bewegungseinschränkungen des Armes (4 - 17 %) sowie Lymphödeme (5 - 35 %) zu beobachten.

Das Vulvakarzinom

Beim Vulvakarzinom gilt der inguinale Nodalstatus als wesentlicher prognostischer Faktor.

ist mit einer Inzidenz von ca. 1,2/100 000 Frauen ein relativ seltenes Genitalmalignom. Wesentlichster etablierter prognostischer Faktor ist der inguinale Nodalstatus. In Abhängigkeit von der Infiltrationstiefe und dem Tumorstadium sind in ca. 35 % inguinale Lymphknotenmetastasen zu finden. Bei den frühen Tumorstadien sind bei ca. 80 % der Patientinnen die entfernten Lymphknoten tumorfrei (T1 91 %, T2 72 %). Es fehlen verlässliche weniger invasive Methoden, um den Lymphknotenstatus vorherzusagen. Bei einer Infiltrationstiefe von mehr als 1 mm wird routinemäßig mit einer ipsi- oder bilateralen Lymphonodektomie operativ behandelt, was zu einer erheblichen postoperativen Morbidität führt (Sekundärheilung und Lymphzystenbildung in 20 - 30 %, Lymphödem in 30 - 70 %).

Bei Patientinnen mit Zervixkarzinom

Beim Zervixkarzinom sind Lymphknotenstatus, Tumorgröße und Invasionstiefe die wichtigsten Prognosefaktoren.

ist neben Tumorgröße und Invasionstiefe der Lymphknotenstatus der wichtigste tumorbezogene Prognosefaktor. Die Häufigkeit des pelvinen und paraaortalen Lymphknotenbefalls steigt mit dem Stadium der Erkrankung. Bei Patientinnen mit Zervixkarzinom der FIGO-Stadien I und II sind pelvine Lymphknotenmetastasen in 0 - 22 % bzw. 11 - 19 % zu erwarten. Im Stadium FIGO III - IV werden pelvine und paraaortale Lymphknotenmetastasen in 45 - 55 % und 30 - 40 % beobachtet. Die Entfernung der pelvinen, parametranen und paraaortalen Lymphknoten kann für die Patientin mit intraoperativen und postoperativen Komplikationen verbunden sein. Die Entfernung metastasenfreier Lymphknoten kann potenziell zu einer negativen Beeinflussung der Immunlage führen. Über 90 % der operativ entfernten Lymphknoten sind ohne Nachweis einer Metastasierung.

Bei Patientinnen mit Endometriumkarzinom

Beim Endometriumkarzinom sind der Lymphknotenbefall und das Tumorstadium die wichtigsten Prognosefaktoren.

ist neben dem Tumorstadium auch der Lymphknotenbefall von wesentlicher prognostischer Bedeutung. Bei Patientinnen mit positiven pelvinen Lymphknoten liegt das rezidivfreie Intervall nach 5 Jahren bei etwa 85 %, hingegen bei Nachweis von paraaortalen Lymphknotenmetastasen nur noch bei ca. 45 %. Patientinnen mit einem Endometriumkarzinom weisen meist kardio-vaskuläre Risiken, verbunden mit Diabetes mellitus und Adipositas auf. Die Durchführung einer pelvinen/paraaortalen Lymphonodektomie kann bei diesen Patientinnen bei einer längeren Operationszeit zu einer höheren Rate an postoperativen Komplikationen führen.

Für Patientinnen mit Ovarialkarzinom

Beim Ovarialkarzinom ist der Lymphknotenstatus zur Prognose nicht entscheidend. Wichtiger sind Tumorstadium, Grading und postoperativer Tumorrest.

sind Tumorstadium, Grading und postoperativ verbliebener Tumorrest die wichtigsten Prognosefaktoren. Der Lymphknotenstatus stellt nicht den wichtigsten Prognosefaktor dar. Untersuchungen zur Detektion des Sentinellymphknotens beim Ovarialkarzinom wurden bisher nicht durchgeführt.

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