Ernährung & Medizin 2004; 19(1): 3
DOI: 10.1055/s-2004-822855
Editorial

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Kompetenz und Verantwortung

Karlheinz Schmidt
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Publication Date:
04 December 2006 (online)

Ernährungsmedizin - ein Konzert unterschiedlicher Interessen

Nicht nur die Politik hat durch falsche Versprechungen, Vielstimmigkeit, Zick-Zack-Kurs, ständige Nachbesserungen, runde Tische, unendliche Expertenkommissionen jede Glaubwürdigkeit verloren und ist daher nicht mehr fähig, Orientierung zu geben, die Leistungsfähigen zu motivieren und den weniger Leistungsfähigen Ängste zu nehmen.

Dasselbe Desaster stellt sich auch in vielen Bereichen von Wissenschaft und Technologie dar, wo Toll-Collect nur die Spitze eines Eisberges ist. Ernährung und Medizin machen dabei keine Ausnahme sondern treiben in den letzten Jahren teilweise ganz besondere Blüten. Da kann man beispielsweise locker behaupten, dass man mit einem Vitamin-Cocktail eine fortgeschrittene Krebserkrankung heilen kann, füllt mit dieser Botschaft landesweit die Säle und niemand kann dieses Treiben stoppen. Schuld daran ist die gleiche Vielstimmigkeit in den Aussagen, da die Kompetenten nicht in der Verantwortung stehen und diejenigen, die Verantwortung tragen, inkompetent sind. So kommt es, dass sich zu einem ernährungsmedizinischen Sachverhalt oftmals zehn oder mehr nationale und internationale Gremien mit unterschiedlichen Bewertungen zu Wort melden, sei es DGE, D-A-CH, SCF, ILSI, ERNA, DEGEM, Codex Alimentarius, WHO-FAO, um nur einige zu nennen, die in diesem Konzert unterschiedliche Interessen vertreten. Jüngstes Baby in dieser Familie ist der GCRN (German Council for Responsible Nutrition), der für Deutschland sprechen will, sich aber keinen deutschen Namen zutraut.

Noch weniger hilfreich sind allerdings die vielen widersprüchlichen Konsensus-Konferenzen einzelner selbsternannter Kompetenzträger zu Einzelfragen, die das Chaos vervollständigen und besser Nonsensus-Konferenzen genannt werden sollten.

Wie kann eine Lösung aussehen, damit nicht weiterhin Inkompetenz und Verantwortungslosigkeit mit Hilfe der Medien regieren? Um unsere Liberalität zu erhalten, müssen Kompetenz und Verantwortung in allen Bereichen zusammengeführt werden, dies gilt für die Politik ebenso wie für die Wissenschaft. Die Folge wäre ein drastischer Abbau von Bürokratie und die Juristifizierung aller Lebensbereiche würde zurückgeführt. Ob dies aber im Zeitalter des Marketing möglich sein wird, ist zweifelhaft.

Im Übrigen wäre es manchmal der Glaubwürdigkeit mehr zuträglich, einzuräumen, dass man etwas nicht weiß.

Karlheinz Schmidt