Rehabilitation (Stuttg) 2005; 44(1): 34-43
DOI: 10.1055/s-2004-834629
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Entwicklung von Rehabilitationsbehandlungsgruppen (RBG) für die Kardiologie und Orthopädie - Ergebnisse eines Forschungsprojekts

Developing Rehabilitation Treatment Groups for Cardiology and Orthopaedics - Findings of a Research ProjectJ.  Ranneberg1 , G.  Neubauer1
  • 1Institut für Volkswirtschaftslehre insb. Sozial- und Gesundheitsökonomik, Universität der Bundeswehr München
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Publication Date:
25 January 2005 (online)

Zusammenfassung

Die Forderung nach mehr Spezifität und Transparenz im Leistungs- und Vergütungsgeschehen der medizinischen Rehabilitation ist nicht neu, wenngleich sie auch lange in der Praxis nicht aufgegriffen wurde. Die bevorstehende flächendeckende Einführung eines fallpauschalierten Vergütungssystems im Akutkrankenhaus, aufbauend auf den Diagnosis Related Groups (DRG), haben die Thematik jedoch forciert und ins Zentrum der Überlegungen gerückt. Auch wenn die Meinungen bez. eines derartigen fallpauschalierten Vergütungssystems für die medizinische Rehabilitation auseinander gehen, so steht die Notwendigkeit einer bedarfsorientierten, differenzierten Patientenklassifikation außer Zweifel. Die Vorteile eines Systems aus weitgehend aufwandshomogenen Fallgruppen liegen auf der Hand. Sie dienen der internen wie externen Nutzung und können sowohl im medizinischen wie auch im administrativ-organisatorischen Bereich eingesetzt werden. Die Entwicklung einer derartigen Patientenklassifikation speziell für die Belange der stationären medizinischen Rehabilitation war Zielsetzung der vorgestellten Forschungsarbeit. Dabei wurden für die Fachbereiche Orthopädie und Kardiologie leistungs- und kostenhomogene Rehabilitationsbehandlungsgruppen, kurz RBG, definiert, welche den zugrunde liegende Reha-Fachbereich abbilden und zugleich als Bindeglied zwischen Akut- und Reha-Versorgung fungieren. Zusätzlich wurden Reha-Schweregrad-Indikatoren identifiziert, welche Reha-Bedarf und Ressourcenverbrauch prognostizieren helfen und somit die Grundlage darstellen für eine leistungsbasierte Vergütung sowie ein differenziertes Leistungs- und Kostencontrolling. Die beschriebene Arbeit entstand an der Universität BW München, als Teilprojekt des Rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsverbunds Freiburg/Bad Säckingen (RFV), gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und der Deutschen Rentenversicherung.

Abstract

The call for a more specific and transparent service and reimbursement system for medical rehabilitation is not new. However, in practice, the idea was not followed up for a long time. This situation changed with the introduction of German Diagnosis Related Groups (DRGs) for acute care settings. It is now strongly being discussed whether such a sophisticated lump sum reimbursement system might also be a viable alternative in the field of rehabilitation. There still exist different opinions over the suitability of a lump sum-system for medical rehabilitation, but the main direction seems to be clear. There is no doubt that medical rehabilitation requires a needs-adapted, differentiated patient classification system. The benefits of such cost-homogeneous groups are evident. They support medical and management services and are suitable for both internal and external use. The main intent of the project presented was to develop such a patient classification system, adapted to the requirements of medical rehabilitation. The project concentrated on orthopaedic and cardiac rehabilitaton. For these two areas, needs-adapted and cost-homogeneous groups (RBG, Rehabilitationsbehandlungsgruppen - Rehabilitation Treatment Groups) were developed in order to adequately represent the underlying service portfolio and to act as a link between acute and post-acute care. In addition, severity level indicators were identified, in order to explain for different needs and resource volumes and in order to create severity-RBGs representing patients with the same severity level. Based on these groups, a needs-adapted lump sum reimbursement system can be developed, allowing for a differentiated service and cost controlling. The project described formed part of the Research Funding Programme Rehabilitation Sciences defrayed by the German Pension Insurance and the Federal Ministry for Education and Research. As part of the Freiburg/Bad Säckingen research network, it was realised at the University BW, Munich.

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1 Dieser Ansatz entspricht im Wesentlichen dem international dominierenden Vorgehen aus den USA und Australien [1] [4] [13].

2 Bei Identifikation geeigneter Schweregradindikatoren könnte auf diese Stufe der Gruppierung evtl. künftig verzichtet werden. Vorauszusetzen wäre jedoch, dass bestehende Unterschiede zwischen den Patienten bzw. den Ressourcenverbräuchen valide abgebildet werden können.

3 Dieses Vorgehen wurde u. a. begründet durch hohe Korrelationen zwischen LOS (Verweildauer) und total charges: rspearmen = 0,089 (s. [13]).

4 Diese wiederum sind in gewisser Weise an die gesetzlichen Vorgaben gebunden, die eine Regelverweildauer von maximal drei Wochen für die stationäre medizinische Rehabilitation vorsehen, „…, es sei denn eine Verlängerung der Leistungen ist aus medizinischen Gründen dringend erforderlich” (§ 40 Abs. 3 Satz 2 SGB V, § 15 Abs. 3 Satz 1 SGB VI).

5 Das Expertengremium setzte sich zusammen aus vier resp. sechs Reha-Medizinern der Fachbereiche Orthopädie und Kardiologie.

6 Die Patienten wurden dazu in der empirischen Datenerhebung einer der vorab definierten Basisgruppen zugeordnet.

7 Classification- and Regression Tree Analysis (s. [2]). Beim Regressionsbaumverfahren mit dem C&RT-Algorithmus handelt es sich um ein mehrstufiges Verfahren, welches mittels hierarchischer Variablenselektion homogene Cluster bildet. Dabei werden aus einem vorgegebenen Pool unabhängiger Variablen diejenigen mit dem maximalen Einfluss auf die Zielvariable (Kosten) ausgewählt und zur Gruppenbildung verwendet.

8 Die psychosoziale Verfassung wurde anhand der folgenden, dem IRES-Fragebogen Vs. 2 [6] entnommenen Items abgefragt: Schmerz, Depressivität, Ängstlichkeit, berufliche Belastung, Motivation, Umgang mit der Erkrankung und soziale Integration. Die 7 Items wurden jeweils anhand einer 5-stufigen Skala bewertet. Es handelte sich dabei jedoch nicht um einen standardisierten und psychometrisch getesteten Score.

9 Der FIM ist ein international weit verbreitetes Assessmentinstrument zur Erfassung des individuellen Bedarfs an Hilfestellung bzw. der Selbstständigkeit in den Bereichen Aktivitäten des täglichen Lebens (ATL), Kontinenz, Mobilität, Kommunikation und Kognition. Der FIM umfasst 18 Items, die auf einer 7-stufigen Skala zu bewerten sind [7] [9].

10 Aufgrund personeller Engpässe sowie des Ausscheidens und notwendiger Neuakquirierung von Kooperationspartnern war eine derart lange Erfassungsperiode notwendig geworden.

11 Jeweils drei orthopädische und kardiologische Kliniken zzgl. einer kardiologischen Klinik für ausschließlich herztransplantierte Patienten.

12 An dieser Stelle danken wir unseren Kooperationspartnern Theresienklinik Bad Krozingen, Klinik Höhenried, Klinik Hochstaufen und Klinik Seehof sowie der Federseeklinik und dem Klinikum Staffelstein für ihre intensive Mitarbeit und die Unterstützung mit umfangreichem Datenmaterial.

13 Der Functional Independence Measure (FIM) erfasst den Grad der Selbstständigkeit bei der Ausübung physischer sowie kognitiv-kommunikativer Tätigkeiten des täglichen Lebens. Ein Gesamtscore von 126 zeigt vollständige Selbstständigkeit an. Vollständige Abhängigkeit liegt bei 18 Punkten vor (s. [9]).

14 Die Varianzerklärung schwankte im Klinikvergleich zwischen 17 und 23,2 % (Oneway Anova). Die Werte gelten für die Subkategorie AHB. Aufgrund starker Modifikationen der vordefinierten Basisgruppen im HV und daraufhin fehlender gruppenspezifischer Daten konnten die abschließend definierten HV-B-RBGs nicht separat analysiert werden.

15 Da die Zuordnung zu den vorab definierten Basisgruppen bereits mit der Datenerhebung erfolgte und darüber hinaus keine detaillierten Angaben zur vorliegenden Diagnose dokumentiert wurden, war eine Ex-post-Zuordnung der Datensätze zu den neu definierten B-RBGs nicht mehr möglich, mit Ausnahme der reinen Gruppenfusion im Fall der Wirbelsäulenerkrankungen (entzündliche/nicht entzündliche).

16 Bei Ausschluss der Basis-RBG AHB nach Herztransplantation reduziert sich die Varianzerklärung auf 4,2 % (univariate Varianzanalyse: R2 = 0,042).

17 Durch die Verwendung sensiblerer Instrumente zur Erfassung von Aktivitätseinschränkungen und Teilhaberestriktionen der Rehabilitanden könnte evtl. auch auf das Alter als Prädiktor verzichtet werden. Dies wäre wünschenswert, zumal nicht das chronologische Alter eines Patienten ausschlaggebend ist, sondern - der Nomenklatur der ICF folgend - das funktionale Alter, welches nicht zwingend mit dem chronologischen Alter korreliert.

18 Die ersten Testergebnisse der ICF-Core-Sets für 12 Indikationsgruppen sind abgedruckt in: J Rehabil Med 2004, Suppl 44.

19 Bei der Konzeptionierung der vorliegenden Studie wurde die Bedeutung dieses Merkmals unterschätzt und lediglich auf einen unstandardisierten Score zurückgegriffen. Als denkbare Assessmentinstrumente wären SF-36, HADS-Test und/oder BDI zu nennen.

20 Erklärt wurden hier jedoch Unterschiede in der Verweildauer, die als Näherungsvariable für den Ressourcenverbrauch herangezogen wurde.

Jana Ranneberg

Universität der Bundeswehr München

Werner-Heisenberg-Weg 39

85577 Neubiberg

Email: jana.ranneberg@unibw-muenchen.de

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