Aktuelle Neurologie 2005; 32 - 42
DOI: 10.1055/s-2005-866645

Mikroglia – Die residenten Makrophagen des ZNS

UK Hanisch 1
  • 1Göttingen

Mikrogliale Zellen werden als das Makrophagen-Äquivalent des ZNS angesehen. Sie stellen die erste Verteidigungslinie im Sinn der innate immunity dar und vermitteln, falls erforderlich, den Kontakt zum adaptiven Immunsystem. Allerdings bedarf es einer geeigneten Stimulation durch – bislang nur teilweise molekular identifizierte – Substanzen exogenen oder endogenen Ursprungs, um die normalerweise ‘ruhende' (morphologisch auch als ‘ramifiziert' ausgewiesene) Mikroglia zu aktivieren, ihr Makrophagen-Potenzial zu rekrutieren. Tatsächlich können mikrogliale Zellen dann die gesamte Palette Makrophagen-typischer Eigenschaften aufweisen. Zelloberflächenantigene oder bestimmte intrazelluläre Proteine, die üblicherweise einem Nachweis von Makrophagen dienen, lassen sich auch in Mikroglia finden, kaum ein Marker der eine differenzielle Darstellung ermöglicht. Mikroglia kann dabei ebenfalls ein für Makrophagen charakteristisches Repertoire an chemotaktischen und immunregulatorischen Faktoren freisetzen, Phagozytose betreiben und in gewissem Umfang Antigene präsentieren. Dennoch stellt Mikroglia eine einzigartige, wenn auch nicht uniforme Population dar. Diese Zellen sind in ein besonderes Gewebemilieu eingebettet, nicht nur in biochemischer Hinsicht. Mikroglia ist umgeben von Zellen, die ein limitiertes Potenzial für Reparatur und strukturell-funktionelle Erneuerung besitzen. Entzündliche Prozesse und Immunreaktionen unterliegen im ZNS strengster Kontrolle. Dabei kommt der Mikroglia als der immunkompetenten Zelle des ZNS, ihrer Aktivierung und ihren Aktivitäten, eine Schlüsselrolle zu. Das Interesse an diesen Zellen beschränkt sich somit nicht nur auf neurobiologische Grundlagenforschung, sondern nährt sich zunehmend auch aus Überlegungen zu therapeutischen Ansätzen. Das Verständnis der aktivierenden und regulierenden Einflüsse und Faktoren, der intrazellulären Organisation und der Mechanismen exekutiver Reaktionen hat sich dabei in der letzten Zeit grundlegend gewandelt. Mikroglia wird nicht länger als eine stereotyp reagierende und dann lediglich destruktiv agierende Zelle angesehen. Ihre Funktionen sind vornehmlich protektiver, restaurativer Natur. Ihre aktivierbaren Leistungen sind phylogenetisch befürwortet. Es wäre vorstellbar, dass die meisten Episoden mikroglialer Aktivierung unauffällig verlaufen, und nur dann pathologische Assoziationen bzw. pathogenetische Konsequenzen besitzen, wenn eine exzessive oder chronische Aktivierung zu überschießenden und unkontrollierten Reaktionen führt. Auch wurde das Vorurteil stereotyper Antworten aus experimentellen Beobachtungen abgeleitet, die kaum dem komplexen Gewebekontext entsprachen. Neuere Befunde lassen erkennen, dass Mikroglia durchaus zur Integration extrazellulärer Signale befähigt ist, auf ein komplexeres Stimulusangebot mit ‘angepasstem Verhalten' reagiert. Der Vortrag wird einige Modelle und Modellvorstellungen diskutieren, die den konzeptionellen Wandel im Bild dieser Zellen illustrieren und vielleicht Ansätze zur therapeutischen Einflussnahme aufzeigen.