Aktuelle Neurologie 2005; 32(9): 511
DOI: 10.1055/s-2005-915238
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Situation der Ärzte im Krankenhaus und in der Praxis: Es wird Zeit auf die Barrikaden zu gehen

The Situation of Doctors in German Neurological Departments and in Private Practice: The End of Patience has been ReachedH.-C.  Diener1
  • 1Neurologische Universitätsklinik Essen
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Publication Date:
07 November 2005 (online)

Im August sind Assistenzärzte und Oberärzte von Universitätskliniken vorwiegend in den südlichen Bundesländern auf die Straße gegangen bzw. haben gestreikt. Es ist höchste Zeit, dass sich alle Neurologen, auch niedergelassene Ärzte, Chefärzte und Ordinarien mit den Assistenten und Oberärzten solidarisieren. Die Medizin am Krankenhaus hat in der Zwischenzeit einen Weg beschritten, der es höchst unattraktiv macht, den Beruf des Arztes anzustreben. Dazu haben insbesondere die folgenden Entwicklungen beigetragen:

Überbordende Bürokratie mit einem nicht mehr vertretbaren Dokumentationsaufwand, insbesondere durch die Einführung der DRGs, wobei die gesamte Dokumentationslast auf den Schultern der Assistenten und Oberärzte ruht. Diese Dokumentation könnte, wie in anderen Ländern, überwiegend von Dokumentaren erbracht werden. Zunehmender Personalabbau durch finanzielle Restriktionen an Krankenhäusern nicht nur im Bereich von ärztlichen Assistenzberufen und in der Pflege, sondern auch Wegfall von Assistentenstellen. Damit erhöht sich die Arbeitsbelastung für die verbliebenen Kollegen. Zunehmende Tendenz dazu, Zuschläge, Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und Ähnliches nicht mehr zu bezahlen und auch Nacht- und Bereitschaftsdienste durch Freizeitausgleich zu vergüten. Dies ist eine absolute Illusion, da im Freizeitausgleich niemand die anfallende Arbeit übernimmt und der oder die Betroffenen dann beim Abarbeiten des Liegengebliebenen noch mehr Überstunden macht. Weniger Zeit für die Forschung. Es ist weiterhin Realität in Deutschland, dass der Löwenanteil der klinischen Forschung an Universitätskliniken und Schwerpunktkrankenhäusern in der Freizeit erbracht wird. Wenn diese kostbare Zeit durch bürokratische Tätigkeiten aufgefressen wird, fällt eine der wesentlichen Stützen der klinischen Forschung in Deutschland weg. Perspektivlosigkeit: Wir, die Älteren, hatten früher klaglos hunderte unbezahlter Überstunden absolviert, da wir wussten, dass wir eine Langzeitperspektive haben, sei es in der Praxis oder in der Klinik, mit der wir langfristig eine gewisse finanzielle Kompensation für die kostenlos erbrachten Leistungen erhalten würden. Durch die Einführung neuer Vergütungssysteme und dem permanenten Verfall des Punktwertes ist es in der Zwischenzeit finanziell nicht mehr attraktiv, in die Praxis zu gehen. Die seit 3 - 4 Jahren angebotenen Arbeitsverträge für Chefärzte in der Neurologie sind an vielen Standorten lächerlich und die Chefärzte erreichen bezogen auf ihre Arbeitszeit pro Woche einen Stundenlohn, der locker von Handwerkern überboten wird. Dies bei 70-Stunden-Woche und hoher Verantwortung. Darüber hinaus sollen die Chefärzte auch noch für den finanziellen Erfolg ihrer Abteilung mit Teilen ihres Einkommens haften, obwohl sie auf viele Dinge gar keinen direkten Einfluss haben.

Von daher ist es wichtig, dass alle in der Neurologie Beschäftigten eine eindeutige politische Meinung vertreten, die dahin geht, dass jetzt die Rationalisierungsreserven im Gesundheitssystem weitgehend ausgeschöpft sind. Eine weitere Kürzung der finanziellen Ressourcen, die zwangsläufig durch die Konvergenzphase der DRGs und den weiteren Verfall der Punktwerte in der Praxis kommt, ist nur hinnehmbar, wenn die Politik sich endlich dazu entschließt, klipp und klar zu sagen, wo wir Leistungen einschränken bzw. medizinische Leistungen in Zukunft nicht mehr erbringen sollen. Es ist auch nicht mehr hinnehmbar, dass die eigentlich ärztliche Leistung, nämlich das Gespräch mit den Patienten und ihren Angehörigen, zu kurz kommt und der überbordenden Bürokratie geopfert wird.

Prof. Dr. med. H.-C. Diener

Direktor der Neurologischen Universitätsklinik Essen

Hufelandstraße 55

45122 Essen

Email: h.diener@uni-essen.de

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