Aktuelle Neurologie 2005; 32 - V235
DOI: 10.1055/s-2005-919272

Dynamik der Reorganisation im sprachlichen System nach Schlaganfall: eine longitudinale fMRT-Studie

D Saur 1, R Lange 1, A Baumgaertner 1, V Schraknepper 1, M Rijntjes 1, C Weiller 1
  • 1Hamburg, Freiburg

Einleitung: Funktionelle Bildgebungsstudien von Patienten mit Aphasie in der chronischen Phase nach Schlaganfall zeigten, dass verschiedene Mechanismen u.a. eine Hochregulierung verbliebener Sprachareale und eine Rekrutierung homologer Areale an der Reorganisation beteiligt sind. Das Zusammenwirken und die Dynamik dieser Prozesse dagegen ist noch weitestgehend ungeklärt. In einer longitudinalen fMRT Studie beginnend in der akuten Phase mit Folgeuntersuchungen über 12 Monate haben wird die Dynamik der Reorganisation im sprachlichen System nach Schlaganfall untersucht.

Methoden: 16 Patienten (15–68 Jahre) mit einer Aphasie nach Infarkten im Mediaterritorium wurden an 4 aufeinanderfolgenden Terminen (T1=2d, n=16 [d=mittlere Anzahl der Tage nach Schlaganfall, n=Anzahl der Patienten]; T2=13d, n=16; T3=160d, n=10; T4=350d, n=9) im fMRT und mit einem Aphasietest-Set (Aachener Aphasie Bedside Test, Aachener Aphasie Test, CETI-Outcometest) untersucht. Die Patienten beurteilten in einem event-related Design auditiv präsentierte korrekte Sätze und Sätze mit einer semantischen Verletzung. Die einzelnen Testscores wurden normalisiert und zu einem Sprach-Recovery-Score(SRS)/Messtermin/Patient (minimaler SRS=0, maximaler SRS=1) verrechnet.

Ergebnisse: Alle Patienten verbesserten sich sprachlich im Verlauf, sowohl individuell als auch als Gruppe (mittlerer SRST1=0.42, SRST2=0.66, SRST3=0,91, SRST4=0,94). Die Gruppenanalyse aller Patienten zeigte an T1 eine Aktivierung verbliebener Sprachareale der linken Hemisphäre bei einer insgesamt verminderten Aktivierbarkeit, an T2 kam es zu einer massiven Hochregulierung des gesamten verbliebenen Sprachsystem mit Maximum im Broca-Homolog und der SMA (direkten Vergleich T2>T1). Diese Aktivierungszunahme war zudem in hohem Maße mit der sprachlichen Verbesserung korreliert (Broca-Homolog r=0.82, p<0,001 SMA r=0.82 p<0.001) wohingegen die Aktivierungszunahme im Broca-Areal nur gering mit der Verbesserung korrelierte (r=0.57, p<0.05). In der chronischen Phase (T3, T4) zeigte sich dann eine Abnahme der Aktivierung, die mit einer weiteren klinischen Verbesserung einherging.

Schlussfolgerungen: Sprachliche Reorganisation von der akuten bis zur chronischen Phase verläuft in drei Phasen mit einer Aktivierung verbliebener Sprachareale links in der akuten Phase, einer Hochregulierung des Systems mit Rekrutierung homologer Areale in der subakuten Phase und einer abschließenden Konsolidierung mit Aktivierungsabnahme in der chronischen Phase.