Aktuelle Neurologie 2005; 32 - V244
DOI: 10.1055/s-2005-919281

Klinische Symptome des Tourette-Syndroms: eine prospektive Studie bei 480 Patienten

K Müller-Vahl 1, L Makowski 1, M Geomelas 1, H Emrich 1, H Kolbe 1
  • 1Hannover

Fragestellung: In den Jahren 1995–2004 wurden in der Tourette-Ambulanz der MHH 480 Tourette-Patienten prospektiv untersucht. Ziel der Studie war es, das klinische Spektrum des Tourette-Syndroms (TS) in einer großen Klinikpopulation zu charakterisieren.

Methoden: Alle Patienten wurden von einer der Autoren (K MV) untersucht. Die Schwere der Tics wurde mittels der Shapiro Tourette Syndrome Severity Scale (STSS) beurteilt. Ein standardisiertes Interview wurde eingesetzt, um zusätzlich bestehende Verhaltensstörungen zu ermitteln.

Ergebnisse: 78,1% der Patienten waren männlich, 21,9% weiblich. Das mittlere Alter betrug 21,5 Jahre (3–72). Das mittlere Alter bei Beginn der motorischen Tics lag bei 7,5 Jahren, das der vokalen Tics bei 10,1 Jahren. Das mittlere Alter zum Zeitpunkt der Diagnose betrug 19,5 Jahre. Entsprechend der STSS waren 68,6% als sehr leicht – mittel, 31,4% als deutlich – sehr schwer einzustufen. Eine Koprolalie bestand bei 29,6% (in deutlicher Form bei 10,6%), eine Kopropraxie bei 17,9%, eine Echolalie bei 31,7% sowie eine Echopraxie bei 25,4%. 85.2% konnten ihre Tics vorübergehend unterdrücken, 70.2% berichteten über ein den Tics vorangehendes Vorgefühl. Als häufigste begleitend bestehende Verhaltensauffälligkeit fanden sich Zwangssymptome (80,0%), jedoch nur bei 8,1% in der Schwere einer Zwangserkrankung. Am häufigsten traten folgende Zwänge auf: „Just-Right-Feeling“ 61,3%, zwanghaftes Berühren von Objekten 43,1%, Kontrollieren 39,8%, Zwangsgedanken 39,4%, Ordnen 32,9%, Rituale 27,3%, „Touching“ von Personen 22,9%. Die Diagnose einer Hyperaktivität wurde in 30,8% gestellt, die einer Aufmerksamkeitsstörung in 42,9%. Bei 61,5% der Patienten bestand jemals ein rasch aufbrausendes Verhalten, bei 44,5% autoaggressive Symptome, bei 37,5% eine Angststörung und bei 25,6% eine Depression. Nur bei 12,7% wurde ein TS ohne zusätzliche Verhaltenssymptome diagnostiziert. Der mittlere Comorbiditäts-Score lag bei 2,7. Die Schwere der Tics (STSS) korrelierte signifikant positiv mit dem Comorbiditäts-Score (p<0,001).

Schlussfolgerungen: Anhand dieser bisher größten in Deutschland systematisch untersuchten TS-Gruppe zeigt sich, dass selbst in einer Spezialambulanz bei 2/3 der Patienten die Ausprägung der Tics gering bis mittelgradig ist. Das „typische TS“ ist von Verhaltensauffälligkeiten begleitet. Die Tic-Schwere scheint positiv mit der Anzahl der Verhaltenssymptome zu korrelieren.